Anders sein. Anders lieben. Wie oft befassen wir uns im Prozess des Erwachsenwerdens mit den Begriffen “normal” und “anders”! Viel zu sehr, viel zu oft, viel zu selbstverständlich bestimmen diese Bezeichnungen unsere Wahrnehmungen und führen dazu, dass wir uns selbst oder unsere Kinder in bestimmte Kategorien einsortieren. Das ist aus meiner Sicht immer fatal, aber wenn es um die Liebe geht, die eigentlich doch nur etwas Gutes, Schönes, Nährendes sein sollte, ist es noch verkehrter.

Ich habe hier schon einige Male meine Bisexualität erwähnt und auch einen ausführlichen Artikel dazu geschrieben, in dem ich davon berichte, wie es war, meine Sexualität zu entdecken. Und wie hart es war, mich damit abzufinden, mich auseinanderzusetzen, mich abzugleichen. Weil das Label “anders” daran hing, während Heterosexualität die Norm war, an der ich mich messen (lassen) musste.

Erste Male: anders sein

Vor einiger Zeit habe ich mich mit der Frau darüber ausgetauscht, die “meine Erste” war. Das erste Mädchen, bei dem ich als Teenager dieses heftige Verliebtsein spürte, das ich nicht mit Freundschaft verwechseln konnte. Die Erste, die mir gegenüber ebenso fühlte, die Erste, die mich küsste. Und ich sie. Wir schrieben uns neulich, wie krass diese Zeit war, wie verwirrend unsere Gefühle, wie wunderbar sich alles anfühlte und wie falsch zugleich. Weil wir anders waren. Weil alle um uns herum uns vermittelten, dass wir anders seien. Weil da niemand war, keine einzige erwachsene Person in unserem Umfeld von Schule und Elternhaus, die uns vermittelt hätte, dass es okay war. Dass wir okay waren. Richtig. Dass “normal” und “anders” keine Kategorien waren, an denen wir uns messen müssten, sondern dass es unendlich viel mehr gab an Aspekten von richtig.

Heute wissen wir, wir hätten uns gewünscht, jemand wäre da gewesen, der uns ernst genommen hätte. Der unsere Gefühle nicht abgetan hätte als “nur eine Phase” (wie oft wir das gehört haben!). Der uns zugehört und uns den Raum gegeben hätte, herauszufinden, was wir eigentlich wollten. Wer wir waren. Was das alles zu bedeuten hatte.  Ich meine… ich war fünfzehn und sie noch nicht siebzehn Jahre alt!  Mit all diesen ohnehin so neuen Gefühlen waren wir ziemlich allein, zumal sie zusätzlich von unserem Umfeld als schwierig kategorisiert wurden. Ich erinnere mich an eine Freundin meiner Mutter, die das Ganze mitbekam und zu mir sagte, das sei doch vielleicht insgesamt keine gesunde Beziehung, denn homosexuelle Beziehungen seien ja in der Regel unreif und ungesund. Das waren wirklich ihre Worte.

Scham und Heimlichkeiten

Wie verletzend das war, war ihr überhaupt nicht klar, ich glaube, sie dachte, sie tut noch was Gutes, in dem sie “offen” mit mir spricht. Und wie ungebildet das war, war ihr natürlich auch nicht klar, denn dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde als nur Hetero- oder Homosexualität, hatte sie definitiv nicht auf dem Schirm. Oder dass die Tatsache, dass sie das eine als “richtig” bzw. normal einstufte und das andere als “falsch”/unnormal, viel mehr über sie aussagte, als über uns. Mal abgesehen davon, dass diese Betrachtungsweise jegliche Gefühle, die wir füreinander hatten, ignorierte.

Wir hatten so viele Fragen! Und wir hatten nur einander, um darüber zu sprechen und waren auch damit überfordert, schließlich richteten sich unsere Gefühle aufeinander. Wie hätten wir da objektiv miteinander darüber sprechen können? Wir haben es versucht, aber es war schwierig.

In unserem engen Umfeld gab es ein, zwei Freundinnen, die nicht nur Bescheid wussten (das traf irgendwann auf sehr viele Menschen zu, denn in so einer kleinen Stadt, an so einem kleinen Gymnasium blieb nichts lange im Verborgenen…), sondern eigentlich auch Vertraute waren, aber sie waren ebenso jung und unerfahren wie wir. Keine von beiden hatte das Standing, uns zu sagen: hey, entspannt euch, ihr seid okay, eure Gefühle sind okay, alles ist in Ordnung mit euch, und mit allen anderen kommt auch alles wieder in Ordnung. Wir wussten nicht, ob wir in Ordnung waren und ob unsere Welt wieder in Ordnung sein würde und unsere Freundinnen wussten es ebenfalls nicht. Im Gegenteil, wir waren teilweise davon überzeugt, ganz und gar nicht in Ordnung zu sein.

Muscheln am Ostseestrand | berlinmittemom.com

Und dann all diese Gefühle, die wir nicht kannten… Waren wir verliebt? Verknallt? Wie ernst war das eigentlich? Wir waren jedenfalls, auch durch dieses aufeinander zurückgeworfen Sein, in einem sehr intensiven Gefühlssturm.

Da war die große Anziehungskraft, die wir aufeinander ausübten. Ich erinnere mich, dass wir auf dem Schulhof oder bei den Theaterproben, durch die wir uns kennengelernt hatten, mit Blicken kommunizierten. Wir schrieben uns heimlich Zettelchen, die wir einander zusteckten und wir trafen uns an unwahrscheinlichen Orten, um uns umarmen oder küssen zu können: im Keller der Schule auf den Gängen zwischen Biologiesaal und Chemielabor, im hinteren Treppenhaus der Schule, das weniger genutzt wurde, hinter dem Basketballplatz zwischen den Bäumen, auf der Schultoilette, auf der Toilette in einem Club, an Bushaltestellen usw. Alles war voller Heimlichkeiten, was einerseits aufregend und besonders war, andererseits aber auch das Gefühl verstärkte, dass wir etwas Falsches taten.

Das zweite große Gefühl, das wir beide empfanden, war dann tatsächlich Scham. Wir wurden für diese Gefühle von außen beschämt – die Freundin meiner Mutter ist nur ein Beispiel, es gab ähnliche Äußerungen von Lehrer*innen und auch jeweils aus dem häuslichen Umfeld. Sogar einige unserer Freund*innen gaben uns zu verstehen, dass wir nicht richtig waren, mit diesen Gefühlen, dass dieses “anders Sein” etwas Schlechtes sei., über das wir besser nicht sprechen sollten und es auch nicht zu deutlich zeigen. Und so schämten wir uns tatsächlich für das, was wir fühlten und waren Lichtjahre davon entfernt, offiziell ein Paar sein zu wollen oder uns offen zueinander zu bekennen. Gefühle, für die man sich schämt, versucht man, zu verbergen, selbst wenn es dabei um eine Art von Liebe geht.

Verzweifelt verliebt

Und ich war total verliebt. Ich war mir sicher, es hatte nie eine Schönere auf der Welt gegeben, nie eine, die cooler oder witziger war oder so sexy wie sie. Alles an ihr war in meinen Augen bemerkenswert und ich wusste, ich kann gegen diese Gefühle gar nichts machen.

Ich erinnere mich aber, dass ich wie zerrissen war zwischen meinen Verliebtheitsgefühlen und meiner Verzweiflung darüber, dass ich genau diese Gefühle hatte. Ich steckte quasi in einer Art Falle und hätte gerne diese Gefühle abgestellt, wenn es denn gegangen wäre. Ging natürlich nicht ohne Weiteres. Obwohl wir es wirklich immer wieder versuchten. Uns gegenseitig sagten, dass das nicht ginge, dass das nicht sein könne, dass wir nicht sein könnten. Nur, um uns dann bei den Theaterproben hinter der Bühne zwischen zwei Szenen heimlich zu küssen.

Nach außen versuchten wir, das Bild von engen Freundinnen abzugeben und denen gegenüber, die Bescheid wussten, so zu tun, als sei alles, was nicht Freundschaft war, zwischen uns vorbei. Denn natürlich wurden heterosexuelle Beziehungen in unserem Freundeskreis komplett abgenickt, während das, was zwischen uns war, lieber nicht so offensichtlich sein sollte. Sogar voreinander verbargen wir phasenweise unsere Gefühle, wurden aber immer wieder von ihnen geflutet. Ich erinnere mich auch an Eifersucht, an Angst vor Zurückweisung und davor, diese Verbindung zu verlieren. Was zwischen uns offiziell nie angefangen hatte, endete nicht.

Wir waren furchtbar alleine damit. Diese Liebe, die anders war, fühlte sich einsam an, denn wir kannten niemanden, der auch so war. Niemanden, den wir hätten fragen können, niemanden, bei dem wir uns hätten abgleichen können. Ich weiß nicht mal, ob es damals in unserer kleinen Stadt so etwas wie eine Szene gab, wo wir uns hätten orientieren können. Jahre später, als ich offen meine Beziehung zu meiner damaligen Lebensgefährtin lebte, fuhren wir nach Köln. Da gab es alles. Aber als ich fünfzehn war, war da nichts. Ich kannte nicht mal Bücher oder Filme, in denen unsere Art von Liebe Thema war. Einen Film fanden wir und trafen uns heimlich im Programmkino, um ihn zu sehen: Desert Hearts. Doch diese Geschichte kam aus einer anderen Welt. Die Realität zweier Teenager in einer kleinen deutschen Großstadt Ende der 80er Jahre bildete er jedenfalls nicht ab.

Darß, Zingst | berlinmittemom.com

Ein Bild für die innere Heilung

Rückblickend würde ich gerne unsere Vergangenheits-Ichs von damals fest umarmen und ihnen sagen, was wir hätten hören müssen. Dass wir richtig sind, dass wir gar nicht wissen müssen, was oder wie wir sein wollen, weil wir als Menschen noch im Werden sind. Und dass, egal, wer wir sind, wir okay sind. Dass alles gut sein wird. Vielleicht nicht sofort, aber irgendwann. Ich wäre gern diejenige, die unseren Vergangenheits-Ichs authentisch die Hand reichen und unsere aufgeregten Herzen hätte ein bisschen beruhigen können. So jemand war nicht an unserer Seite. Keine einzige erwachsene Person mit dieser einfachen Botschaft war an unserer Seite.

Dabei wäre es so einfach gewesen: wir waren quasi noch Kinder. Wir waren verliebt. Wir waren verunsichert. Was war daran falsch? Gar nichts. Die Botschaft hätte sein können, dass Liebe Liebe ist. Einfach so.

In meiner Vorstellung habe ich irgendwann ein Bild geschaffen, auf dem wir beide Hand in Hand durch diese Schule gehen, die wir damals besucht haben. Einfach so, mit hoch erhobenen Köpfen, lächelnd und unbeeindruckt vom Drumherum. Dieses Bild war meine innere Heilung für diese Zeit, in der wir verzweifelt verliebt ineinander waren und dabei so allein.

Für N.: Wir waren richtig, auch wenn uns das damals niemand gesagt hat. Ich bin froh, dass wir das heute wissen und dass alles gut geworden ist.

 

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