Es gibt Dinge, die dürfte es gar nicht geben, aber dennoch gibt es sie. Solche von der unangenehmen Art, solche von der kaum erträglichen Art und dann diese, von denen man nicht mal ahnen könnte, wie sie zu ertragen seien: der Tod des eigenen Kindes. Nicht, dass der Tod ansich nicht schon immer unfassbar schwer zu ertragen ist, aber das ist die Königsklasse des Unerträglichen. Unsäglichen. Höllischen. Ich habe nicht mal ein einziges Wort, das beschreiben würde, wie sich das anfühlen muss.

Aber es gibt viele Eltern, die das Gefühl kennen. Die ihre Kinder begraben mussten, sich verabschieden, sie loslassen. Und die irgendwie weiterleben. Wie sie das machen, ist allen anderen völlig unklar, und soweit ich das verstehe, gibt es eben keinen Masterplan, an den man sich halten könnte und der einen mit einer Art Karte durch dieses neue Leben führen könnte – ohne Kind. Oder mit einem weniger als zuvor. Es ist schier – unvorstellbar.

Als ich 13 war, so alt wie mein Herzensmädchen jetzt, starb eine enge Freundin an einem Gehirntumor, kurz nach ihrem 12. Geburtstag. Eine weitere Klassenkameradin wenige Jahre später an Mukoviszidose. Meine Cousine nahm sich das Leben, da war ich 17. Und seit ich erwachsen bin, habe ich diverse Begegnungen mit verwaisten Eltern gehabt, virtuell wie im echten Leben. Jedes dieser Kinder, jeder dieser Tode, egal wie, hat ein eigenes Buch verdient. Einen Film vielleicht. Eine Erinnerungswebpräsenz, die das Bild, das Lachen, die Liebe dieser kleinen Menschen festhält und zeigt. Etwas, wo man nachlesen kann, nachschauen, sich erinnern. Es müsste mehr sein, als nur ein Grabstein, nur ein Todes- oder ein Geburtstag. Gedenken. Immer abrufbar, sichtbar für alle, nicht nur in der Erinnerung der verwaisten Eltern.

Heute ist der Welt-Gedenktag für alle verstorbenen Kinder, wie an jedem zweiten Sonntag im Dezember und heute ist der Tag, an dem um 19h überall Kerzen leuchten in den Fenstern und auf den Kaminsimsen derer, die ein Kind verloren haben. Heute ist der Gedenktag für alle verstorbenen Kindern und ich will hier virtuell ein Licht anzünden, das für all diese Kinder leuchten soll, die nicht mehr bei ihren Eltern sein können – jedenfalls nicht physisch. Denn in den Herzen, in den Gedanken, sind sie immer da, niemals fort, stets dabei.

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Im Sommer 2015 hat die Berliner Illustratorin und Bloggerin Melanie Garanin ihren Sohn Nils verloren. Als ich das damals mitlas, vor allem auf Instagram, blieb mir fast das Herz stehen, war doch Melanie so voller (begründetem) Optimismus durch die Therapiephase ihres an Leukämie erkrankten Söhnchens gegangen, hatte seinen Weg mit gezeichnet, gebloggt, ihn begleitet, seine Hand gehalten und immer wieder gesagt: #alleswirdgut. Ich glaubte daran, denn ihre Zuversicht war so ansteckend und einfach überzeugend. Doch dann, plötzlich, war er fort. Gestorben zu Hause und, wie sich dann herausstellte, nicht an seiner Krankheit, sondern an einer mit dem Chemotherapeutikum assoziierten Bauchspeicheldrüsenentzündung, die durch die Ärzte nicht diagnostiziert worden war – hier berichtet auch der Tagesspiegel darüber. Denn Melanie, die zunächst viel von dem, was sie zuvor so offen geteilt hatte, auf ihrem Blog unter Verschluss nahm, hat sich inzwischen neu aufgestellt und erzählt jetzt laut die Geschichte ihres Sohnes Nils, der nicht hätte sterben dürfen. Der laut letztem durchgeführten Test frei war von Krebszellen. Der erst drei Jahre alt war und jetzt ein Stern am Himmel. Irgendwie so. Der nicht mit seinen Geschwistern und Eltern Weihnachten feiern wird, sondern nur in ihren Gedanken und liebevollen Erinnerungen weiterlebt. Für den seine Eltern jetzt seine Geschichte erzählen, unverhüllt und nachvollziehbar, voll von Schmerz und Wahrheit, Trauer und schwärzester Dunkelheit und dennoch auch gefüllt mit Liebe und Dankbarkeit dafür, dass er da war. Heute ist auch sein Tag: der Gedenktag für alle verstorbenen Kinder.

Auf meinem Kaminsims leuchten Kerzen, der Adventskranz leuchtet und überall an den Fenstern hängen Sterne und verbreiten ihr Licht. Aber gleich, um 19h, zum Gedenktag für alle verstorbenen Kinder, werde ich meine Laternen auf der Terasse bestücken und Lichter auf die Fensterbänke stellen: ein besonders großes für Nils. Und eins für die kleine Kaiserin. Und eins für Bela. Eins für Lillian. Eins für meine Freundin Bettina. Eins für meine Cousine Barbara. Eins für Judith. Eins für Anne. Eins für alle Kinder, die nicht mehr hier sind, sondern die nur noch in der Erinnerung ihrer Eltern weiterleben. Ihr seid niemals vergessen.

Passt auf euch auf und macht ein Licht an.

signatur

8 Kommentare

  1. Danke, liebe Anna,

    diesen Weltgedenktag finde ich so wichtig, denn all diese Kinder werden geliebt und sollen nicht vergessen werden! Wir werden auch gleich ein Licht anzünden, für unser geliebtes, verlorenes Küstensternchen, aber auch für all die anderen viel zu früh verstorbenen Kinder dieser Welt.

    Alles Liebe

    Küstenmami

  2. Danke für deine liebevollen Zeilen, auch bei mir brennt ein Licht für mein Sternchen am Himmel

  3. Nie zuvor habe ich einen Text gelesen der mir so nah ging wie dieser. Ich kann meine Tränen nicht zurückhalten und habe deine Zeilen seit gestern abend wieder und wieder gelesen. Sie fesseln mich, machen mich unvorstellbar traurig und ich bin dir zutiefst dankbar.

    Liebe Anna, ich hoffe du weißt, dass es nur sehr wenige Menschen gibt die dieses Thema über den Tod und die Trauer so transportieren können wie Du. So viel Liebe und Hoffnung. Deine Texte helfen mir durch eine grauenvolle Zeit und ich drücke dich virtuell. 

    Danke, Anna!

     

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