WERBUNG | Letzte Woche war Vatertag und meine Kinder haben für ihren geliebten Papa ein Video zusammengeschnitten und mit Musik und persönlichen Botschaften unterlegt. Es entstand eine wunderschöne und berührende Reise in die gemeinsame Vergangenheit und ein sehr liebevoller Rückblick auf die Anfänge unseres Elternseins. Es war erstaunlich, wie weit weg diese Anfangsphase mit unseren Babys bereits ist, obwohl gefühlt doch noch gar nicht so viel Zeit vergangen zu sein scheint. Tatsächlich sind viele Jahre wie mit einem Wimpernschlag verflogen – und das macht mich nachdenklich.

Wir denken oft an die Vergangenheit, an früher, an schöne Stunden und überwundene Schwierigkeiten, aber denken wir auch an die Zukunft? An u n s e r e Zukunft, nicht nur die unserer Kinder?

Im Rahmen der Initiative gegen Altersarmut der Stuttgarter Lebensversicherung habe ich einen Brief an mein jüngeres Ich geschrieben, in dem es genau darum geht: um den Blick in die Zukunft und die (Vor-)Sorge für uns selbst. In der Kampagne kommen vier Rentner zu Wort, die ebensolche Briefe an ihr jüngeres Ich geschrieben haben, ihr bisheriges Leben reflektieren und sich wünschen, sie hätten früher an die Zukunft gedacht und für sich selbst gesorgt.

 

Mich haben diese Briefe und auch die jeweiligen Videos sehr beeindruckt, eben weil es echte Briefe sind, echte Menschen und ihre Lebensgeschichten, keine Schauspieler und erdachte Schicksale. Hier sprechen wirkliche Menschen und teilen ihre Geschichten. Heute teile ich ein Stück von meiner in meinem Brief an mein jüngeres Ich.

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Liebe Anna von 1993,

herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur! Du bist im Aufbruch und kannst es kaum erwarten, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, auch wenn du noch nicht wirklich weißt, wohin die Reise gehen soll. Du hast dich für ein Studium entschieden, das dich interessiert, auch wenn alle um dich herum, einschließlich deiner Lehrer sagen, das seien brotlose Künste und Taxifahren sei deine wahrscheinlichste berufliche Zukunft. Deine Entscheidung für deine Herzensinhalte ist richtig, lass dich nicht beirren! Aber sei nicht überheblich, nur weil du denkst, dass du besser weißt, was für dich gut ist, als alle anderen und weil du dich nicht mit einer scheinbar fernen Zukunft auseinandersetzen willst: lass den Gedanken zu, dass es noch mehr gibt als die schönen Künste und dass es wichtig sein könnte, deinen Blick dahingehend zu erweitern.

Liebe Anna von 1996,

du bist verliebt. Dein Herz hängt in den Wolken und nichts Anderes hat mehr Bedeutung für dich. Du möchtest jede freie Minute mit diesem Menschen verbringen, der gerade deine ganze Welt bedeutet und dein Studium spielt überhaupt keine Rolle mehr für dich. Du verlässt deinen Studienort und ziehst zu deinem Herzensmenschen und nach einigen Wochen, als du gerade anfängst, Job, Studium und Liebe neu auszurichten, wird deine Mutter krank. So krank, dass es allen den Boden unter den Füßen wegreißt. Und was du jetzt tun wirst, ist symptomatisch für dein ganzes folgendes Leben: du lässt alles los und kümmerst dich um deine Mutter im Krankenhaus und deine kleine Schwester, die noch zur Schule geht. In die Uni gehst du ein Semester lang gar nicht, dafür arbeitest du mehr und kreist um deine Liebsten. Ich weiß, dass das richtig ist, auf die eine Art. Aber du kümmerst dich nicht um dich selbst. Du vernachlässigst, wie es dir selber geht und was deine Entscheidungen für deine Zukunft bedeuten. In der Folge dieser intensiven und schmerzvollen Zeit, die dich (und alle anderen) erschöpft und an deine Grenzen bringt, wirst du den Anschluss an die Menschen verlieren, mit denen du das Studium begonnen hast. Sie werden weiterziehen und Abschlüsse machen und du wirst immer mehr Schwierigkeiten kriegen, neu anzuknüpfen. Du wirst hadern und zweifeln und alles hinschmeißen wollen. Ich wünschte, du hättest neben der Sorge um deine Liebsten auch dein eigenes Wohlergehen, deine eigene Zukunft fester im Blick behalten.

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Liebe Anna von 1998,

die Liebe ist vorbei. Wie ist das passiert? Eigentlich weißt du es nicht, aber du hebst den Kopf, wachst auf wie aus einem Traum und über zwei Jahre deines Lebens sind verronnen, ohne, dass du persönlich einen Schritt weiter gekommen wärst. Einerseits ist das nichts Schlimmes, denn die Begegnungen mit Menschen, die Bindungen, die du eingegangen bist, die Texte, die du geschrieben und die Liebe, die du erlebt hast, haben dich geformt und dich zu der Person gemacht, die du jetzt bist: klüger, weicher, liebesfähiger, fokussierter und stärker als zuvor. Aber du siehst deinen Herzensmenschen deine Hand loslassen, du siehst ihn gehen und sich neuen Dingen zuwenden, und mit einem Mal hebt sich ein Schleier: du bist noch da. Genau an derselben Stelle wie zwei Jahre zuvor.

Du wirst das überleben. Besser noch, du wirst deinen Biss wiederfinden, dich besser aufstellen und besser schützen lernen, als zuvor. Du wirst Dinge erreichen, die du in den letzten zwei Jahren nicht schaffen konntest, weil du nur auf andere Menschen ausgerichtet warst und deinen eigenen persönlichen Weg aus den Augen verloren hast. Ich wünschte, du hättest besser auf dich selbst geachtet. Liebe ist wunderbar, aber sie darf dich nicht verschlingen. Vergiss das nicht!

Liebe Anna von 2003,

dein Leben hat Fahrt aufgenommen und es ist schier unglaublich, wo du jetzt stehst. Wenn du an dein Leben nur wenige Jahre zuvor denkst, kannst du es selbst kaum fassen. Du hast einen Abschluss, ein Baby und einen wundervollen Partner an deiner Seite. Ihr seid nach Berlin gezogen, 650km weit weg von deinem geliebten Heimatort und all den Menschen, die dir so viel bedeuten. Was du jetzt erlebst, ist der Anfang eines völlig neuen Lebensabschnitts, in dem es nicht mehr nur um dich oder um eine Beziehung oder um den beruflichen Werdegang geht: ihr seid eine Familie, ihr seid Eltern und ein kleines kostbares Leben wurde in eure Hände gelegt, für das allein ihr die ganze Sorge tragt. Du bist hingerissen und beeindruckt, voller Liebe und voller Unsicherheiten, nichts was vorher war, scheint mit dieser neuen Rolle als Mama irgendwie vergleichbar zu sein und du weißt: das ist das Wichtigste, das Richtigste, das Beste, das ich im Leben je machen werde.

Brief an mein jüngeres Ich | Berlinmittemom.com

Du hast recht. So ist es und so wird es bleiben. Von nun an liegt die Verantwortung für diesen kleinen Menschen voll bei dir und du begreifst, dass dich nun andere Fragen und Entscheidungen begleiten werden, für den Rest deines Lebens.

Ich bin glücklich, dass du all das aus vollem Herzen genießen konntest. Ich bin froh, dass auch deine weiteren beiden Kinder, die in den kommenden Jahren folgen werden, ihren Platz in deinem Herzen, deinem Leben, genauso selbstverständlich einnehmen werden, wie dein erstes Kind. Aber ich wünschte, du hättest von Anfang an besser auf dich aufgepasst. Vielen Dingen nicht einfach so ihren Lauf gelassen (auch wenn es bisher immer gut auskam), sondern ein bisschen genauer geplant. Nicht nur immer und jederzeit vor allem die Zukunft, das Wohlergehen, das Glück deiner Kinder im Blick gehabt, sondern auch dein eigenes.

Liebe Anna von 2007, 2009 und 2011,

deine Liebsten werden geboren und sie sterben. Und du wirst da sein und sie halten. Du wirst sie empfangen und sie verabschieden und in deinen Armen halten, bis dein Herz überläuft mit Liebe und Schmerz. Du bist für sie der Fels in der Brandung, du bist der Leuchtturm in der Nacht und die Insel im Sturm, auf die sie fliehen und wo sie geborgen sein wollen. Du öffnest dein Herz und dein Zuhause für deine Familie und für deine Freund*innen und bist über die Jahre immer wieder ein konkreter Zufluchtsort. Und du willst und sollst auch all das sein. Aber vergiss dich nicht. Bitte – vergiss dich nicht. Nicht heute, nicht morgen, nicht in der entfernteren Zukunft.

Brief an meine tote Mutter | Berlinmittemom.com

Denn auch wenn es offensichtlich deine Bestimmung im Leben ist, immer Raum und Liebe für andere Menschen bereitzuhalten in deinem Herzen und in deinem Heim – kümmere dich auch um dich. Denk nicht nur an die Anna, die du bis hierher warst, sondern auch an die, die du sein wirst. Und vergiss nicht, dich zu wappnen für all das, was im Leben noch auf dich zukommen wird. Nicht voller Angst und düsterer Vorahnungen, aber mit Klugheit und Weitsicht und mit genauso viel Liebe und auch einer Portion Pragmatismus für dich selbst wie für andere.

Deine Anna von 2017

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Ich muss sagen, dass es mich sehr berührt hat, mich auf diese Weise, mit diesem Brief an mein jüngeres Ich, mit meiner Vergangenheit und auch meiner Zukunft zu befassen und es stimmt: ich denke immer mehr an andere als an mich selbst und mein Vertrauen ins Leben ist ziemlich groß. Das werde und kann ich auch ganz sicher nicht ändern, aber ich stelle immer wieder fest, dass das vor allem dann gut funktioniert, wenn nichts mich anficht. Sobald aber Schwierigkeiten auftauchen, komme ich mit diesem Konzept ins Straucheln. Ich will mich gar nicht auf Links drehen oder grundsätzlich meinen Lebensstil verändern… auf keinen Fall! Aber die viele Liebe, die ich (von Herzen gerne) anderen gebe, die Unterstützung, die Sicherheit, das Gefühl, bei mir ankommen und bleiben zu können, den zuversichtlichen Blick und das Vertrauen in die Zukunft – davon sollte ich für mich selbst auch ein bisschen etwas abzweigen. Nur für mich. Für mein Wohlergehen, mein Glück, meine Zukunft.

Dabei auch den Gedanken zuzulassen, dass nicht immer alles so bleiben wird, so verhältnismäßig sorglos und unkompliziert, ist ein erster Schritt in diese Richtung. Niemand befasst sich gerne damit, dass Dinge schieflaufen können, dass man Jobs und Partner*innen verlieren könnte, dass man ernsthaft krank werden könnte oder andere Sachen passieren, für die man nicht vorgesorgt und an die man nicht mal im Traum gedacht hat. Aber wenn wir ehrlich sind gehört auch das zu einer guten Sorge für sich selbst: nicht nur für den Moment gut zu sich zu sein (was uns Eltern ja oft genug schon nicht leichtfällt), sondern auch die Zukunft im Blick zu haben und dabei einzukalkulieren, dass das Leben möglicherweise nicht immer leicht sein wird.

Geht euch das ähnlich? Schreckt ihr auch vor dieser Thematik zurück oder seid ihr da besser als ich?

1 Kommentar

  1. Liebe Anna,

    ein sehr interessanter Text! Ich thematisiere berufsbedingt täglich diesen Bereich. Ich rede mit den unterschiedlichsten Menschen darüber, was passiert, wenn sie krank oder berufsunfähig werden, was mit der Familie geschieht, wenn ein Elternteil stirbt, was aus dem Wohneigentum wird, wenn Unvorhergesehens eintritt… und meine Erfahrung ist, dass es hilft, sachlich darüber zu reden. Konsequent zu bedenken, welche Folgen der Eintritt bestimmter Ergeignisse haben kann. Und obwohl ich eher der vorsichtige Typ bin, hat das alles nicht zur Folge, dass ich große Zukunftsängste entwickelt habe. Im Gegenteil, das Leben lehrt, dass es in praktisch allen Fällen weitergeht, anders als gewollt oder geplant, aber eben doch auch lebenswert. Und zur Selbstsorge und Selbstliebe gehört es auch, sich um seine finanziellen Angelegenheiten zu kümmern und eigenverantwortlich zu sein.

    Ich bin hier meist nur stille Mitleserin, aber ich muss Dir einfach mal ein großes Lob für Deinen Optimismus und die große Herzenswärme, die Du mit diesem Blog ausstrahlst. ausprechen. Danke dafür!

    Ana

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