In meinem Leben gibt es einige liebe Menschen außerhalb der Familie, die mir schon lange und eng verbunden sind. Jede hat ihren unauslöschlichen und einzigartigen Platz in meinem Herzen und jeder dieser Plätze ist gleichberechtigt. Seit Freitag sind wir bei den liebsten Freunden in Bonn und mal wieder stelle ich fest, dass ich, wenn ich hier angekommen bin, alles loslassen und ich selbst sein kann. Zu Hause. Zeit für einen Liebesbrief an meine Freundin, die mich hier erwartet hat – so wie seit Jahrzehnten schon.

Liebes,

ich sitze in deinem schönen Haus auf der Couch und die Kinder haben sich überall verstreut. Eben sind wir vom Frühstückstisch aufgestanden und haben den Tag zusammen geplant. Ich freue mich auf noch zwei Tage mit dir und deiner Familie hier. Aber heute muss ich dir mal sagen, was mir alles durch den Kopf geht.

Gestern haben wir über's Älterwerden gesprochen. Zuerst ganz lustig und flapsig: was wir für Veränderungen an uns bemerken, wie die Fältchen zu Falten und zu Furchen werden, wie die Züge im Gesicht sich verändern, die Haare grau werden und die Haut an den Händen sich unwiderruflich nicht mehr zur jugendlichen Frische glätten lässt, mit keiner Handcreme der Welt.

Wir sitzen zusammen, du und ich, wie seit Jahrzehnten schon und lachen ein bisschen. Dann sage ich: "Es ist schon komisch, zu wissen, dass man jetzt irgendwann auf jeden Fall die Hälfte des Lebens hinter sich hat, egal, wie viel Zeit man auf diesem Planeten wohl hat." Und du schaust mich an und sagst einfach: "Ja." In deinem Blick liegt sowas wie ein umfassendes Wissen darüber, dass wir endlich sind und ich weiß, dass du auf deine heitere, helle Art genauso damit befasst bist, wie ich. Und plötzlich weiß ich auch: ich werde da sein und du wirst da sein. Unsere Freundschaft wird sich wieder verändern, so wie sich unsere Leben verändern werden mit dem Älterwerden. Aber wir werden auch da zusammen sein, so wie irgendwie immer schon in unserem Erwachsenenleben.

Wir kennen uns jetzt ziemlich genau seit zwanzig Jahren und gerade gestern haben wir lachend darüber gesprochen, dass unsere Freundschaft, unsere tiefe Verbundenheit, ein zufälliges Nebenprodukt einer anderen Verbindung war, die für uns beide an Bedeutung verloren hat. Aber wir beide sind noch da. Und das ist längst kein Zufall mehr. Ich erinnere mich an dich, an unsere erste Begegnung in der WG-Küche, ein flüchtiges Lachen, eine kurze (Fehl-)Einschätzung, eine Schublade, in die ich dich sehr mühelos verbannte mit einer gewissen Resignation, dass ich dich jetzt wohl öfter dort sehen würde. So war es dann auch. Der Konktakt wurde häufiger, blieb eine ganze Weile eher oberflächlich und wurde erst ganz allmählich mehr. Bis wir irgendwann unsere eigene Beziehung hatten und die plötzlich so viel mehr war, als eine Zufallsbekanntschaft. Dass ich damals die Wohnung aufgegeben habe und dafür dich "behalten" durfte, ist einer der Glücksfälle in meinem Leben.

Zwanzig Jahre, du und ich. Ich weiß nicht erst heute, wie schön, innig und besonders unsere Freundschaft ist, aber heute, an deinem Tisch, während unsere vermischten Kinder miteinander Osterkränze backen, spielen, "abhängen", jede gemeinsame Sekunde auskosten und unsere Männer zusammen hocken und in der jeweiligen Gegenwart des anderen vollkommen zufrieden sind, wird mir mal wieder klar, dass wir nicht nur ganz viel Vergangenheit teilen, sondern dass wir unser L e b e n geteilt haben und das auch weiter tun werden.

Wir haben zusammen gefeiert und getanzt, wir hatten Liebeskummer und verkaterte Köpfe, wir haben kochen gelernt und Wohnungen gestrichen. Wir haben zusammen Brautkleider gekauft, auf der Hochzeit der anderen geweint und uns gegenseitig zu Patinnen unserer Kinder gemacht. Wir haben uns Blumen geschickt und auf Krankenhausfluren zusammen gesessen. Wir haben zusammen geweint und uns gegenseitig getröstet. Wir haben füreinander Kerzen angezündet, wenn wir nicht zusammen sein konnten und die Zeiten schwer waren. Wir haben uns gegenseitig nicht geschont. Ich glaube wirklich, du hast so gut wie alles von mir gesehen, auch tiefste Untiefen in labilen Phasen. Wir haben einander zugehört und gemeinsam Probleme besprochen. Du hast für mich Dinge im Fluss des Vergessens versenkt und ich habe andere für dich in meinem Herzen verschlossen, die du nicht laut teilen wolltest. Und auch wenn es zwischen uns mal schwieriger war, haben wir das gelöst. Du lässt mich so sein, wie ich bin. Noch nie habe ich von dir etwas gehört, das mir abverlangt hätte, ich solle mich grundsätzlich ändern. Nicht weil, ich die perfekte Freundin bin, sondern weil du mich ganz siehst und damit froh bist. Und ich sehe dich, mag deine Stärken und weiß um deine Schwächen und wollte nichts an dir anders haben. Nichts. Weißt du, dass das Liebe ist zwischen uns?

Liebesbrief an meine Freundin

Ich weiß es und es macht mich immer wieder dankbar. Heute habe ich mich an das erinnert, was wir schon zusammen erlebt haben und einen Blick in unsere Zukunft geworfen. Die Kinder werden größer (3 unserer 5 gemeinsamen Kinder sind schon Teenager oder quasi Teens!), die Zeit, die wir als Familien zusammen verbringen, ändert sich. Haben wir früher Spielplätze und Wildparks aufgesucht, an der Plansche gesessen und abends mit dem Babyphon und einer Flasche Rotwein im Garten gesessen, können wir jetzt die Kinder alleine lassen und ausgehen. Es geht zunehmend weniger ums gemeinsame Eierfärben, jeder mit einem Kind auf dem Schoß oder um das vorgezogene Kinderfeuerwerk an Silvester. Stattdessen haben wir wieder mehr Zeit unter uns. Wieder werden sich die Dinge ändern, so wie früher schon.

Ich werde zusehen, wie eure Kinder groß werden und aus dem Haus gehen und du wirst dabei sein, wenn meine die Schule abschließen und ihre Wege finden. Ich hoffe, ich werde sehen, wie mein Patenmädchen sich mal verliebt und vielleicht irgendwann eine eigene Familie hat. Ich wünsche mir, dass ich sehen werde, wie du als Großmutter deine ersten Enkel in die Arme gelegt bekommst und freue mich darauf, dir zu erzählen, was meine Enkel so anstellen. Aber wir werden auch erleben, wie die andere vielleicht nicht mehr ganz so gut klar kommt, wie wir älter und schusselige werden und möglicherweise auch krank. Wir werden auch weitere Schicksalschläge und Wendungen des Lebens miteinander erleben, die uns herausfordern oder in Verzweiflung stürzen oder unglücklich machen werden. Denn wir wissen nicht, was das Leben für uns, dich und mich, unsere Männer und unsere Kinder bereithält, im Guten wie im Schlechten.

Ich weiß nicht, was wir erleben werden oder was wir werden ertragen müssen. Aber ich weiß, dass wir da sein werden. Ich bei dir und du bei mir, auf die ein oder andere Art. Und das ist eine Gewissheit, die mich zuversichtlich und fröhlich in unsere Zukunft schauen lässt. Da wird dein Blondkopf sein und dein lautes Lachen, deine herrlich unkomplizierte Art, deine offenen Arme, dein großes Herz. Ich freu mich drauf.

In Liebe, deine "Luzie"

Last Updated on 25. Juli 2016 by Anna Luz de León

5 Kommentare

  1. Danke! Mit Tränchen in den Augen an die beste Freundin seit 10 Jahren geschickt!

    vielen vielen Dank

  2. ein so liebevoller und wunderbarer Text! Ihr seht so herzig aus! Ich gratuliere euch zu so einer Freundschaft, ich hab auch so eine! LG Jacqueline 

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