Kranke Kinder zu Hause zu haben, hat viele Aspekte. In den letzten zwei Wochen konnte ich dazu mal wieder ein eindrückliche Erfahrungen sammeln, hatte ich doch letzte Woche drei Tage das Goldkind und in der Woche davor das Herzensmädchen krank zu Hause. Natürlich verbringe ich mehr Zeit mit meinen kranken Hasen, als mit den gesunden Kindern, die über die Hälfte des Tages in der Schule verbringen, denn das Kind zu Hause kriegt selbstverständlich meine volle Aufmerksamkeit: ich koche Tee, bereite den Inhalator vor, mache kleine frische Obstmahlzeiten zurecht, wenn der Appetit nicht so groß ist, dass er für Frühstück und Mittagessen reicht und wechsele bei Fieberkindern regelmäßig die Bettwäsche. Außerdem kommt dazu noch die Zeit, die wir mit Medikation, Fiebermessen und assistierter Körperpflege verbringen, denn ein kreislaufschwaches Fieberkind braucht schon mal Unterstützung beim Haarekämmen oder Zähneputzen, auch wenn es die im normalen Alltagsablauf längst nicht mehr nötig hat.
Und während wir also unsere Tage so eng miteinander verbringen, reden wir. Wieviel und worüber, das hängt natürlich wieder vom individuellen Zustand des Kränkelchens ab, aber wir reden. Während sich die Gespräche mit der Großen vorletzte Woche viel um Ereignisse aus ihrer konkreten Lebenswelt drehten oder darüber, was sie sich für Fragen über sich und ihr Leben stellt, ging es in der Woche mit der Kleinen viel mehr darum, was sie sich so vorstellt, wie die Welt oder ihr Leben eines Tages sein könnten.
Natürlich weiß sie viel. Es ist unglaublich, was diese Kinder trotz ihrer kleinen Lebenszeit auf dem Planeten schon wissen! (Oder noch wissen. Manchmal bin ich mir da nicht so sicher, vor allem beim Goldkind…) Aber sie hat auch eine intensive Vorstellungskraft. Und mit der entwirft sie Szenarien in der Zukunft. Oder in einem anderen Universum. Oder, und das ist am häufigsten, in nebeneinander existierenden Parallelwelten. Und das geht so…
Wer hier schon länger liest, erinnert sich vielleicht an ihren letzten laut geäußerten Berufswunsch, von dem ich hier auf dem Blog erzählt habe. Da wollte sie reitende Hebamme werden, weil sie sich so für "schwangere Sachen" interessierte. Seitdem haben sich ihre Interessen signifikant erweitert. Neben schwangeren Sachen sind ihr alle anderen Lebewesen ähnlich wichtig geworden. Und auch wenn sie keine Anzeichen zeigt, zur Vegetarierin zu werden wie ihr Bruder oder ihre Freundin Laéna, hat sie ein riesiges Einfühlungsvermögen in noch die kleinsten Lebewesen (außer Spinnen. Spinnen sind bei ihr quasi Un-Tiere.) und macht sich stets Gedanken um Hummelköniginnen, Waldtiere und auch unsere quasi Nachbarn, die Stadtfüchse und Waschbären. Bei einem Gespräch, das sie vor einiger Zeit mit Freundin Laéna führte, die ihr vielleicht vom Blog ihrer Mama Rebecca von Elfenkindberlin kennt, haben die beiden sich dann überlegt, wie sich ihre bisherigen Berufspläne kombinieren ließen. Zu der Zeit stand das Goldkind bei Tierärztin und Laéna bei Tierbeschützerin. Das ließe sich prima kombinieren, ließen sie verlauten und es war eine gemachte Sache: sie würden später im Dienste des Tierschutzes zusammen arbeiten. Soweit, so gut.
Kranke Kinder haben aber eben viel Zeit für Ideen und so erzählte sie mir jetzt, dass Tierärztin doch nicht das Wahre sei. Die große Schwester hatte ihr berichtet, das Tierärztinnen durchaus auch mal Tiere einschläfern müssten und das wolle sie auf keinen Fall. Was nun?
"Am liebsten würde ich im Wald arbeiten. Mich um Waldtiere kümmern, sie füttern oder ihnen helfen, wenn sie Babys kriegen. Die Bäume pflegen und die Sträucher mal schneiden. Einer muss das ja auch machen. Wie nennt man das? Gibt's das als Beruf, Mama?"
"Ja, das wäre dann wohl der Beruf der Försterin. Das ist lustig, denn mein Opa, dein Uropa war Förster. Genau wie sein Bruder, seine Cousins und sein Vater. Das war also quasi ein Traditionsberuf in der Familie."
"Aha. Das klingt gut. Ja, das könnte ich werden. Försterin." Kurze Pause zufriedenen Schweigens. "Aber… Singen will ich ja auch. Und tanzen. Und reiten. Wie mach ich das bloß?"
Ich wollte gerade zu der etwas ernüchternden Erklärung ansetzen, dass sie ja auch in ihrer Freizeit singen und tanzen könne. Und reiten. Und dass viele Menschen diese Dinge eben als Hobbies betreiben, in ihrer Freizeit und nicht als Vollzeitberuf, mit dem sie Geld verdienen müssen. Da kam ihr offenbar der rettende Einfall und sie erteilte mir mal wieder eine Lektion in kindlicher Vorstellungskraft und magischer Weltsicht:
"Ich möchte am liebsten Försterin werden, weil ich Bäume&Waldtiere so liebe. Oder Bürgermeisterin… Oder! Ja! Lehrerin für Gürteltiere!" ❤️
— Anna Luz de León (@berlinmittemom) 13. April 2016
"Ich weiß! Ich mache eine Waldschule! Da bin ich dann ja im Wald und kümmere mich um alles. Und die Tiere kommen zu mir und lernen singen, tanzen und natürlich schreiben und was sie sonst noch lernen möchten. Alle können dann kommen: Eichhörnchen, Wildschweine, Hasen, Rehe und Gürteltiere. Ach, das wird super!" Kind hüpft trällernd davon, greift sich ein Liliane Susewind-Buch aus dem Regal und legt sich wieder auf sein Bett. Kranke Kinder brauchen ja Ruhe und gute Lektüre. Auch das hilft bei guten Ideen.
Ich weiß, dass sie auf einer Ebene w e i ß, dass sie sich da gerade was zusammen gesponnen hatte. Aber ich bin gleichzeitig glücklich darüber, dass sie sich bei all ihrem Schulkindverstand und dem vielen konkreten Wissen, das sie jeden Tag über die Welt in ihrem Köpfchen sammelt, so viel Fantasie und Glauben an die magische Welt um sie herum bewahrt hat, dass sie sich eine Gürteltierschule ausdenkt und mir davon auf diese Weise erzählt. Und ich werden den Teufel tun, ihr diese Idee zu zerschießen, indem ich ihr sagen, dass Tiere nicht zur Schule gehen und nicht singen und tanzen lernen können, auch Gürteltiere nicht. Sie weiß das. Und sie wird ohnehin mit jedem Tag, den sie älter wird, erfahren, wie die Welt wirklich ist. Ein bisschen länger von Gürteltierschulen und tanzenden Wildschweinen zu träumen, schadet ihr ganz bestimmt nicht, im Gegenteil.
Kranke Kinder und ihre Mamas sind ja ohnehin immer ein bisschen im Paralleluniversum. Die Zeit vergeht langsamer und für die verrückten Ideen bleibt mehr Zeit. Wir haben also nachmittags eine Gürteltierschule gemalt und den Großen davon berichtet, als sie nach Hause kamen. Zwei eingefleischte Liliane-Suswind-Kenner wie diese beiden haben sofort mitgespielt und den Plan zur Eröffnung der Waldtierschule abgesegnet. Mit Augenzwinkern hin und her, aber egal. Für einen kleinen Tag lang haben wir sie uns alle vorgestellt, die Gürteltierschule. Schön war das.
2 Comments
Ich bin ein Gütteltier und möchte mich gerne anmelden
Soooo schön!!!
Und wer sagt, dass Tiere nicht zur Schule gehen, singen und tanzen lernen? Nur weil wir (Stadt-)Menschen das noch nie gesehen haben? :-)
Bei uns wohnt ein Drache, der Angst vor Vogelscheuchen hat. Und alle unsere Stofftiere sind eigentlich bei der Tier-Feuerwehr. Schließlich müssen die ja tagsüber, wenn der Kleine im Kindergarten ist und Mama und Papa bei der Arbeit sind, auch was machen!
Hach, wie schön! :-) <3