Im Moment ist das Mutter-Tochter-Thema hier sehr präsent und da es davon viel mehr Facetten gibt, als die reinen Vokabeln abdecken können, widme ich diesen Beitrag einer ganz besonderen Sorte Mutter, deren Ruf oft zu unrecht von jeher schlecht ist – die Stiefmutter.

Wer kennt sie nicht? Die böse Stiefmutter, die Schneewittchen mit dem vergifteten Apfel den Rest gibt? Die böse Stiefmutter, die Hänsel und Gretel im Wald aussetzen will? Die böse Stiefmutter bei Aschenputtel, die ihre Stieftochter ausbeutet und konsequent benachteiligt? Und die böse Stiefmutter bei Brüderchen und Schwesterchen, die die Quellen im Wald verzaubert, damit sich die Kinder in Tiere verwandeln und von Jägern tot geschossen werden sollen? Alle schlimm!

Im Märchen ist die Stiefmutter klassischer weise die Böse, und so wie alles im Märchen sehr vereinfacht dargestellt und schwarz-weiß gemalt wird, bleiben an der Stiefmutter nur die schlechten Eigenschaften hängen. Nie gibt es eine Stiefmutter, die etwas Liebes tut, etwas Unterstützendes oder auch nur eine, die nichts Böses für die Stiefkinder möchte.

Und so weiß jedes märchenerprobte Kind: die Stiefmutter ist die, vor der man sich in Acht nehmen muss. Sie ist die, von der Verderben ausgeht und die mal mindestens den Kindern den Vater wegnimmt, wenn sie nicht ohnehin gleich die Kinder vernichten will. Mein Herzensmädchen zum Beispiel hat nach einer unschönen Begegnung mit einem angeberisch bellenden Nachbarshund im zarten Alter von zweieinhalb Jahren kommentiert, das sei ein “böser Stiefhund”. Ich habe ihr dann erst mal erklären müssen, dass “Stief” nicht gleichzeitig böse bedeutet.

Das war in unserem Fall ganz leicht: ich habe nämlich eine Stiefmutter, die diese ganzen Klischees nicht nur nicht erfüllt, sondern quasi auf links dreht. Und diese Stiefmutter ist für meine Kinder die Bonus-Oma, die sie schon ihr Leben lang kennen und die sie ganz selbstverständlich lieben und an sie gebunden sind, so wie an die “echten” (= leiblichen) Großmütter. Ich habe mit Erstaunen und Freude gesehen, wie meine Kindern in der zweiten Generation dieser Art von Patchwork-Familie heranwachsen, ohne irgendwelche Bedenken oder Zurückhaltung. Alles, was für meine Geschwister und mich als Kinder noch schwieriger war, ist für sie selbstverständlich, und so ist meine Stiefmutter für meine Kinder von jeher ein gleichwertiger Teil der Familie, ob nun stief- oder blutsverwandt – es spielt keine Rolle für ihre Bindung an sie.

Lob der Stiefmutter, Beziehung, Tochter, Stieftochter

Ich habe mir die Beziehung zu meiner Stiefmutter erkämpft – nein, wir beide haben sie uns erkämpft. Denn der Start war, naturgemäß, nicht einfach. Ich war ein einigermaßen rebellischer Teenager, als sie in mein Leben trat und war nicht willens, ihr da irgend einen Platz einzuräumen. Erst im Laufe der Jahre habe ich den Blick heben können und über die ungünstigen Vorzeichen hinweg gesehen, mit was für einem Menschen ich in meinem Leben da beschenkt worden bin. Denn das bin ich und das weiß ich heute besser als je zuvor.

Sie hat niemals dazwischen gefunkt, wenn es um die typischen Auseinandersetzungen zwischen meinem Vater und mir ging. Sie hat immer Platz gehabt für uns in ihrem Haus, in ihrem Heim, in ihrem Herzen, selbst wenn wir den Platz nicht wollten – er war da. Sie hat die Beziehung meines Vaters zu mir und zu meinen Geschwistern immer gestärkt und niemals torpediert, im Gegenteil. Ich weiß, dass sie häufig im Hintergrund besänftigt hat und wie oft sie auf Dinge verzichtet hat zugunsten von uns, den Kindern, die gar nicht ihre eigenen waren. Als Teenager habe ich das nicht sehen können und als junge Frau habe ich noch einige Zeit gebraucht, bis ich es tatsächlich sehen wollte: sie hat geliebt, die ganze Zeit, nicht nur meinen Vater, auch mich und meine Geschwister.

Im Oktober haben mein Vater und seine Frau, meine Stiefmutter, ein Fest gefeiert und ihre Geburtstage gemeinsam begangen. Es waren Freunde da, Wegbegleiter, Kollegen und natürlich die Familie: meine Geschwister und ich, unsere Männer, Frauen und Kinder. Wir haben erstmalig die Gelegenheit ergriffen, in einer Rede diese Beziehung zu ihr, unserer Stiefmutter, zu würdigen und ihr vor allen zu sagen, dass wir sie lieben und ihr dankbar sind für ihre Liebe und ihren langen Atem in all den Jahren, in denen sie nicht von uns gelassen hat.

Ich schreibe hier regelmäßig über meine Mutter, die ich geliebt habe und viel zu früh begraben musste. Ich schreibe darüber, was ich verloren habe und was für ein wundervoller Mensch sie war. Ich schreibe darüber, wie sie als Mutter war und wie sehr mich das bis heute darin prägt, was für eine Art Mutter ich für meine Kinder sein will. Diese Bindung und diese Beziehung sind einzigartig, und sie wird mir für immer fehlen.

Aber heute ist der Tag, an dem ich zum ersten Mal über die Person schreiben will, zu der meine Beziehung ebenfalls einzigartig ist: meine Stiefmutter, die immer für mich da ist und die mich liebt, so wie ich bin. Die meine Schwächen und Fehler kennt und dahinter sehen kann, wer ich tatsächlich bin. Die mein Leben seit 25 Jahren begleitet und mich aus der zweiten Reihe immer mit gestützt hat, selbst wenn ich es nicht wusste oder erkennen konnte. Die mich und meine Liebsten im Guten wie im Schlechten begleitet und liebt, komme was wolle, und die sogar in den unmöglichsten Situationen noch zu dieser Familie steht, selbst wenn sich alle Welt die Mäuler zerreisst.

Und deshalb und noch aus vielen anderen Gründen, gehört sie auch unbedingt in meine Themenreihe von Müttern und Töchtern: die Stiefmutter. Meine Stiefmutter. Stiefmütterchen. Die einzig wahre.

Hab ich ein Glück!

signatur

 

Last Updated on 25. November 2014 by Anna Luz de León

7 Comments

  1. wirklich sooo schön geschrieben! toll! das thema ist in meiner familie recht präsent, weil meine mutter die dritte meines vaters war, und aus jeder vorangegangenen ehe hat er 2 kinder mitgebracht. letztendlich waren es 7 kinder über einen zeitraum von 30 jahren… eine kunterbunte familie, die das thema stiefmutter und halbgeschwister in den verschiedensten abstufungen zu genüge kennt. obwohl ich es nicht aus eigener erfahrung sagen kann, denn meine mutter ist ja meine mutter, aber so wie es meine geschwister ausdrücken, war sie letztendlich eine sehr gute stiefmutter, die ähnlich heldenhaft ihre liebe zu den ihr anvertrauten kindern erkämpft und verteidigt hat. so war es ihr auch wichtig, dass wir uns alle als “echte” geschwister sehen und dass manche meiner brüder und schwestern “nur” halbgeschwister sind, das habe ich wohl erst so richtig wahrgenommen, als ich ein teenager war. ich finde solche frauen einfach toll und ziehe meinen hut vor ihnen, denn die stiefkinder haben es ihnen bestimmt nicht immer leicht gemacht! die personen an sich stehen im vordergrund und nicht der verwandtschaftsgrad!
    und wie es der zufall nun so will, bin ich auch nun auch eine stiefmama… :-)
    lg kathrin

  2. Wie schön, ich hatte Tränen in den Augen. Ich finde es bewundernswert, wenn man die Kraft hat, sich so um Kinder zu kümmern, die nicht die eigenen sind bzw. sich so hinter sie zu stellen. Wobei ich weiß, dass es wirklich nicht immer einfach, aber manchmal auch superschön ist. Mein Freund hat einen kleinen Sohn (fast 5) und der hat mir am Sonntag lange und ausführlich erklärt, dass ich doch seine Stiefmama wäre und wie toll es ist 2 Mamas und 2 Papas zu haben und das die alle auf ihn aufpassen. Nun ist der Kleine aber nur jedes zweite Wochenende bei uns und nicht jeden Tag und er ist auch noch nicht in so einer schwierigen Phase und generell recht “pflegeleicht”, was den Umgang mit “Fremden” angeht. Aber trotzdem merke ich auch, wie sehr er mich fordert und wie sehr mich auch die Situation fordert und wie oft ich an diesen Wochenenden zurückstecke. Und ich wüßte nicht, wie es wäre, wäre er immer da. Aber wahrscheinlich ist es dann auch wieder alles anders und man wächst da rein. Auf der anderen Seite ist es aber auch toll, wenn Dich ein kleiner Mensch mitten in einer Menschenmenge anschaut und sagt: Ich hab Dich lieb!
    LG, Stephi

  3. Auch von mir ein DANKE! Ich bin auch eine Stiefmutter – nicht so eine, wie im Mäarchen natürlich.
    Ich wäre sehr dankbar, in einigen Jahren so einen Text mal von meinen Stiefkindern zu lesen.

  4. Liebe Anna Luz,

    Danke für Deine ermutigenden Zeilen!
    Ich bin eine Stiefoma ohne eigene Kinder und es hat Jahre gedauert, bis ich in´s Oma-sein hineingewachsen bin bzw. mich getraut habe, mich als Oma zu fühlen und zu verhalten. Ich wollte ja niemandem etwas “wegnehmen”. Aber inzwischen mache ich die gleiche Erfahrung wie Du: der
    2. Generation ist es völlig egal, ob ich die leibliche Oma bin. Ich bin auch eher der 2.-Reihe-Typ und froh, zu lesen, dass auch das wichtig ist und wahrgenommen wird.
    Mit herzlichen Grüßen
    Angela

  5. Und wieder… geweint. Zwar ist die Stiefmutter in meinem Leben kein thema, wohl aber die Stiefoma, die ich beim Vornamen nenne – da ich, als sie meinen Opa heiratete, bereits 19 Jahre alt war. Meine Kinder aber nennen sie Oma, und das ist schön. Ich freue mich für meinen Opa, dass er meine Stiefoma kennen- und lieben gelernt hat.

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