Trauer. Wie verläuft sie? Wie fühlt sie sich an? Was macht sie mit uns? Wie trauert man "richtig" und was hilft Trauernden eigentlich wirklich? Seit die Trauer zu meinem Leben gehört, befasse ich mich hier immer wieder mit den verschiedenen Aspekten von Verlust und der damit verbundenen Trauer – und im Moment kommen so viele Erinnerungen, denn gerade ist der Vater einer lieben Freundin von mir gestorben. Ähnlich wie damals bei meiner Mutter war das seit einiger Zeit absehbar und auch sonst gab es einige Parallelen, so dass die Bilder von damals wieder ganz nah sind.

Also versuche ich heute mal wieder, mich dem Thema Verlust und Trauer schreibend zu nähern. Ich denke darüber nach, wie sie sich anfühlt, wenn sie neu in unser Leben tritt. Wie sie sich zusammensetzt und dass es das kaum je gibt: pure Trauer. Darüber, wie sie sich anfühlt, wenn sie einen ganz konkret trifft. Von den Verdrängungsmechanismen und dem Schockzutand, von der vodergründigen Geschäftigkeit und den nächtlichen Zusammenbrüchen.

Und davon, wie die Trauer in die Seele einsickert und sich dort einnistet, ganz allmählich und mit einer langsamen Bewegung, weil sie weiß, sie hat alle Zeit der Welt. Sie ist gekommen, um zu bleiben.

Der Vater meiner Freundin war lange krank. Ich habe in den letzten Monaten gesehen, wie sie zwischen hier und dort hin und her ging, wie sie versuchte, alles zu sein und alles zu tun. Für ihren Vater und für ihre Familie, hier in Berlin und dort, in ihrer Heimatstadt, wo ihr Vater immer kränker und immer schwächer wurde und dem Unausweichlichen entgegen ging. Ich kenne das so gut, dass mir ganz übel wurde, jedes Mal, wenn sie schrieb: "Wir können uns doch nicht treffen, ich muss wieder hinfahren. Es geht ihm so schlecht…" Aus ihren Zeilen sprach die Sorge um ihren Vater, aber auch diese Zerrissenheit zwischen hier und dort, dem vollen Leben mit den Kindern und dem leisen, langsamen Abschied, der sich am anderen Ender der Strecke immer deutlicher zur Geltung brachte.

Dann passiert es. Der Tag X ist da, der Anruf kommt: er ist gestorben. Sie schreibt mir eine Nachricht, sagt unsere Verabredung fürs Mittagessen ab und sagt, sie muss los. Sie fährt dorthin, jetzt, sofort. Sie schreibt, was alles zu tun ist, wie alle verrückt zu spielen scheinen um sie her und wie sie versucht, die Balance zu halten. Und während ich ihre Nachricht lese, ist alles wieder da.

Ich, an der Ostsee, im verregneten Sommer 2011. Ich, am Rhein, am Sterbebett meiner Mutter, im Sommer 2011. Zwischen diesen beiden Polen gehe ich hin und her wie eine Perle auf einer zum Zerreißen gespannten Schnur, und es ist wirklich so, als würde ich zerreißen. Ich weiß nicht, ob ich seitdem wirklich je darüber gesprochen oder gar geschrieben habe, aber es war unerträglich. Wenn ich an meine Freundin denke und daran, wie es ihr jetzt wohl geht und in den letzten Monaten ging, weiß ich es wieder, und es fühlt sich an, als ob es gestern gewesen wäre.

Zerrissenheit & Überforderung: Es wartet nur der Tod.

In der präfinalen Phase im Leben meiner Mutterkam ich mit meinen bisherigen Strategien plötzlich an eine Grenze. Waren vorher unsere Rollen mit- und füreinander ganz klar gewesen, kam ich jetzt ins Schleudern. Was sollte ich tun? Was würde sie sich wünschen? Wer soll ich jetzt für sie sein? Ich konnte sie nicht fragen.

In den Monaten und Jahren zuvor, während derer sich die Krankheit, die Therapien und ihre vielseitigen Folgen allmählich zugespitzt hatten, war meine Rolle klar gewesen: ich war 600km weit weg, also konnte ich nicht die notwendigen Gänge zum Arzt und zur Chemo und zu anderen widerlichen Notwendigkeiten mit ihr gehen, das mussten hauptsächlich mein Bruder und die liebsten Freund*innen vor Ort tun. Ich konnte sie auch nicht bemuttern, wie ich es sonst getan hätte, also versorgten andere liebe Menschen sie mit Essen und Büchern, mit schöner Musik, guten Gesprächen und liebevoller Gegenwart, wenn es ihr schlecht ging. Aber sobald es ihr minimal besser ging, kam mein Einsatz: ich fuhr mit den Kindern hin oder holte sie zu mir nach Berlin, nahm sie mit an die Ostsee und sogar nach Portugal und sorgte dafür, dass sie schöne Ausblicke hatte, optimistische Perspektiven entwickelte und sich auf Dinge freute. Wir waren die Belohnung nach einem überstandenen Chemozyklus oder einer OP, wir waren der Strandkorb am Meer, das Familienfest im Garten, der Besuch in der Philharmonie und das Picknick im Park. So war es bis zum Schluss. Und als der kam war ich mit dieser Rolle am Ende, denn es gab nichts, was noch hätte kommen können. Es wartete nur der Tod.

Das machte mich hilflos und auch wütend. Und ich war schnell in einer Überforderungsschleife gefangen, denn die Anforderungen des Familienalltags gingen ja genauso weiter, wie zuvor. Da wartete der Strandkorb am Meer voll mit fröhlichem Kinderlachen, Geplansche in der Ostsee und Lagefreuer am Strand auf der einen Seite und das Ausharren am Sterbebett am Rhein auf der anderen Seite. An beiden Orten war ich gefordert und wollte ganz dort sein – an beiden Orten scheiterte ich mit diesem Anspruch an mich selbst. Ich erinnere mich an kaum eine andere Phase in meinem Leben, in der ich so sehr das Gefühl gehabt hätte, nicht ICH sein zu können, so sehr darunter gelitten zu haben, nicht alles sein zu können, was in mir war – die Mama am Ostseestrand und die Tochter am Sterbebett, 760km dazwischen. Ich glaube, ich habe selten als erwachsener Mensch so hilflos geweint, wie in diesen Wochen.

Dann starb meine Mutter.

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Trauer: Erleichterung & Schuldgefühle

Von meiner Mutter hatte ich mich bei unserem letzten Abschied mit den Worten getrennt: "Ich muss zu den Kindern, ich komme bald wieder.", in dem Bewusstsein, dass ich nun möglicherweise nicht da sein würde, wenn sie starb. Zu dem Zeitpunkt bekam sie bereits Morphium und war sehr weit weg, sie öffnete die Augen und nickte mir zu, als ich mich über sie beugte. Das war das letzte Mal, das ich sie lebend sah. Seitdem hatte ich wieder ein paar Tage mit den Kindern verbracht und wollte nun zurück ans Sterbebett. Ich war gerade dabei, an der Ostsee meine Koffer zu packen, um am nächsten Tag wieder an den Rhein zu fahren, als mein Bruder mich morgens anrief und mir erzählte, es habe sich etwas verändert, man ginge davon aus, dass sie heute sterben würde. Es war der 05. August, die Sonne schien, ich saß auf der Treppe im Ferienhaus und – verstummte.

Die Gefühle in mir kann ich kaum beschreiben, auch heute noch fällt mir das schwer. Dass das Leben meiner Mutter jetzt tatsächlich zu Ende war, war mir nur auf einem abstrakten Level klar, gefühlsmäßig sickerte das nur allmählich durch. Es dauerte Tage, wahrscheinlich bis zu dem Moment, als ich sie beim Bestatter noch einmal sah, bis ich anfing, zu begreifen. Dennoch spürte ich spontane Verzweiflung und Schuldgefühle ihr gegenüber, weil ich jetzt nicht bei ihr war.

Tatsächlich starb meine Mutter an diesem Tag, ohne dass ich oder eins meiner Geschwister bei ihr waren. Sie wählte eine ihrer engen Freundinnen als Begleiterin für diesen Moment aus und ließ los, während alle anderen nach Stunden an ihrem Bett zum Essen gegangen waren. (Ja, ich schreibe bewusst, sie wählte. Ich bin mir sicher, dass das ein bewusstes Loslassen war, aber das ist wieder ein Thema für einen anderen Blogbeitrag.)

In mir stritten zwei große Empfindungen, die sich in die Trauer mischten: ein spontanes Gefühl der Erleichterung, weil eine schwere Phase für uns alle abgeschlossen und das unausweichliche Ende eingetreten war, vor dem wir uns die ganze Zeit gefürchtet hatten. Und das noch stärkere Schuldgefühl, das sofort einsetzte, kaum hatte ich die Erleichterung in mir identifiziert. Weil man nicht erleichtert sein darf, wenn ein geliebter Mensch stirbt, nein, das ist nicht in Ordnung. Ich fragte mich, was mit mir nicht stimmte, dass ich diese Welle der Erleichterung gespürt hatte und fühlte mich sofort schuldig. Und ich traute mich nicht, mit jemandem darüber zu sprechen, bis ich irgendwann am nächsten Tag vor meinen Geschwistern stand und wusste: sie hatten es auch gefühlt.

Ein Meer voll ungeweinter Tränen: Verinnahmung, Verdrängung & Abwehr

Jetzt kam die geschäftige Phase. Wir mussten die Beerdigung organisieren, Entscheidungen über die Trauerfeier treffen, über die Musik in der Kirche und auf dem Friedhof, über Leichenschmaus oder Gartenparty (wir hatten eine Gartenparty, ganz wie meine Mutter es gewollt hatte), über Einladungstexte und Traueranzeigen in der Zeitung. Dazwischen meine Kinder mit ihrer jeweils sehr individuellen und unmittelbaren Art, zu trauern. Der Bub, der nicht essen wollte, wenn "die Oma mich nicht füttert" und das Herzensmädchen, das sich im Schlafzimmer meiner Mutter in deren Bett legte, weinte und nicht mehr rauskommen wollte. Der Horror. Doch ich war nicht allein und ich war beschäftigt, die ganze Zeit. Keine Zeit für Tränen oder Trauer, keine Zeit, diesen Gefühlen auf den Grund zu gehen.

Aber ich spürte, wie sich etwas in mir verhärtete und hörte mich gemeine Sachen sagen zu Menschen, von denen ich glaubte, sie trauerten nicht wie wir, nicht wie ich, die Tochter. Ich wurde furchtbar wütend auf Personen um uns herum, die irgendwelche Interpretationen des Wesens meiner Mutter abgaben oder mir sagen wollten, was sie glaubten, was ihr gefallen hätte. Wie sie gewesen sei. Ich hasste die, die ihre eigene Version meiner Mutter beweinten und sie auf diese Weise vereinnahmten, denn ich fand, das stünde ihnen nicht zu. Niemandem außer meinen Geschwistern und mir stand überhaupt irgend etwas zu in diesem Moment, fand ich und ich verteidigte wütend unsere Grenzen. Ich mochte diese wütenden Gefühle nicht, ich mochte mich so nicht, und ich sehnte mich nach Ruhe und nach Einsamkeit. Ich wollte allein sein und weinen, aber es ging nicht. Ich funktionierte und regelte und organisierte und kümmerte mich um meine Kinder und um die Blumen, um meine Schwester und um die Musik, um lästige Telefonate und um das Essen – und ich hasste die Menschen. Ich fühlte mich unendlich einsam und furchtbar traurig und ich spürte, dass der eine Mensch, der mich jetzt g e s e h e n hätte, wenn er nur da gewesen wäre, der war, den ich in Ruhe beweinen wollte: meine Mutter. Aber der Moment für die so nötigen Tränen kam nicht. Er kam noch lange nicht.

Ich lief weiter herum voller Abwehr und Schmerz, voller Trauer und Wut, voller Schuldgefühle und Verdrängung. In mir dieses Meer voll ungeweinter Tränen und kein ruhiger Ort für mich, an dem ich sie hätte kommen lassen dürfen.

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Eine Art von Glück: Dankbarkeit und Demut

Trotz der ungeweinten Tränen konnte ich nach ein paar Tagen den Blick heben und ein Stück von meiner Wut loslassen. Das lag an den Menschen um mich herum, die nicht locker gelassen haben.

An der Kinderfrau meiner Kinder, die aus Berlin kam, nachdem ich um Hilfe gerufen hatte. Die einfach da war und mir Dinge abnahm, liebevoll und zugewandt zu meinen Kindern und mir, ein Stück sicherer Boden aus meinem Alltag, der mir Halt gab. An meiner liebsten Freundin, mit der ich seit fast dreißig Jahren verbunden bin und die am Tag vor der Beerdigung in Berlin ins Flugzeug stieg und kam, um bei mir zu sein. Ich weiß, dass sie sich natürlich selbst verabschieden wollte, aber ich wusste auch, dass sie zu mir kam. Dass sie eine der Personen war, die mich in meinem Elend erkannte und die mir durch ihr Kommen zeigte: ich bin an deiner Seite, ich kenne dich, auch heute, ich lass dich nicht allein. Es lag an den Schwestern und engsten Freundinnen meiner Mutter, die noch da waren, wie ein Teil von ihr und uns als "die Kinder" betrachteten. Das tat so gut. Es lag an meinen Freundinnen aus Kindheitstagen, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich seit meiner Geburt kenne, Menschen, die mit uns auf dem Friedhof standen, um bei uns zu sein, so wie wir bei den Beerdigungen ihrer Eltern da waren und da sein werden. Es lag an meinen Geschwistern, die mir in dieser Phase noch näher waren, als ohnehin schon, vor denen ich nichts verbergen musste und wo ich alles sagen und sein durfte, was auch gerade in mir los war. An meinem Vater und seiner Frau, die uns bei jedem Schritt begleiteten, uns nie verließen, sich selbst zurück stellten und für uns da waren.  An meinen Kindern, die trotz allem unbeschwert spielten und lachten und mir die Tage erhellten. An meinen Schwiegereltern, die um uns herum waren wie gute Geister, die Kinder mit betreuten und uns so viel abnahmen, in allen Belangen. Und an meinem Mann, der gar nicht viel sagte, aber der stets an meiner Seite war, der ohne Absprache Dinge übernahm, die mich überforderten, der auf mich schaute und wie es mir ging und der wortlos jede Nacht seine Arme öffnete, damit ich darin wenigstens kurz zur Ruhe kommen konnte.

All diese Menschen und noch viele mehr gaben mir ein Stückchen Frieden zurück. Ein bisschen Licht. Die Sicherheit, in Liebe aufgefangen zu sein mit meiner Trauer. Und all das gab mir das Gefühl von Dankbarkeit und Demut, von ein bisschen Glück trotz all der Trauer. Das war ein großes Geschenk: zum ersten Mal bewusst traurig glücklich zu sein. Meine liebste Art von Trauer, wenn es sowas gibt. Und schließlich die, mit der ich bis heute lebe.

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"Sorrow floats"* 

Es dauerte Monate, bis sich bei einem Anruf meines Bruders, meiner Schwester oder meines Vaters nicht automatisch meine Brust verengte in der Erwartung von schlechten Nachrichten. Es dauerte Monate, vielleicht Jahre, bis ich gelernt hatte, dass ich nun nichts mehr tun konnte. Es dauerte Jahre, bis ich bestimmte Bilder in mir in Relation gesetzt hatte und bis sich die Erinnerungen an die letzten Wochen und Monate im Leben meiner Mutter gleichwertig einsortiert hatten in die vielen vielen Erinnerungen aus 38 Jahre Leben, die ich mit ihr teilen durfte. Und es dauerte ebenfalls Jahre, bis ich alle schlimmen Augenblicke und schmerzlichen Bilder aus dieser Zeit loslassen konnte.

Die Erinnerung an diese Phase ist heute, fast fünf Jahre später, verblasst. Ich habe die Details vergessen, bestimmte Dinge ganz gelöscht, ich brauche diese kleinteiligen Erinnerungen nicht mehr, sie sind nicht mehr wichtig. Die Spuren aber, die diese Zeit in mir hinterlassen hat, sind nicht verblasst. Sie sind in mir. All das hat mich verändert. Ich bin eine andere als zuvor, aber auch das kann ich so annehmen, wie es ist: nur eine Veränderung, keine Definition meiner Person.

Trauer ist vielschichtig. Und mächtig. Sie kann uns lähmen, uns vereinnahmen und anfüllen mit einer Wucht von Gefühlen, die wir sonst im Leben kaum kennen. Sie ist wie die Schattenseite von großer Liebe oder großem Glück – etwas, das schon immer da war als Möglichkeit und das sich jetzt entfaltet. Gekoppelt an die unbarmherzige Erfahrung von totalem Verlust, ist sie wie ein Schatten, der uns fortan begleitet, mal heller, mal dunkler, aber immer da. Und zugleich ist sie das, was den Gegenpol, das Glück, die Liebe, den Genuss all der schönen Dinge dieser Welt, noch heller leuchten lässt. 

Heute schreibe ich darüber für alle, die das gerade durchmachen. Oder es schon erleben mussten. Und für die, die bei denen sind, die trauern: ihr müsst das aushalten und geduldig sein und einfach da bleiben. Es dauert so lange es dauert, manchmal ein Leben lang.

Passt auf euch auf.

 

signatur

*Aus "Hotel New Hampshire" von John Irving

26 Kommentare

  1. Ja. Sorrow floats. In einem Meer von Tränen, denn es triggert mich. Der Tag rückt wieder einmal unaufhaltsam näher. 

    Loslassen. Bewusst gehen. Die Erfahrung teile ich. Sollte ich vielleicht auch niederschreiben. 

    Beneidenswert, wenn man ein "Dorf" hat, das einen trägt.

  2. WOW. Am Anfang dachte ich: zu lange um zu lesen. Beim ersten Satz war ich schon weg und las wie in  Trance. Danke, wunderschön. Ich bin "die an der Seite stand". 

    Jetzt, dank Dir, habe ich das fast aus den Augen meines Mannes erlebt. Und gelitten. 

    Danke.

    Das Leben ist ein Leben lang zu leben. Mit all den Gefühlen die man fühlt.

  3. Danke, daß du das alles mit uns teilst. Irgendwann, wenn es bei mir so weit ist, werde ich deine Posts bestimmt nochmal alle hervorkramen und bestimmt werden sie mich in irgendeiner Form trösten.

    Gerade nach dem Aufwachen schaute ich eigentlich auf mein Handy, um zu schauen, ob mein Bruder Vater geworden ist. Er wurde gestern Abend ins Krankanhaus gerufen :-) Aber noch nichts-stattdessen von Bloglovin der Hinweis zu Deinem Post und jetzt sitze ich hier und flenne und denke an den Sommer 2011, ich glaub es war auch Anfang August, als die Mutter meiner guten Freundin starb. Sie hatte ihre Familie in den Urlaub geschcikt und konnte sich die letzten Tage ganz ihrer Mama widmen. Ein halbe Stunde, nachdem sie gegangen war, rief sie mich an. Dieses Telefonat werde ich nie vergessen.

    Aber heute warte ich auf einen freudigen Anruf und meine Mama mit mir. Das ist das Leben.

    Und ich wünsch dir auch einen schönen Tag! Kennst Du den?:

    Mütter sterben nicht, gleichen alten Bäumen.
    In uns leben sie und in unseren Träumen.
    Wie ein Stein den Wasserspiegel bricht,
    zieht ihr Leben in unserem Kreise.
    Mütter sterben nicht,
    Mütter leben fort auf ihre Weise.

    GLG, Yvette

  4. Manchmal muss man gehen, um jemanden gehen lassen zu können.

    Mein Mann starb, als ich mit meinem Kindern einen kurzen Spaziergang machte. Immer wenn ich an diesen Moment denke, erinnere ich mich an diesen Satz, den ich an diesem Tag öfter gesagt bekam.

  5. Du hast es so gut in Worte gefasst. Ich kann es immer noch nicht so richtig, obwohl meine Mutter nun schon 5 Jahre weg ist. Mein Stiefvater starb letzten Winter. "Nach oben hin" ist da nichts mehr. Die Trauer kommt und verschwindet wieder unter dem Meer der Geschäftigkeit, aber sie ist unterschwellig immer da. Ich sehe es im Spiegel, an meinen Augen. Das unbekümmerte Lachen daraus ist verschwunden. 

    Du schreibst, deine Mama hat den Zeitpunkt gewählt. Davon bin ich überzeugt. Bei meiner war es auch so, und ich glaube, dass auch ich es so halten möchte, wenn es mir vergönnt ist. Es wäre die letzte mütterliche Tat, den Kindern diesen Moment zu ersparen, denke ich….

    Ganz lieben Gruß

    Gabi

  6. Wie eigentlich immer bei deinen Posts übers Trauern oder Vermissn sitze ich hier und weine. Nicht nur eine einsame Träne, nein, richtig weinen. Wenn sie mich gleich in der Kita auf meine roten Augen ansprechen, werde ich es auf den Heuschnupfen schieben… Ich bin unheimlich dankbar, dass ich meine Eltern noch habe und kann und will mir nicht vorstellen, wie es irgendwann ein Mal sein wird, wenn ich sie nicht mehr fragen kann, sondern funktionieren muss. Neben der Trauer und Wut ist so viel Liebe zwischen den Zeilen. Ich drück dich, liebe Anna! Danke für diesen Text!

  7. Danke!

    Für das Thema, ich hadere die ganze Zeit mit mir, selber darüber zu schreiben – eine ganz andere Perspektive – ich denke ich fange direkt jetzt damit an!

    Dir, schöne goldene Momente im Herzen!

     

  8. Ich erinnere mich an meinen ersten Gesdanken, als die Todesnachricht kam. "Endlich!"

    Ich habe mich lange dafür geschämt, dass ich das dachte. Aber endlich wurde dem grausamen Leid meiner Mutter ein Ende gesetzt. 

    Das war dann sehr lange in den Köpfen meiner Familie. Erst lange Zeit später konnten wir uns wieder an die schönen Momente erinnern, die wir miteinander erlebten.

    Ja, es hat uns für immer verändert.

    Danke fürs Mit-Teilen! ♥

  9. Liebe Anna,

     

    Du hast das wieder mal so gut in Worte gefasst. Ich konnte letzte Nacht nicht schlafen und habe den Text irgendwann in den ganz frühen Morgenstunden gelesen. Jeden Satz kann ich so gut nachempfinden! Als meine Mutter starb, war ich 30. Ich vermute, ich werde den Rest meines Lebens um sie und um meinen Vater trauern, der 9 Jahre nach meiner Mutter einfach plötzlich tot umfiel.

    Ein Meer von ungeweinten Tränen – ich kenne dieses Gefühl so gut.

     

    Danke für diesen unglaublich gut geschriebenen Text.

     

    Liebe Grüße

    Susa

  10. Liebe Anna,

    wieder einmal von Herzen DANKE für diesen wundervollen, berührenden, wahren Text.

    Mehr kann ich gerade gar nicht schreiben, da die Tränen nur so fließen.

    Alles Liebe,

    Katrin

  11. Liebe Anna, 

    vielen Dank für Deine Zeilen. Ich musste gerade weinen. Im Januar starb mein Schwiegervater nach langer Alzheimerkrankheit – drei Tage nachdem ich erfahren habe, dass das Kind in meinem Bauch nicht mehr lebt. Mein Mann durfte bei seinem Vater sein, als dieser starb. Mich hatten sie vorher weggeschickt. Das war alles genau richtig so. Trauer vergeht nicht, Trauer wird nur anders. Und im Alltag mit den beiden Kindern, bei der Arbeit, in vielen kleinen und großen Momenten, zeigt sie sich immer wieder. Das ist nicht nur traurig, sondern oft auch ein ganz bewusstes Innehalten, für das ich dankbar bin.

  12. Pingback: Trauer ist vielschichtig | Der rote Faden

  13. Mein Sohn verstarb 2007, 4 Tage vor seinem 5. Geburtstag und 1 Tag vor Heiligabend … Er war von Geburt an schwer nierenkrank, dazu kam mehrere größere Baustellen. Nach einer fehlgeschlagenen Nierentransplantation Anfang 2007 ging es ihm zunehmend schlechter. November 2007 musste er ins Krankenhaus, wo er nach 3 Wochen nach 2 OPs in Koma fiel und nicht mehr aufwachte. Wir standen vor der Entscheidung, die Geräte abschalten zu lassen oder nicht. Wir haben uns dafür entschieden, weil er genügend gekämpft hatte.

    Nun lese ich hier bei Dir, und es ist alles wieder da, aufgrund deiner Aussage, wie erleichtert du zuerst warst und dann die Schuldgefühle ob der Erleichterung kam – genau SO, das war es, was ich damals fühlte. Er hatte genug gekämpft, er sollte gehen dürfen – dann war es als fiel mir ein Stein vom Herzen, als er gegangen war, nicht wegen mir, sondern deswegen, weil er sich nicht mehr quälen musste. Aber zugleich der Gedanke "so was kannst du doch nicht denken" – es ist so widersprüchlich und zwiespältig und wer es nicht erlebt hat, kann es einfach nicht nachvollziehen.

    Ich muss gestehen, der Rest deines Textes lief jetzt an mir vorbei, weil ich nur noch an diese Aussage denken konnte.

    Heute, 9 Jahre später, kann ich damit umgehen, aber es hat sehr lange gedauert….

    LG
    Anke

  14. Danke für deinen Post, ich habe meine Mama im Januar an Krebs verloren. Nur einen Monat nach der Diagnose starb sie. Heute war wieder ein Tag an dem ich mich schwerer fühlte beim Aufstehen als sonst, dann stoße zufällig auf deinen Blogpost und musste viel weinen. Es schmerzt und es erleichtert ein bisschen.

    Danke.

     

    taly

  15. Ich befinde mich momentan das 3te mal in dieser Phase. Das 3te mal muß ich loslassen. 

    Für mich ist das schlimmste das es aus der "Ursprungs-Familie" nur noch mich gibt. Mit nur 42 Jahren stehe ich jetzt ganz alleine da. Kann keinen mehr fragen: du, erinnere ich mich richtig, oder war es am Ende ganz anders?

    Viele sagen mir das ich doch schon lange meine eigene Familie habe, dass ich doch nicht alleine bin. Natürlich ist das einerseits so, andererseits ist meine Rolle in meiner Familie eine ganz andere. Hier bin ich der "Macher", die Person die halt gibt und für alle da ist. Schon lange bin ich keine Tochter mehr und nun auch keine Schwester. 

    Meine Kinder, mein Mann und vor allem 3 Freundinnen halten aus. Sind immer für mich da. Aber es ist nicht das Gleiche. Und trotzdem bin ich ihnen unsagbar dankbar das sie mich aushalten! 

     

  16. 3 Monate Ohnmacht. Hilflosigkeit. Wut und Trauer.

    Von der Diagnose Leberkrebs bis zum Tod. Trotz Begleitung meiner Mutter in dieser Zeit konnte ich mit ihr nichts aufarbeiten, besprechen, regeln – sie hat das Sterben abgelehnt.

    So blieb ich zurück. 2 Jahre ist das fast her und ich kann es immer noch nicht wirklich glauben – obwohl ich beim Sterben ihre Hand hielt und es gesehen habe….

    Danke für Deine so treffenden Worte!

    Katja

  17. Ich wünschte ich könnte es auch

    Meinen Gefühle in Worte fassen. Ich hab immer das Gefühl mein Kopf ist zu voll, es ist zu viel Unruhe um die Emotion zu greifen und ihr einen Namen zu geben. Es ist zu wirr. Ich bin so beindruckt davon, wie es dir gelingt, immer und immer wieder. Es macht mich noch ein wenig sprachloser.   Ich denke das möchtest du auch. Ich bin wie immer platt und auch jetzt fehlen mir die richtigen Worte um es zu beschreiben. Es ist glaub ich eine Gabe, die der eine hat und der andere halt nicht. Wollte ich schon lange mal gesagt haben. Ich hoffe ich konnte mich in meinen Worten einigermaßen verständlich machen. 

    Ganz liebe grüße Anika

  18. Als meine Mutter an Krebs starb, war Sie erst 46, ich 22-jährige Studentin, mein Bruder 19 und gerade im Abistress. Dieses Jahr, zum ersten Mal, ist mir im Wirbel des Alltags ihr Todestag untergegangen. Aber es sind schon 18 Jahre her.

    Die Trauer vergeht nicht. Familienfeier, die Geburt der Kinder, der Muttertag sowieso, ja sogar die sonnigen Augenblicken des Glücks und sie kriecht aus dem Loch des Unterbewusstseins.

    Aber sie kann auch beflügeln, auch wenn dies vielleicht so unpassend klingt. Wäre meine Mama nicht gestorben, wäre ich wahrscheinlich nie von einer guten Studentin zur einer der Jahrgangsbesten geworden, 3 Stipendien in Folge gewonnen, hätte ich mit 24 nicht meinen Roman geschrieben (zwar nie veröffentlicht, aber zumindest habe ich es getan), mich nach Deutschland gewagt und so weiter. Sogar ein Auto haben wir gewonnen, damals, wo wir drei nach einem Friedhofspaziergang zu Allerheiligen so dringend Trost brauchten und unseren familieneigenen absurden Sinn für Humor für das Erfinden von  Werbeslogans nutzten, wovon einer tatsächlich gewonnen hat. Klar, oder heute ist mir klar, es war eine Flucht nach vorne. Und ganz ehrlich – ich hätte Vieles von diesen vermeintlichen Erfolgen zurückgegeben, wäre Sie noch unter uns. Aber sie ist ja da, und schickt uns manchmal kleine Zeichen, die Häufungen der Zufälle, die sogar der Außenstehenden komisch vorkommen, wie z.B. die dreifache Wiederholung eines Geburtstags im Kreise der nächsten Familie (nur Mädchen und nur 2 Tage vor Ihrem Geburtstag). Mama, ich liebe Dich und verzeih, dass ich dir das vielleicht nicht gesagt habe – du warst die Beste Mama, die ich mir erträumen konnte.

  19. Liebe Anna,

    dein Text tut mir so gut, weil er mir aufzeigt, dass ich nicht alleine bin mit den widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen, die in mir toben.

    Im Sommer letzten Jahres wurde bei meiner Mama ein Bronchialkarziom diagnostiziert.

    Sie war schlapp und müde, hatte keinen Appetit mehr. Da es in der Zeit war, als die Hitzewelle die 40°C Marke überschritt, schoben wir es zunächst darauf zurück. Nachdem sie innerhalb kürzester Zeit sehr an Gewicht verlor, brachte mein Paps sie ins Krankenhaus. Es erfolgte ein Untersuchungsmarathon, der zunächst jedoch kein Ergebnis brachte. Ihre Schwäche verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Hände, Füße und Beine wurden gefühllos, taub und lahm. Bis etwa 4 Wochen zuvor war sie noch regelmäßig zusammen mit meinem Vater und einer Seniorengruppe 15-20 km gewandert, jeden Sonntag. Und plötzlich konnte sie nicht mehr alleine essen, nicht mehr gehen, nicht mal mehr alleine stehen. Voll pflegebedürftig. Es hat etwa einen Monat gedauert, bis wir die Diagnose erhielten. Es folgte eine Chemo – für meine Ma mit nur noch knapp 34 kg ein Höllentrip. Und für uns Angehörige auch. Nach dem letzten Zyklus ist sie kollabiert und hat – entgegen aller Erwartungen – dennoch überlebt. Eine weitere Behandlung hatte sie abgelehnt und wurde nach Hause entlassen. Das war im November. Wir dachten nicht, dass sie Weihnachten erlebt – aber sie hat uns eines Besseren belehrt. Sie ist noch bei uns und es gibt bessere und weniger gute Tage. An Gewicht hat sie etwas zugelegt, aber die Lähmungen sind noch immer da.

    Ich habe keine Geschwister und versuche, mein Bestes zu geben. Neben meiner Berufstätigkeit, einem an Depressionen erkrankten Ehemann und einem 10jährigen Sohn, der zwar kein Kleinkind mehr ist, aber eben auch noch nicht so weit, als dass ich ihn sich selbst überlassen könnte.

    Ich würde gerne jedem 100%ige Aufmerksamkeit schenken: meiner kranken Mama, meinem Papa, für den die Lebensumstände gerade auch sehr schwierig sind, meinem Kind, meinem Mann, der mir gerne eine Stütze sein möchte, den ich aber nicht noch zusätzlich belasten möchte und meiner Arbeit. Geht aber nicht – ich kann nur stückchenweise Aufmerksamkeit verteilen, und irgendjemand "leidet" immer, muss immer verzichten. Was mir wiederum ein permanent schlechtes Gewissen verschafft. Ich bin immer "auf Abruf", kann seit Monaten nicht entspannen und traue mich nicht, irgendwo OHNE Telefon hinzugehen. Das macht mit der Zeit mürbe. Und ich ertappe mich manchmal dabei, wie ich denke, dass es vielleicht besser für alle wäre, wenn ein Punkt käme. Ein Abschluss. Und dann erschrecke ich vor mir selbst, wie unsensibel dieses Gedanken sind und wie furchtbar egoistisch. Wie emotionslos und kalt. Mir graut dann vor mir selbst. Vor allen Dingen habe ich schrecklich Angst vor dem "Tag X".

    Ich wache morgens auf und mache mir Sorgen, was an heute den Tag über passieren könnte. Ich schlafe abends ein mit den Sorgen, was die Nacht bringt. Und den Tag über belagern mich diese Sorgen auch. Natürlich werde ich immer wieder abgelenkt, aber so wirklich "geistig frei" bin ich nicht wirklich. Wie dunkles, schweres Pech, das an mir haftet.

    Hat Mama einen "guten Tag" freue ich mich – ich muss den Tatsachen (noch) nicht ins Auge sehen. Und gleichzeitig kommt aber wieder die Angst hoch "ist das morgen auch noch so ?" Hat sie einen "schlechten Tag" schwanke ich zwischen Beklommenheit und der Bereitschaft "loszulassen".

    Es sind Gefühle und Stimmungen, die ich so nicht kannte und nie zuvor erlebt habe. Nicht nur, dass ich bislang -zum Glück- noch nie davon betroffen war, einen mir sooo nahestehenden Menschen zu verlieren. Noch nie war ich in der Situation, dass ich einen "Abschied auf Raten" miterlebt habe. Alle Großeltern sind entweder völlig unerwartet oder nach schwerer, aber kurzer Krankheit verstorben.

    Was mir auch zu schaffen macht, ist sicherlich der "Rollentausch" – ich fühle mich oft genug wie ein hilfloses Kind, das nicht weiß, was es tun soll und die mannigfaltigen Gefühle in sich nicht einordnen kann. Aber ich muss stark sein, vernünftig, überlegt, organisiert. Muss Prioritäten setzen, Verantwortung übernehmen.

    Es ist schwer und es tut weh, es verändert mich. Es ist etwas noch nie Dagewesenes.
    Und daher taten mir deine Zeilen so gut – weil sie mir zeigen, dass ich nicht seltsam bin. Dass es durchaus sein kann, dass man weinen will und nicht kann. Und dass man sehr konträre Gefühle in sich tragen kann.

    Danke dir dafür !

    • Liebe Sabine, danke dir für deinen so persönlichen Kommentar und für deine Geschichte. All diese Gefühle kenne ich sehr gut und ich bin sicher, alle anderen Menschen in ähnlichen Situationen kennen sie ebenfalls. Ich wünsche dir Kraft für alles, was du aushalten und leisten musst. Und ich wünsche dir Platz und Ruhe für all die widersprüchlichen Gefühle, die kommen und gehen werden. Sie sind alle normal und haben ihre Berechtigung. Ganz liebe Grüße und alles alles Liebe für dich, Anna

  20. Pingback: »Es dauert so lange es dauert« // Mit der Trauer im Netz | Kaiserinnenreich

  21. Ich lese und weine, und ich lese und weine. Und ich finde mich wieder, auch ich war nicht am Stebebett meiner geliebten Frau, als sie sich zum Gehen entschied.

    Im Februar 2008 überlebte meine damals 55-jährige Frau einen sehr schweren Herzinfarkt. Das Herz leistete nur noch 28 % und eine schwere Polyneuropathie, verursacht durch ein 4-wöchiges künstliches Koma, quälten fortan ihre Füße. Nur tägliche Morphiumeinnahmen konnten den Schmerz etwas lindern.

    Ich fuhr täglich nach Hamburg, um meine Frau auf der Intensivstation zu besuchen. Stundenlang saß ich an ihrem Bett, las ihr Geschichten vor, hörte mit ihr "unsere" Musik, weinte vor Angst um sie, massierte ihre Füße…. Irgendwann wurde sie von den Ärzten geweckt. Es war mittlerweile Ostern, ich bin kein sehr gläubiger Mensch, aber ich verband ihre Rückkehr ins Leben mit der Auferstehung Jesus Christus. Ich brachte meiner Frau ein Osterei mit, allerdings konnte sie das noch nicht realisieren. Es dauerte noch viele Tage, bis meine Frau immer wacher wurde.

    Schließlich musste sie zur Reha, natürlich fuhr ich mit und ließ mir ein Bett in ihr Zimmer stellen. Tag und Nacht war ich nun mit meiner Frau zusammen, ich begleitete sie zurück ins Leben. In dieser Zeit wuchs unsere Liebe ins unermessliche. Wir waren so voller Glück, und ich war so naiv zu glauben, es geht nun immer so voller Glück weiter.

    Acht Jahre waren uns noch vergönnt, acht Jahre in denen meine Frau ihre Schmerzen in den Füßen ertrug ohne zu klagen. Acht Jahre, die uns zusammenschweißten wie Ying und Yang. Aber auch acht Jahre, in denen immer wieder Krankenhausaufenthalte erforderlich wurden. Viele Tätigkeiten konnte meine Frau nicht mehr verrichten. Ihre geliebten Spaziergänge über den Strand waren aufgrund der Polyneuropathie nicht mehr möglich, tanzen natürlich ebnefalls nicht. Aber sie war sehr kreativ, malte sehr große und ganz kleine Bilder, stellte Tiffanyarbeiten her, spielte auf ihrem Piano und kochte leidenschaftlich gerne. Doch unmerklich wurde sie immer schwächer, ohne dass es mir richtig bewusst wurde, gab sie ein Hobby nach dem anderen auf. Vielleicht wurde sie stiller, was ich auf ihre Schmerzen zurückführte.

    Silvester 2015/2016 prosteten wir uns zu auf ein tolles Jahr 2016. Daraus wurde nichts. Etwa ab März musste sie mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus. Kaum wieder daheim, stellten die nieren ihre Arbeit ein. Meine Frau musste vorübergehend an die Dialyse, kam anschließend wieder heim. Ein weiterer Krankenhausaufenthalt wurde erforderlich, der implantierte Defibrillator musste gewechselt werden. Es schlossen sich zwei weitere Krankenausaufenthalte an, schließlich wurde meine Frau ab August 2016 endgültig Dialysepflichtig. Alles ertrug sie, aber einmal, 4 Wochen vor ihrem Tod, sagte sie zu mir: "Ich habe solche Schmerzen, ich kann nicht mehr!" Ich nahm sie in den Arm und bat unter Tränen, noch etwas bei mir zu bleiben. "Ja", sagte sie ebenfalls weinend, "für uns mache ich weiter."

    Am Freitag, 16. September, habe ich meine Frau auf der Dialysestation überraschend besucht. Ihre Augen haben so sehr gestrahlt, sie hat sich gefreut wie ein Teenager. Abends habe ich für uns gekocht, meine Frau hatte keine Kraft mehr für Küchenarbeiten. Aber am Samstag gab sie mir einen Einkaufszettel und sagte: "Schatz, bald können wir wieder gemeinsam einkaufen. Bald brauch ich das Sauerstoffgerät nicht mehr, ich fühle mich schon wieder viel kräftiger. Und im Sommer leihen wir uns ein Wohnmobil, ich möchte mit Dir noch einmal zum Gardasee." Mein Gott waren wir in diesem Moment glücklich. Samstagabend schauten wir gemeinsam einen Film an. Meine Frau schlief vor dem Fernseher ein, erwachte zum Filmende und sagte: "Schade, ich schau mir den Film morgen früh noch einmal an." Dazu sollte es nicht mehr kommen.

    Sonntagmorgens sagte meine Frau, dass sie so gut wie lange nicht mehr geschlafen habe. Es war 07.30 Uhr. Wir nahmen uns in den Arm, dann ging ich in die Küche, um das Frühstück zuzubereiten. Um 8 Uhr rief mich meine Frau, sie bekäme so schlecht Luft und ich möge ihr das Sauerstoffgerät geben. Sie wurde unruhig, fing an zu frieren, ich nahm sie in den Arm, wärmte sie und musste schließlich doch den Notarzt rufen. Der kam um 9 Uhr, kaum war er da, wurde meine Frau bewusstlos. Ein Sanitäter legte sie auf den Fussboden und begann mit der Herzmassage. Meine Frau schlug die Augen wieder auf, sah mich an und flüsterte: "Hermann, bitte hilf mir, bitte hilf mir." Im Treppenhaus bat sie mich noch einmal um Hilfe, dann schob man meine Frau in den Rettungswagen – sie war einfach weg für mich. Später kämpften die Ärzte auf der Intensivstation stundenlang um ihr Leben. Sie hatte Kammerflimmern, der implantierte Defibrillator schaffte es nicht, das Flimmern zu stoppen. Auf der Intensivstation gelang es den Ärzten schließlich, ich konnte um 14.45 Uhr zu meiner Frau, sie lag im künstlichen Koma, bemerkte mich nicht. Ich küßte sie und bin gegangen, ich wollte schnell wieder zurück kommen. Um 17 Uhr kam ein Anruf, dass meine Frau verstorben sei. Ich konnte meine tote Frau nur noch im Aussegnungsraum in den Arm nehmen.

    Warum schreibe ich das alles? Weil ich es nicht verstehe. So viele Wochen saß ich vor acht Jahren am Krankenbett meiner Frau. Auch im Jahr 2016 lag meine Frau insgesamt über 50 Tage im Krankenhaus. Ich war täglich bei ihr, bis spät abends. Aber in ihrer Sterbestunde war ich für eine kurze Zeit nicht an ihrem Bett, und sie ist nach 40 Jahren Ehe von mir gegangen.

    Ich kann meine tiefe Trauer nicht beschreiben, kann den grausamen Trauerschmerz kaum noch ertragen. 

    Ich danke allen, die hier gelesen haben, für ihre Zeit. Danke

    • Lieber Hermann, ich danke dir für deine Geschichte, die mich sehr berührt. Du sprichst so liebevoll und bewegend von deiner verstorbenen Frau, man kann die Liebe zwischen euch und auch deine Trauer in jedem Wort herauslesen. Ich wünsche dir Raum und Platz für deine Trauer und helle Tage, an denen die Liebe, die ihr hattet, dich warm einhüllt und dich mit schönen Erinnerungen mehr erfreut als schmerzt. Ich wünsch dir alles, alles Liebe!

  22. Liebe Anna, bin auf Empfehlung meiner geliebten Tochter zu deinem Blog gekommen.
    Habe mich in deinem Text wiedergefunden und habe meine Trauer noch einmal erlebt.
    Ich habe vor 25 Jahren meine Eltern verloren, man könnte annehmen , das die Trauer vorbei ist, ist sie nicht, zwar nicht mehr so präsent wie im Anfang, aber sie ist da.
    Ich habe zuerst meine Mutter verloren mit großem Leidensweg durch Krebs, und dann 3 Monate später meinen Vater an gebrochenem Herzen. Ich habe keine Geschwister und musste ziemlich alleine durch meine Trauer und Wut, Wut auf meinen Vater, der für sich beschlossen hatte zugehen, weil er ohne meine Mutter nicht sein konnte. wir, dh. meine Tochter und ich hätten ihn so gerne noch bei uns gehabt.
    Im Moment ist die Trauer wieder da, das Grab meiner Eltern ist abgelaufen und wegen der Entfernung , habe ich es nicht mehr neu gekauft. Der Verstand sagt , dass es so richtig ist, es bleibt die Trauer und das schlechte Gewissen. Liebe Grüße Anne.

  23. Pingback: Über das Verbundensein in Licht und Schatten | Morgenseiten vom Darß 29/34 | berlinmittemom

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