Es gibt Dinge und Phasen im Leben, für die fühlt man sich nie bereit. Und obwohl man sie, sofern man Kinder hat, mehrfach durchläuft, einmal höchstpersönlich und dann noch mal second-hand mit jedem Kind, macht es die Sache nicht besser. Aber es hilft nichts, den Tatsachen muss man sich stellen. Und in unserem Fall, ist es unsere Pubertät. Also nicht meine. Natürlich nicht. Sondern die, die vor unserer Tür steht, mit den Hufen scharrt und zum Herzensmädchen will.
Unüberhörbar.

Der am meisten frequentierte Satz vom Herzensmädchen zur Zeit ist: “Oh Mann, Mama…! Ich bin fast zehn!” Dazu Augenrollen und genervtes Schnauben. Meine Antwort ist dann immer: “Und weiter? Selbst wenn du 13 wärst, würde das nichts ändern, denn…. (hier folgt die Erklärung zum jeweiligen Anlass der Auseinandersetzung, wie beispielsweise meine Absage an ihren Wunsch nach langen, lackierten Fingernägeln oder nach ausgedehnten IPad-Zeiten, nach Rumgehocke im Wohnzimmer bei den genervten Eltern nach 21h unter der Woche, nach im-Park-an-der-Reckstange-mit-dem-Kopf-nach-unten-hängen-obwohl-es-draußen-schon-dunkel-ist usw.)

Herzensmädchens Reaktionen auf meine diversen Erklärungen reichen von schulterzuckendem “Pffff….” und abschätzigen Blicken auf mich, die blöde Mama, die natürlich nichts versteht, bis hin zu Wutausbrüchen oder Tränen. Zuletzt ernsthaftes Geheule wegen der Fingernägel gestern Abend. Die aussahen wie Maulwurf Grabowskis Grabeschaufeln inklusive schwarzer Ränder. Und die sie dennoch nicht abschneiden sondern stattdessen lackieren wollte. Das war dann mein Einsatz zum Augenrollen und Schnauben. Aber das hilft ja nicht wirklich weiter.

Ich bin an einem völlig neuen Punkt und stehe mal wieder vor der Herausforderung, den nigelnagelneuen Entwicklungsschub meines ältesten Kindes mitzumachen, auszuhalten, ihm adäquat zu begegnen. Und dabei lauert hinter dem harmlosen, weil mir so vertrauten Wort “Entwicklungsschub” diesmal das böse P-Wort: Pubertät!

Gut, wir wollen mal die Kirche im Dorf lassen: das Kind pubertiert jetzt noch nicht lehrbuchmäßig mit allen körperlichen Modifikationen undsoweiter. Aber die Stimmungen schwanken gefährlich (und meine gleich mit!) und es postulierte neulich mit vor Wichtigkeit bebender Stimme: “Ich verändere mich eben gerade, Mama! Ich bin jetzt präpubertär!” Und ich muss fassungslos sagen: so isses.

Ich sehe mein Herzensmädchen an, lang und schlaksig, klug und warmherzig, motzig und aufsässig, lustig und liebenswert, hilfsbereit und verantwortungsvoll, frech und respektlos – alles innerhalb von wenigen Augenblicken, und ich bin stolz und schockiert zugleich, wie groß sie geworden ist, in jeglicher Hinsicht. Ich schaue sie an und sehe eine kleine, große Persönlichkeit, ein wunderbares Mädchen mit eigenen Ideen und Überzeugungen, mit Werten und Prioritäten, die sie formulieren und verteidigen kann. Das, was ich sehe, lässt mich staunen und erfüllt mich mit Glück und Stolz. Und gleichzeitig schmerzt mich der Anblick und ich frage mich, wie es sein kann, dass die runden Bäckchen verschwunden sind, die knuddeligen Ärmchen, die staunend aufgesperrten braunen Augen, das plappernde Schnüsschen, das nie stillstand und immer weiter fragte und erzählte. Jetzt ist es immer öfter so, dass sie nicht sagt, was sie bewegt, sondern es in ihr Tagebuch schreibt oder ihre Freundin anrufen will. Da werden wichtige Briefe geschrieben, geheime Botschaften ausgetauscht, albern gekichert und die Türen zugemacht. An der Zimmertür hängt ohnehin nicht mehr das Pippi-Langstrumpf-Plakat, sondern ein handgeschriebenes Eintritt-verboten-Schild.

Apfelbäckchen aka Herzensmädchen 2003

Die eigentlichen Herausforderungen sind aber natürlich die vielen Alltagsdinge: sie ist wahnsinnig schnell beleidigt, total empfindlich und fängt plötzlich wieder viel leichter an zu weinen. Für mich meistens völlig aus dem Nichts. Sie fängt Diskussionen über Dinge an, die eigentlich längst abgehandelt sind und zu denen es feste Regeln gibt. Sie versucht, sich um Verbote und Regeln herum zu drücken, manchmal auf charmant-offensive Art, manchmal heimlich und ganz oft mit ausgedehnten Argumentations-Orgien. Darin ist sie echt gut und bringt mich natürlich gerne an meine Grenzen und zu dem Punkt, an dem ich gezwungen bin, zu sagen: “Schluss, Ende der Diskussion, läuft nicht!” Und sie dann: “Man kann überhaupt nicht vernünftig mit dir reden, Mama!”

Nach solchen Szenen zwischen uns fallen mir plötzlich solche Sätze ein, die beispielsweise die Mutter einer Freundin vor Jahren sagte: “Kind, ich wünsche dir nichts Schlechtes im Leben. Nur eine Tochter, wie du eine warst!” Oder meine Mutter, die mir einst prophezeite: “Wenn ich das Herzensmädchen so sehe, dann sehe ich meine Vergangenheit mit dir und deine Zukunft: du kriegst alles zurück!” Damals konnte ich über solche Sätze schmunzeln, weil ich ihren Wahrheitsgehalt oder besser: ihre Bedrohlichkeit gar nicht begriffen habe. Heute weiß ich, was gemeint war und ich muss sagen, ich fühle mich völlig neu und zutiefst herausgefordert.

1000 neue Fragen stellen sich mir im Angesicht der heraneilenden Pubertät vom Herzensmädchen: Haben wir bisher alles soweit richtig gemacht, dass unsere Beziehung zu ihr die Irrungen und Wirrungen der nächsten Jahre überstehen wird? Wird sie mit den wichtigen Fragen dennoch zu uns kommen, auch wenn wir plötzlich zu den “blöden Alten” mutieren? Werden wir den Sturz vom Sockel verkraften oder wird der Wandel von den allmächtigen Lichtgestalten zu den peinlichen Nichts-Checkern uns eine Identitätskrise bescheren? Wird sie sich für uns schämen, wenn wir sie irgendwo abholen? Wird sie noch freiwillig Zeit mit uns verbringen wollen oder werden wir zu solchen Eltern, die ihre Teenager-Kinder zwingen, Familienmahlzeiten gemeinsam einzunehmen und sonntags um 12 endlich doch aufzustehen? Wird sie sich in die falschen Typen verlieben und sich zum Drops machen? Wird sie sich schrecklich und übertrieben stylen oder wird sie sich schrecklich und übertrieben verlottern lassen? Werde ich es schaffen, ihre pubertären Sorgen und Nöte so ernst zu nehmen, wie sie es verdient? Oder werde ich innerlich immer schmunzeln müssen und sie wird es merken? Werde ich mich im richtigen Moment daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, als ich im selben Alter war? Und werde ich aus der Erinnerung an diese widerstreitenden Gefühle mehr Verständnis für ihre Gefühle haben?

Ich meine, seien wir doch mal ehrlich, so bestürzend der Anblick von Fältchen um die Augen oder auf der Stirn sein mag, den mir mein Spiegel täglich beschert: um nichts in der Welt möchte ich nochmal 14 sein! Oder auch 16. Oder eigentlich überhaupt irgend etwas unter 25. Nein, das war trotz aller Highlights keine Zeit, die ich mir zurückwünschen würde. Herrgott, all diese rätselhaften Vorgänge im und am eigenen Körper und die an den Körpern von anderen Menschen! Oder diese ganzen Entscheidungen, die man plötzlich treffen sollte über Freundschaften und deren Eigenschaften. Oder der grauenvolle Moment der Wahrheit, in dem man tatsächlich das erste Mal den einen tollen Jungen küsst, den man die ganze Zeit schon glaubt, küssen zu wollen, nein, zu müssen…. um dann festzustellen, dass man nicht nur gerne auf diese Erfahrung verzichtet hätte, sondern auch am liebsten sofort in den unwissenden, ungeküssten Zustand zurückfallen möchte, weil man sich beim besten Willen nicht vorstellen kann, was daran jetzt schön gewesen sein sollte.

Oh Pubertät, 7-köpfiges Ungeheuer, das ich für immer hinter mir gelassen zu haben glaubte! Da stehst du vor meiner Tür und wartest auf mein Herzensmädchen. Und gibst ihm auch noch das Gefühl, du wärst etwas Schönes, Erhebendes, Erwachsenes. Pah, nichts ist unerwachsener als pubertäre Kids, da sind ja mitunter 6-jährige vernünftiger! Du wartest auf sie mit Pickeln und unproportional wachsenden Füßen, mit dem Kauf des ersten BHs und des ersten Deos, mit himmelhochjauchzend-zutodebetrübt, mit zugezogenen Vorhängen und schlimmer, viel zu lauter Musik. Mit Selbstzweifeln, Unsicherheiten und vielen Fragezeichen. Du kicherst in dich hinein und bist bereit für all den teenage-trouble, von dem mein Herzensmädchen gerade mal den Hauch einer Idee hat.

Ich würde dir jetzt gerne sagen: böses P, du kriegst sie nicht! Und ich weiß, dass das nicht geht. Du hast sie schon am Bändel. Und da liegt der Hund begraben. Ich muss sie all das machen lassen, wovor mir jetzt schon graut. Ich muss zusehen, wie sie ihre eigenen Erfahrungen macht, die guten und die schlechten und kann nur hoffen, dass wir sie bis hierher schon genug geliebt, gestärkt, getragen haben, damit sie das alles gut meistern kann. Alleine. Denn ich kann und soll nicht mit ihr dorthin gehen. An meiner Hand wie bisher – so wird es nicht sein. Aber sei gewiss, olles Schreckgespenst mit Akne und den ersten Binden in der Tasche, ich bleibe in der Nähe und ich werde auf sie achten und sie weiter lieben und bestärken wie bisher. Und hoffentlich sie mich auch, wenn auch anders als in den letzten 10 Jahren.

Schade, dass ich das dem Herzensmädchen so jetzt noch nicht erklären kann. Vielleicht hat sie ja mal selbst eine Tochter und erzählt mir von dieser Art Veränderungen. Und ich bin dann hoffentlich noch da und kann ihr sagen: “Weißt du, mein Schatz, ich wünsche dir alles nur vom Schönsten in deinem Leben, aber wenn ich meine Enkelin so ansehe… zieh dich warm an!” Und sie wird nicht den Hauch einer Ahnung haben, was ich damit meine.

Last Updated on 14. März 2013 by Anna Luz de León

3 Kommentare

  1. Du hast mein Mitgefühl!! Da wir gerade mitten in der Pubertät für Kleinkinder (auch Trotzphase genannt) stecken, kann ich mir gut vorstellen, wie blank Deine Nerven liegen :-) Nimm´s mit Humor- etwas anderes bleibt dir ohnehin nicht übrig :-)
    LG Mia

  2. Ich kann mich nur noch zu gut an diese zeit erinnern. Mitlerweile sind meine Kinder groß udn das Thema ist durch, aber diese stressige uns sehr anstrengende Zeit werde ich nicht vergessen. Danke für den Artikel und meine gedankliche Zeitreise zurück in diese Zeit!
    Liebe Güße
    Karin

    • Danke, liebe Karin! Für die Grüße, das Verständnis und die Aussicht, dass es einfach irgendwann vorbei sein wird mit der Pubertät. Uff. Bis dahin hab ich ja noch mein Blog, um mich auszulassen. Und um von Menschen, die das schon hinter sich gebracht haben, ein virtuelles “Kennich” einzusammeln. ;-) Liebe Grüße zurück, Anna

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