Manche Menschen sind etwas Besonderes. Sie hören auf ihr Herz, sie werfen Zweifel und Ängste über Bord und helfen anderen, die ihre Hilfe nötig brauchen. Sie sind Menschen mit Menschen und urteilen über andere nicht aufgrund ihrer Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, ihres Geschlechts oder ihres Herkunftlandes. In Deutschland sind es diese Menschen, die gerade einen Unterschied machen. Nicht nur für diejenigen, die auf der Flucht vor Krieg und Zerstörung hier ankommen, sondern auch für uns andere. Für all diejenigen, die in der zweiten Reihe stehen oder die nicht wissen, wie sie helfen sollen. Und für die, die glauben, keine Kapazitäten zum helfen frei zu haben. Denn diese Menschen, die den Unterschied machen sind es, die in diesen Tagen wie helle Lichter scheinen und uns andere inspirieren und oft auch mobilisieren, uns ihnen anzuschließen.

Ich habe das Glück, viele solcher Menschen zu kennen. Einer von ihnen ist meine liebe Kollegin Tanya von Lucie Marshalldie sich hier in Berlin seit Wochen unermüdlich für die Geflüchteten einsetzt. Sie hat auf ihrem Blog schon viel darüber geschrieben, wie sie drei pakistanische Jungs bei sich aufgenommen und was sich alles daraus ergeben hat. Jetzt hat sie zusammen mit Freunden den nächsten Schritt gemacht und einen Verein gegründet.

Tanya Neufeldt, Lucie Marshall, Mamablogger, Berlin

"be an angel" möchte das Helfen vereinfachen und sowohl Initiativen und Organisationen vernetzen, als auch Einzelfallhilfe leisten und die persönlichen Erfahrungen der Helfer*innen für andere verfügbar machen. Heute hat sie mir hier ein paar Fragen zur Vereinsgründung und ihren Erlebnissen aus den letzten Wochen beantwortet.

1. Wie ist es zur Gründung von "be an angel" gekommen?

Den Verein habe ich bereits vor 6 Jahren gegründet, aber er wurde dann schlafen gelegt, als ich (wie viele der anderen Gründungsmitglieder auch) Kinder bekommen und wir einfach keine Zeit mehr dafür gefunden haben. Vor fast 8 Wochen habe ich zusammen mit meinem Mann und unserem Freund Andreas Toelke angefangen, mich intensiv mit der ganzen Flüchtlingssituation auseinanderzusetzen. Wir haben alle selbst Flüchtlinge bei uns aufgenommen und beschlossen: ‚Wir müssen einen Verein gründen, um hier noch mehr auf die Beine stellen zu können’. Und dann fiel mir ein: ‚Ach, ich habe doch vor Jahren einen solchen gegründet. Den muss ich nur wieder zum Leben erwecken!’

2. Was wollt ihr erreichen und warum sind eure Ziele so wichtig?

Es geht nicht darum das Rad neu zu erfinden und die nächste Organisation zu gründen. Wir wollen vielmehr die bereits bestehenden vernetzen und ihnen zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Wir von ‚be an angel’ können einfach alle richtig gut netzwerken und die richtigen Leute zusammenbringen. Darum findet am 12.Oktober im Berliner Hotel Sheraton ein Infoabend statt, auf dem wir erzählen werden, was Flüchtlinge erwartet, wenn sie nach Berlin kommen. Wir werden 12 Berliner Hilfs-Organisationen bzw. Initiativen vorstellen, die bereits aktiv sind und ständig nach weiteren Unterstützern suchen. Wir haben Platz für 200 interessierte Menschen, die gerne helfen möchten, aber noch nicht so richtig wissen wie und wo. Also, bitte schnell anmelden und zahlreich kommen: http://beanangel.direct/events/ Zum anderen ist uns die Einzelfallhilfe enorm wichtig. Andreas und ich betreuen mittlerweile 23 Menschen aus Afghanistan, Syrien, Pakistan, Irak und Iran. Es geht darum, sie bei Amtsgängen zu begleiten, Deutschkurse zu organisieren aber auch darum, schöne Dinge gemeinsam zu erleben. Nur so wissen wir, was wirklich ihre Bedürfnisse sind. Und ich glaube fest daran, wenn man eine Person stärkt und unterstützt, dann wird sich das vervielfachen. Neulich waren wir mit einem unserer afghanischen Jungs unterwegs und er sah ein paar Landsmänner verloren an der U-Bahn stehen. Und was macht er? Er geht hin und erklärt ihnen alles, so wie wir es ihm vor 4 Wochen erklärt haben. Das war sehr berührend zu sehen und hat uns wahnsinnig stolz gemacht.

3. Du hast selbst geflüchtete Menschen bei dir zu Hause aufgenommen. Was ist dein Rat an Menschen, die sich scheuen, im direktem Kontakt mit Geflüchteten zu helfen, weil sie sprachliche, religiöse und kulturelle Probleme befürchten?

Ich kann diese inneren Barrieren total verstehen. Ich musste mich da auch herantasten, jeder Helfer hat sein eigenes Tempo. Wenn dieser Wunsch des Helfens da ist, dann kann man auch mit kleinen Schritten beginnen. Zum Beispiel einmal in der Woche in irgendeinem Heim helfen oder mit Kindern basteln. Bei allen kulturellen, religiösen oder sonstigen Unterschieden ist es nicht nur sehr bereichernd, sondern man stellt auch fest, dass wir schlussendlich alles nur Menschen mit ähnlichen Grundbedürfnissen sind. Ich kann es nur jedem raten, diesen Schritt aus der eigenen Komfortzone zu wagen. Es profitieren alle Seiten auf sehr vielen Ebenen voneinander.

4. Du und deine Mitgründer*innen helfen seit Wochen vielen Geflüchteten und ihr seht täglich, wie Behörden, Organisationen und auch Ehrenamtliche vor der gigantischen Aufgabe kapitulieren, so viele traumatisierte Menschen gut unterzubringen und sie mit dem Nötigsten wie Kleidung, Unterkunft, Essen, Medizin zu versorgen,. Wie motiviert ihr euch, immer weiter zu machen und nicht das Handtuch zu werfen?

Das Handtuch zu werfen, daran habe ich noch nie gedacht. Mehr auf mich aufpassen, das muss ich allerdings auf jeden Fall. Denn die verschiedenen Traumata, mit denen die Flüchtlinge alle mehr oder minder stark beladen sind, können einen unheilvollen Sog entwickeln. Da muss man sehr auf sich achten. Und doch empfinde ich die andere Seite als stärker, kraftvoller. Es ist unglaublich bereichernd. Und wenn ich in die strahlenden Augen sehe, abends mit 10 neuen Familienmitgliedern am Tisch sitze, die köstlichsten Speisen serviert bekomme und höre, was sie schon alles alleine entdeckt haben („Bester Karateclub ist in Reinickendorf und die beste pakistanischen Gewürze gibt es an der Oslauerstraße“), dann weiß ich, dass das alles mehr als richtig ist.

5. Dein Leben hat sich in den letzten Wochen durch dein Engagement sehr verändert. Man merkt es an deinen Texten und an all den Dingen, die du tust und die Spuren hinterlassen – nicht nur im Netz. Wenn du ein Zwischenfazit ziehen solltest: Was ist für dich in den letzten Wochen der schwerste Moment gewesen? Was war der schönste?

Ja, es stimmt. Mein Leben hat sich sehr verändert. Und ich empfinde es als hundertprozentig reicher als vorher. Schwer sind die Momente, wenn ich über das Gelände am LaGeSo, dem Landesamt für Gesellschaft und Soziales gehe, wo die erschöpften Menschen absolut menschenunwürdig tagelang, ach teilweise wochenlang ausharren, um registriert zu werden. Dann denke ich „Scheiße, warum habe ich nur zu wenig Kapazität, um noch mehr Menschen hier herauszuholen?“ Das ist schwer zu ertragen. Und setzt mir sehr zu. Einer der schönsten Momente – und sie überwiegen zum Glück – war, als einer meiner Jungs mir abends eine SMS schickte: „Gute Nacht, Ami. I love u. Thank you.“ Es gibt einfach nichts Schöneres als zu merken, wie tief Begegnungen berühren und seinen Lebenslauf vollständig verändern. Da heule ich dann vor lauter Glück.

be an angel, Flüchtlingshilfe, Berlin, Verein, Einzelfallhilfe

Für alle Interessierten gibt es kommenden Montag, 12. Oktober 2015, einen Infoabend von be an angel. Wer von den Berliner*innen interessiert ist, kann sich hier zur Teilnahme anmelden.

Liebe Tanya, ich danke dir für deine Antworten, für dein Engagement und deine Unermüdlichkeit, wenn es darum geht, dich für die Menschen einzusetzen, die Hilfe am nötigsten brauchen. Seit Wochen schaffst du es, mich durch all das, was du tust und wie du darüber schreibst, zu inspirieren und mich immer wieder zu motivieren, mich ebenfalls einzusetzen. Und du triffst mich immer wieder mitten ins Herz – genau dort hin, wo wir uns alle berühren und bewegen lassen sollten, um in dieser SItuation das Richtige zu tun. Mit mir kannst du jedenfalls rechnen.

signatur

 

 

Last Updated on 26. März 2018 by Anna Luz de León

1 Kommentar

  1. Schade, dass es hier keine Kommentare bisher gibt.
    Ich finde die Aktion großartig. Und klein anzufangen finde ich genau richtig.
    Ich bin nicht in Berlin sondern quasi externe Mitleserin, aber auch in meiner Stadt habe ich klein angefangen und bin zu einem solchen Info Abend gegangen. Jetzt weiß ich schon besser Bescheid, wie und wo ich helfen kann und taste mich immer mehr ran. Tolles Engagement Anna! Weiter so!

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