Am Samstag war ein wunderbar sonniger Tag. Ich wurde von der Sonne (und meinen Kindern) geweckt, hatte ein spätes Frühstück im Kreise der WildenLieben und für den Abend was Schönes vor: ich war nämlich mit dem Herzensmädchen, der Lieblingsfreundin und dem Patenkind im Grips – Theater. Und vorher bummeln! Es war herrlich und ich war schon am späten Vormittag voller Vorfreude und kramte so in der Küche rum, während alle anderen allmählich nach draußen und in die Sonne verschwanden.

Als dann alle beschäftigt waren (fußballspielen, fahrradfahren, buddeln, im Garten rumkramen) und ich mich an die Bolognese machte, kam mein Herzensmädchen und wollte quatschen. Wir redeten und hörten Musik, und ich spielte ihr meine Neuentdeckung vor.

Sie versenkte sich in ihr Buch und ich schaute aus dem Küchenfenster.

Da sah ich es:

mein Mann, lachend, das Gesicht voller Frühlingslicht, im Arm das Goldkind, das auf ihn einredete mit üblich-drolliger Mimik, daneben der Lieblingsbub in ein Fußballspiel mit seinem Freund vertieft. Und mit einem Schlag ist alle zögerliche Samstagssonne strahlend hell und zugleich voller Schwere:

Mein Herz bläst sich auf wie ein Ballon, angefüllt mit Liebe und Dankbarkeit und Glück – und ehe ich mich versehe, schießen mir die Tränen in die Augen in dem Bewusstsein, dass sie so verletzlich sind, dass sie sterblich sind, dass sie vergänglich sind, meine Liebsten. Alle, die ich liebe.

Es mag albern klingen und kitschig oder sentimental, aber das ist etwas, das ich in den letzten zwei, drei Jahren gelernt habe: dass genau das, was die eigene Basis bildet, das, was einen sicher und glücklich macht und einem das Gefühl gibt, den Widrigkeiten des Lebens trotzen zu können dasselbe ist, dessen Verlust einem im schlimmsten Fall den Boden untern Füßen weg zieht.
Und der Verlust ist im Glück mit eingewoben, denn die Vergänglichkeit ist allem Lebendigen immanent.

Sie anzuschauen und zu spüren, wie sehr ich sie liebe, öffnet zugleich den Abgrund zu meinen Füßen. Ich weiß, dass mein Mann altern wird, vielleicht sogar irgendwann krank, und ich zusehen werde, wie er weniger wird und seinem Ende entgegen geht. Oder er mir. Ich weiß, dass meine Kinder mich und ihren Vater dabei sehen werden. Und das ist alles noch der Glücksfall. Denn es gibt ja auch noch die Möglichkeit, dass auf einen Schlag alles vorbei wäre – auch wenn diese Möglichkeit viel unwahrscheinlicher ist.

Der Glücksfall aber ist nicht nur wahrscheinlich sondern gesichert. Vorgesehen. It’s gonna happen. Und manchmal macht mich das heute schon traurig, genau in den perfekten Momenten des kleinen großen Glücks: Leben, Frühling, Sonne, Familie.

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Nicht, dass das falsch verstanden wird: ich bin nicht deprimiert oder pessimistisch oder denke die ganze Zeit darüber nach, dass all mein Glück vergehen wird. Im Gegenteil. Ich glaube, dass ich seit dem Tod meiner Mutter diese Aspekte in meinem Leben viel mehr schätze, viel intensiver wahrnehme und viel ausgiebiger genieße. Dennoch ist der Tod und der Gedanke an die eigene Sterblichkeit, Vergänglichkeit und die der anderen mir viel näher, als in den Jahren zuvor.

Ein bisschen fühlt sich das an, als hätte ich eine geistige oder seelische Unschuld verloren: ich kann in den Bewusstseinszustand VOR der engen Todeserfahrung beim Sterben meiner Mutter nicht mehr zurück. Auch die Trauer um sie, die mich immer begleitet, ganz gleich, wie wunderschön eine Situation, ein Tag, ein Augenblick ist, ist ein Teil meines Lebens geworden. Kein schlimmer, überschattender Teil, viel eher ein selbstverständlicher, ein immer präsenter. Aber das ist okay. Der Tod gehört zum Leben, der Verlust gehört zum Glück.

Also schaue ich weiter aus dem Fenster, höre diese wunderschöne gebrochene Stimme singen, während meine Liebsten so nah bei mir sind und dennoch keine Ahnung haben, was mir in diesem Augenblick durch den Kopf schießt. Und ich denke: ich liebe euch, ihr liebt mich, wir sind zusammen. Das ist alles, was zählt und das kann uns keiner mehr nehmen, egal, was wann wie passiert und wann wir nicht mehr zusammen sein werden.

Und dann öffne ich das Fenster, blinzele eine Träne weg, rufe nach den dreien draußen und winke ausgelassen aus dem Fenster. Weil ich mein Leben so liebe und alle, die es so reich machen. Ganz gleich, wie lange es noch dauern wird, dieser Reichtum, dieses Glück. Für einen Augenblick macht der Tod mein Glück noch größer.

Klingt komisch. Ist aber so.

Last Updated on 27. Juli 2014 by Anna Luz de León

11 Kommentare

  1. Wie recht du hast. Es gibt diese Momente, in denen einem das alles schlagartig bewusst wird, auch wenn es vielleicht gerade nicht zur Situation passt. Ich kenne das auch, obwohl ich noch nie so einen Verlust erleben musste wie du.

    Dafür aber leider mein Mann, der schon beide Elternteile verloren hat, auch wenn er kaum je darüber spricht. Mich macht es aber manchmal traurig wenn ich versuche mir vorzustellen, wie das ist. Und ich hoffe so sehr, dass meine Kinder das in dieser Form nie erleben müssen. Klar, irgendwann werden wir Eltern sterben und hoffentlich vor unseren Kindern, aber doch bitte erst dann, wenn unsere Kinder auf eigenen Beinen stehen, erwachsen sind und mit der Situation umgehen können.

    Aber so funktioniert das Leben nunmal nicht, alles kommt wie es kommen muss und wir sind oft nur Statisten im Spiel unseres Lebens. Fühlt sich zumindest häufig so an, auch wenn man sicherlich auf so einiges mehr Einfluss nehmen kann, als man denkt.

    Ich lege jetzt ganz schnell die Hand auf meinen Bauch und lasse die gerade aufkommenden düsteren Gedanken von meinem Sohnemann unter dem Herzen vertreiben. :)

    Liebe Grüße
    Isa

    • berlinmittemom Antworten

      Liebe Isa,

      das ist genau das, was ich meine: Hand auf den Bauch und alles ist gut. Oder besser gesagt – richtig. Es gibt doch diese lateinische Weisheit von Vergil, omnia vincit amor – die Liebe besiegt alles. Und so abgedroschen das manchmal klingt, ich finde, für diese kleinen großen Situationen im Leben trifft das genau den Kern. Und es ist auch das Einzige, das gegen Ängste und Verwirrung hilft: Liebe. Ich glaube, auf die Liebe zu verzichten, was ja doch viele tun, aus Angst vor dem Scheitern und dem Verlust, schützt einen nur vermeintlich vor den Tiefen – vor allem nimmt es einem die Höhen, die einen über die Durststrecken bringen könnten. Irgendwie so.

      Liebe Grüße und streichel einmal den Bauch bzw. das Bauchbaby für mich mit!

  2. Oh ja! Alles so vertraute Gedanken. Zeitweise täglich, dann ziehen sie sich wieder etwas zurück und bäng sind sie wieder unerwartet da. Ich weiß, dass diese Gedanken auch an meinen Erfahrungen liegen, ich weiß dass es dazu gehört. Irgendwann. Trotzdem tut es manchmal so sehr weh! Ich hoffe auf den üblichen “Glücksfall”.

    • berlinmittemom Antworten

      Huch, meine lange Antwort von heute mittag ist irgendwie weg…? Dann nur kurz: dein Kommentar “enttarnt” dich als jemand, der sein persönliches Glück gefunden hat und ganz besonders schätzen kann – aus ähnlichen Gründen wie ich meins. Es hat, seltsamer weise, bei mir gar nicht so viel mit konkreter Angst zu tun: dass etwas passieren könnte, dass ich überängstlich meine Kinder beglucken würde oder so. Mehr so diese Gewissheit: it’s not gonna last forever, even if it feels like it.
      Das meinte ich aber auch in meinem Tweet vor ein paar Tagen: eins meiner Kinder zu küssen und trotz aller Todesgewissheit das Gefühl zu haben, dass das: dieser Moment, diese Liebe, für immer ist/sind und für immer reichen. Das kann keiner mehr löschen, das wird mit jedem Tag besser und fester und macht uns alle mit jedem Tag sicherer und für das Leben bereiter. Sowas in der Art. Umarmung! (bevor es wirr wird…)

  3. Es ist nicht das erste Mal, dass ich Tränen in den Augen habe, während ich deine Texte lese. Du verstehst es wirklich, mit Worten umzugehen und mit diesen zu berühren.

    • berlinmittemom Antworten

      Liebe Tina, ich danke dir, das freut mich. Auch wenn ich natürlich keine Tränen hervorrufen wollte. Aber vielleicht auch doch… irgendwie. Aber ich glaube, davon wird sowieso nur der- oder diejenige berührt, der versteht, was ich meine.
      Liebe Grüße!

  4. Pingback: über erinnerungen und nahe gefühle ::: frühstück am todestag

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