Eigentlich schreibe ich ja. Also nicht nur im Sinne von Bloggen sondern überhaupt. Und ich fragte mich gerade beim Durchsehen älterer Texte, warum ich nicht längst mal etwas davon hier eingestellt habe: Kurzes, Ausschnitthaftes, Miniaturen. Einiges davon finde ich nach wie vor gut, einiges mag ich, auch wenn es nicht so sauber gemacht ist, und einiges ist, nun ja, eher dünn. Aber sei’s drum. Ich starte heute eine Versuchsreihe auf dem Blog: Textrecycling in Miniaturen. Ich werde also in unregelmäßigen Abständen ein paar meiner kürzeren Texte hier posten und bin gespannt, wie ihr das findet. Ich starte mit einem älteren Text, der mir wieder in die Hände fiel, ich nenne ihn …

Heimkehr

Die kalte Hand meiner Schwester liegt in meiner, sie geht genau einen kleinen Schritt hinter mir, und ich sehe, wie sie die Augen schließt. Seitdem wir aus dem Auto gestiegen sind, haben wir nicht mehr gesprochen. Mit jedem Atemzug steigen neue Bilder in mir auf, meine Schwester seufzt.

Auf einem Tonband die Stimmen der Familie, meine eigene, ein Lied. Das Kratzen von Besteck auf einem Teller und ein leises Lachen, dann die Worte meines Vaters – was hast du denn heute gemacht, kleines Mädchen? Er öffnet einen Joghurtbecher für mich, in mein Plappern hinein füttert er mich löffelweise, und ich bin zwei Jahre alt.

Meine Schwester lässt meine Hand los und entfernt das Papier, in das die Blumen eingewickelt sind. Sie sticht sich an einer Stecknadel, dann öffnet sie die Eingangstür. Ich höre sie fluchen; wir gehen zum Empfang, ich genau einen kleinen Schritt hinter ihr.

Ein Schulsamstag, an dem ich vor dem Tor warte, abgeholt zu werden, ich hüpfe auf und ab, an der Hand die neue Freundin, es ist Sommer, da rutschen die Sandalen von den bloßen Füßen. Wir rangeln und laufen, halten einander fest, dann stürzt sie und kann nicht mehr aufstehen. Scheinbar Augenblicke später gehe ich hinter meinem Vater in einem fremden Treppenhaus aufwärts, er trägt sie auf den Armen nach Hause, ihr Fuß bandagiert, er spricht mit uns, seine Stimme hallt wider von den dreckigen Wände, und ich habe meine Hand in seine Hosentasche geschoben, halte mich daran fest, es stinkt nach Pisse, die Türen haben keine Schlösser, die Scheiben sind zerbrochen, ich trage die Autoschlüssel in der Hand, ich fürchte mich nicht, und ich bin sieben Jahre alt.

Station 4, lächelt die Frau am Empfang, Kardiologie, wir betreten den Aufzug. Meine Schwester lehnt sich mit dem Rücken an mich, den Kopf zurück, ihr Scheitel unter meinem Kinn, sie ist klein, denke ich. Ich schließe meine Arme um sie und sage, wir fürchten uns, so ist es doch. Die Blumen rascheln, in der Hand hat sie noch immer das Papier, dann hält der Aufzug und die Tür öffnet sich zischend.

Ein Gewitter am Strand, es ist Abend, die Blitze gehen silbern auf den Atlantik nieder, die Dünen sind leergefegt, wir laufen. Weit hinter uns sehe ich meine Mutter, meine Schwester auf dem Arm, ihre Haare wehend über den Kopf erhoben, ich höre sie nicht, sie winkt. Der Wind zerreißt meine Anklagen und Tränen, mein Vater hält warm meine Hand, er weint. Ich will ihm die Hand entziehen, will ihn verlassen, so wie du uns verlässt, schreie ich, aber meine Stimme bricht, es beginnt zu regnen, und ich bin fünfzehn Jahre alt.

Wir stehen vor der geschlossenen Tür, ich lege die Hand auf die Klinke, und bevor ich öffne, schauen wir einander an. Meine Schwester seufzt, dreht den Strauß in ihrer Hand, verdammt, sagt sie, und ich drücke die Klinke herunter.

Herbstwald, das Laub duftet vom Boden herauf zu mir, ich schreite aus. Niemand zwingt dich, sagt mein Vater dann, du musst niemandem etwas beweisen, weißt du das denn nicht. Späte Sonne fällt durch die Bäume, ich bleibe stehen und blinzele. Wir stehen am Hang, eine Lichtung tut sich vor uns auf, der Blick ins Tal, auf den Fluss. Er tritt neben mich, nimmt meine Hand, egal was du tust, sagt er, und ich bin dreiundzwanzig Jahre alt.

Im Bett liegt ein zerbrechlicher Leib, der Klinikskittel ist zerknittert, er schaut auf. Meine Töchter sagt er dann, und, oh, Blumen. Wir treten leise ein, legen leise die Mäntel ab, er streckt die Arme aus, ein Schlauch führt von seiner Leiste zu einem Beutel voller Irgendwas, ich fühle, dass der Schlauch durch seinen ganzen Körper geht, bis ins Herz. Meine Schwester umarmt ihn und lächelt ihn an, Alter, sagt sie, du baust vielleicht eine Scheiße. Ich setze mich, er nimmt meine Hand, noch mal Glück gehabt, sagt er; ich schaue in sein Gesicht, ich sehe bestürzt, wie grau und klein er ist, und ich bin achtundzwanzig Jahre alt.

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Was meint ihr? Könnte euch diese neue Idee hier gefallen? Und hättet ihr Lust auf mehr Textrecycling und Miniaturen?

signatur

Last Updated on 27. Mai 2014 by Anna Luz de León

10 Kommentare

  1. Ja, gefällt mir!
    Wahnsinn, beim Lesen Deines Textes war ich mittendrin. Das passiert mir selten, ich bin eher der Leser der Metaebene. Aber der hat mich reingesaugt.
    Warten auf mehr.
    Liebe Grüße
    Suse

  2. Ja! Wie ein Sturm, bei dem man nicht mehr weiß, wo man ist. Mitreißend, taumelnd, in dem Fall erdrückend und doch wunderschön.

  3. Sehr schöner Schreibstil! Du lässt einen das wirklich miterleben, nimmst einen mit! Ich würde gerne mehr lesen! LG, Astrid

  4. Ich sitz hier und mein Kaffee ist kalt geworden, weil ich bei dieser Geschichte hängen geblieben bin. Das ist toll, toll, toll.

  5. Bine Eckschlager-Böcher Antworten

    ….ja, das wär toll! Bin begeistert! Mehr, mehr (rief die kleine Häwelfrau…)

  6. Bei unserem grossen war 3 jahre schlafen in unserer mitte,die eine hand in meinen haaren,die andere am schnuller angesagt. Als dann seine schwester kam,wollten wir das bett vergrössern,doch nach ein paar wochen störung durch weinen und stillen von unsrer mini,wurds ihm zu viel und er wollte ein bett für sich. Mein schreinermann baute dann mit ihm zusammen ein baumbett.dort schläft er seitdem am liebsten und besten,ausser,er ist krank oder hat etwas,was ihn beschäftigt. Wir sind viel im familienbett,manchmal schon nachmittags zum toben,kuscheln, geschichten erzählen,höhle bauen…ich geniesse das sehr.ich finde wichtig,ob familienbett,oder einzel…auf alle wünsche kann ein kompromiss folgen.die kleine liegt seit2 jahren bei uns,manchmal auch obenauf:-)bin gespannt,wie ihr weg sein wird. Schön,dass du deinen-euren weg aus der mitte heraus gefunden habt. Denn jeder braucht wirklich sein individuelles sein,auch bei den schlafangelegenheiten. Tolle kuschelbären seid ihr,da geht mir so das herz auf:-) und dassdu wunderschön schreibst,wurde auch von den andern schon erwähnt und wird von mir auch noch mal gelobt. Danke anna:-) für euch

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