Neulich habe ich irgendwo gelesen, Romantik sei der größte Feind der Liebe – seitdem denke ich darüber nach.

Unser romantisches Bild von Liebe oder davon, wie sie auszusehen hat, ist natürlich komplett unrealistisch. Candlelight Dinner, Rosenblätter im Badewasser und auf Bettdecken, überhaupt Blumen und Kerzen, Geschenke, Reisen, Wochenendtrips und Heiratsanträge an ausgefallenen Orten… all das hat unsere Vorstellung von Liebe und Intimität geprägt.

Dieses Bild von Romantik findet sich auch wieder in unzähligen Romanen, in Filmen, Serien und vor allem in Musik. Egal, welches Genre, fast in jeder Stilrichtung der Neuzeit finden sich Songs über die romantische Liebe. Es geht um gebrochene Herzen, Menschen, die nie wieder lieben können, weil sie enttäuscht wurden, um die eine wahre Liebe, die ewig herbei fantasiert wir. Und um die ultimative Verbindung zweier Seelen, die ineinander aufgehen.

Worum es nie geht, ist die Frage, wie denn eigentlich Liebe jenseits der Romantik funktioniert. Oder ob das so erstrebenswert ist, ineinander aufzugehen. Was tritt an die Stelle der Romantik, wenn Liebe sich entwickelt und verändert? Was passiert, wenn die Schmetterlinge ausgeflattert haben, habe ich ja schon beschrieben. Die Frage, die ich mir heute stelle ist: was ist in gewachsenen Beziehungen die Sprache der Liebe, wenn die Rosenblätter ausgedient haben und die Kerzen runtergebrannt sind? Was ist die alltagstaugliche “love language”, wenn die großen Gesten getan sind?

Die Romantik der großen Gesten

Vielleicht ist meine eigene Liebesgeschichte, die eine, die tragfähig war und bis heute Bestand hat, kein gutes Beispiel, denn der Mann und ich, wir waren schon zu Schulzeiten befreundet. Es gab nicht dieses Kennenlernen mit Schockmoment und danach Wochen voller Herzklopfen und großer Gesten. Als wir uns verliebten, kannten wir uns bereits gut.

Und doch gab es natürlich dann irgendwann die Liebesbriefe und die nächtlichen Telefonate, die großen Gefühle und dieses Aufgewühltsein, das frühen romantischen Verbindungen zugeschrieben wird. Nur wussten wir beide schon sehr genau, mit wem wir es zu tun hatten. Er war einer der ersten gegenüber dem ich mich mit Anfang 20 geoutet hatte, als ich meine erste offizielle Beziehung zu einer Frau lebte, ich kannte und mochte seine erste Frau samt deren Töchterchen (für alle, die hier schon lange mitlesen: genau, das ist die Bonustochter, die ich schon in mein Herz schließen durfte, bevor ich noch ahnte, was sie in meinem Leben mal für eine Rolle spielen würde), und wir hatten beide eine phänomenale Bauchlandung in unseren vorhergegangenen Beziehungen zu verdauen, die wir jeweils von vorne bis hinten miteinander durchquatschten.

Irgendwann wurde klar, dass wir mehr als Freundschaft füreinander empfinden und natürlich hielt dann auch Romantik Einzug in unsere Beziehung. Tatsächlich haben auch wir sowas Kitschiges wie “unseren Song”, aus dem später ein Zitat in unsere Eheringe eingraviert wurde, auch wir machten Strandpicknicks bei Sonnenuntergang und wie alle anderen verliebten Paare schenkten wir uns gegenseitig Konzerttickets und Wochenendtrips in irgend eine Stadt, die wir gemeinsam erkunden wollten. Wir waren total happy in unserer Zweisamkeit, alles war wunderschön und natürlich, auch irgendwie romantisch.

Kinderkotze vs. Candlelightdinner

In vielen Aspekten folgten wir den klassischen Mustern, wie wahrscheinlich die meisten oder jedenfalls viele Paare. Da wir uns beide eine Familie wünschten, folgte in Jahr 4 unserer Beziehung meine erste Schwangerschaft und in Jahr 5 wurden wir Eltern und waren plötzlich eine Familie. Danach war mit der Bilderbuchromantik erstmal Essig, wie alle Eltern wissen. Unser Leben wurde nun bestimmt von den Bedürfnissen eines Winzlings, den wir aus Liebe gemacht und in die Welt gebracht hatten. Wir liebten es! Es war anstrengend und nervenaufreibend, es war aufregend und teilweise beängstigend, die Verantwortung für dieses kleine Wesen wog schwer auf unseren Herzen, aber wir liebten alles daran.

Und obwohl alle äußeren Bedingungen so unromantisch erschienen, liebten wir auch einander noch mehr. Es gab keine sexy Unterwäsche und keine Rosenblätter oder Teelichter irgendwo, auch Prosecco im Bett fiel erstmal aus, denn es ging um Stillen, Tragen, Einschlafbegleitung, um Windelinhalte und erste feste Nahrung, es ging um Zahnungsbeschwerden, den richtigen Autokindersitz und darum, wie man Karotten-Muttermilch-Sabber aus Klamotten rauskriegt. Alles sehr unromantisch. Außerdem mussten wir auch herausfinden, wer und wie wir als Eltern gemeinsam sein wollten.

Ich erinnere mich, dass ich meinen Mann anschaute, der bisher in meiner Wahrnehmung immer nur mein Mann gewesen war und ihn auf einmal als Vater meines Kindes sah. Wie er dieses Kindchen umsorgte, das ich über alles liebte. Wie er es auf dieselbe Weise wie ich anschaute, sein überquellendes Herz und all seine Gefühle lagen in seinem Blick, und ich sah meine eigenen Gefühle darin gespiegelt. Ich glaube, ich liebte ihn nur noch mehr in genau diesem Moment, als ich sah, wie er in dieser Rolle sein würde. In unserer Zukunft als Familie.

Was dann kam, ist Geschichte. Und das meiste davon war, mit Klischeekriterien gemessen, unromantisch. Wir bekamen noch ein Kind und noch eins, wir bauten uns eine Familie auf und ein Zuhause. Wir machten Pläne und verfolgten sie. Wir trafen Entscheidungen über Kinderärzt*innen, über Kitas und Schulen, wir entschieden gemeinsam, als die Kids medizinische Behandlung/OPs brauchten, wir ließen sie taufen, brachten ihnen Dinge bei, die wir beide wichtig fanden und vermittelten ihnen unsere gemeinsamen Werte. Wir waren ein Team.

Und nein, daran ist nichts romantisch, auch das kennen alle Eltern sicher sehr gut, denn all die Jahre waren geprägt von mehr gemeinsamer Orga unseres Familienalltags mit drei jungen Kindern, dem notwendigen Informationsaustausch, Abgleich und Entscheidungsfindungen als von “romantischer” Zweisamkeit. Unsere Paarzeit bestand eher aus einem Film auf der Couch, während eine*r von uns ein Kind herumtrug und die/der andere innerhalb kürzester Zeit vor Erschöpfung einschlief. Oder eine*r hielt einem sich übergebenden Kind den Kopf, während der/die Betten frisch bezog und Kotzeimer leerte. Undsoweiter. You get the picture.

Love Language und Intimität

Was für eine Art Liebe wächst auf dem Boden von vollen Windeln, Verhandlungen über volle Terminkalender, Absprachen über das Bringen und Abholen der Kinder und dem totalen Fehlen von Exklusivzeit zu zweit? Es ist nicht die Romantik, die die Liebe nährt, wenn all diese Dinge das Leben bestimmen. Es ist eine andere Art von Intimität, die entsteht, wenn man als Elternteam wächst, Verantwortung und Werte teilt, dieselben Dinge priorisiert.

Und was vielleicht für mich eine der wichtigsten Erkenntnisse ist: es kommt nicht darauf an, dass die Seelen zu den Klängen irgendwelcher einzigartigen Melodien verschmelzen. Es ist im Familienalltag und langfristig auch in Paarbeziehungen weitgehend irrelevant, ob jemand Rosen am Start hat und Candlelight Dinner inszenieren kann. Aber ob man sich gegenseitig sieht, ob man weiß, was das Gegenüber gerade braucht, ob man miteinander redet, einander zuhört, egal, was der Alltag grade für eine Achterbahnfahrt ist (und alle Menschen mit Kindern wissen, es ist sehr oft eine Achterbahnfahrt und nichts kommt so aus, wie geplant) – das ist entscheidend.

Ich möchte in meiner Beziehung mit meinen Bedürfnissen ernstgenommen werden und wissen, dass mein Gegenüber mich die sein lässt, die ich bin. Ich möchte keine romantischen Ideale erfüllen und erwarte das auch nicht von meinem Partner, wenn ich stattdessen einen echten Austausch habe mit einem geliebten Menschen, mich immer wieder abgleichen, hinterfragen und entwickeln kann. Ich möchte Raum für Wachstum, sowohl für meine Beziehung als auch für uns beide als Individuen. Liebe darf und soll sich verändern und sich neu zeigen, so wie wir es als Personen auch tun. Die Möglichkeit all dessen ist für mich die Basis einer tragfähigen Liebe.

Intimität ist dann nicht mehr nur körperliche Nähe oder ein erfülltes Sexlife, auch wenn das alles wichtig ist und für die meisten Menschen in Paarbeziehungen eine große Rolle spielt. Wenn die Phase der romantischen Gesten aber ausgedient hat, besteht Intimität als Sprache der Liebe zusätzlich daraus, dass wir uns bewusst immer wieder füreinander entscheiden, ganz ohne den Wunsch, miteinander zu verschmelzen. Ganz im Gegenteil: es geht um den freien Willen, mit dem man sich einander immer aufs Neue zuwendet. Weil man es möchte, nicht weil man einfach nicht anders kann, so wie es im romantischen Liebesideal oft gezeichnet wird. “Ich kann nicht ohne dich leben!” – ein oft zitierter Satz in romantischen Filmen oder Romanen ist daher für mich eine klassische “Red Flag”. Mein Maßstab ist ein anderer Satz und der lautet: “Ich kann ohne dich leben, aber ich will es nicht.”

Ich freue mich übrigens trotzdem über Blumen, wenn mein Mann sie mir mitbringt. Aber ich messe an dieser Geste nicht das Gelingen oder Scheitern unserer Beziehung.

Ja, dies ist ein Plädoyer für die Liebe – aber für die, die nach der Romantik kommt.

5 Comments

  1. Du fasst so schön in Worte, was auch die Basis unserer Ehe ist, dieses “füreinander entscheiden” bzw. “gut zu einander sein” ❤
    Und zum Thema Romantik: Das ist ja auch ein krasses Bild, was uns da durch verschiedene Medien vorgesetzt wird. Ich habe da auch echt lange gebraucht, um rauszufinden, dass ich den meisten Kram davon gar nicht mag ;o) Ich finde Rosen weder schön, noch mag ich den Duft, 1000 Teelichter überall heizen die Bude nur in tropische Temperaturen auf und von S*x am Strand und dem Sand überall fange ich gar nicht erst an… Wenn man sich von diesen “Vorgaben” mal verabschiedet, dann öffnet sich nämlich auch der Blick für die ganzen kleinen, wirklich romantischen Dinge, wo man merkt, dass die Partnerperson an einen denkt und eine Freude machen will…

  2. Ein schönes Plädoyer für die Alltagsliebe, die Lebensliebe, die erwachsene Liebe!
    Ein Teil von mir findet Inszenierungen toll, auch romantische (Kerzen, Blumen, dies und das, man kennt es). Dafür finde ich manchmal de Nähe, die Hinwendung, das echte Interesse schwierig und anstrengend, insbesondere wenn die Wogen der Alltagsorga hochschlagen (wie schön Du das beschrieben hast :-) ) Beim Lesen Deines Textes fiel mir zum ersten mal so richtig auf, dass ich manchmal das leise Gefühl haben, dass die perfekte Romantikinszenierung eine Methode sein kann, um die anstrengendere “Intimitäts-Arbeit” nicht tun zu müssen. Darüber will ich jetzt mal weiter nachdenken ..
    Ich finde Dein Schreibprojekt wirklich toll, ich folge Dir bei jeder Deiner Vorhaben hier auf dem Blog und bin immer begeistert und sehr oft berührt – aber Deine Texte zur Liebe haben eine ganz besondere Qualität und ich finde es sehr berührend, wie persönlich sie sind. Man merkt, dass das Dein Lebensthema ist. Was für ein Segen das ist <3

    • Ja, das kenne ich auch, dass ich einen Teil dieser Romantik mag und gerne erlebe – allerdings frage ich mich, ob wir wirklich unterscheiden können zwischen einer jahrzehntelangen (oder jahrhundertelangen) gesellschaftlichen Prägung auf dieses romantische Liebesideal und dem, was wir uns individuell wünschen…

      • Bei uns sind es winzige Gesten im Alltag, mit denen wir uns gegenseitig immer wieder zeigen, was wir einander nach all den Jahren noch bedeuten. Ein warmes Gefühl durchflutet mich, wenn ich daran denke.
        Danke für diesen wieder sehr gelungenen Text, liebe Anna! ❤️

      • Jetzt, wo Du es so auf den Punkt bringst: ich bin mir bei mir selbst sicher, dass es zu 90% die Prägung ist. Diese romantischen Gesten sind Symbole und überlieferte Rituale, die ich beim Heranwachsen aus “Mädchenromanen”, Filmen und Zeitschriften gelernt habe (und dabei gab es noch nicht mal Insta mit seinen inszenierten live übertragenen Heiratsanträgen!). Sehe ich sie heute, dann sagt mein Gehirn: Oh, toll, romantische Liebe! Und ich freue mich, weil ich mich besonders fühle. Da ich immer eigensinnige Männer toll fand, denen Inszenierungen eher unheimlich waren, habe ich das selten bekommen und häufig gewünscht. Ein Segen des Alters (höhö, Ende 40) ist bei mir, das ich die Sprache der Liebe jetzt auch besser verstehen kann, wenn sie in anderen Formen kommt. Übrigens kann ich das nicht verallgemeinern, es gibt ja reichlich Paare, deren Liebessprache auch Blumen, kleine Nachrichten und romantische Gesten umfasst. Aber ich lerne eben, dass es auch Anderes gibt und dass das denselben Wert haben kann.

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