Ich frage mich gerade, was ich mit diesem Blog eigentlich will. Nicht, was ich schreiben will, dazu fällt mir viel ein. Nein, eher was ich will, das hier gelesen wird und warum jemand auf dieser Seite nach einem neuen Eintrag suchen sollte. Was erwartet er zu finden?

Bisher habe ich immer geplaudert. Wahrscheinlich ist das das richtige Wort. Aber an manchen Tagen ist nix mit plaudern. Ich tue das für mein Leben gerne, das ist mal klar. Dennoch gibt es Momente im Leben, im Alltag, da gehen einem Dinge durch den Kopf, die nicht für das Leichte geeignet sind. Sind sie deshalb auch Blog-untauglich? Darüber denke ich nach.

Ich hatte vor kurzem ein Gespräch, besser gesagt, einen Chat, mit einer lieben, langen Freundin aus Studienzeiten. Mit manchen Menschen fällt es leicht, die Grenzen zu überschreiten zwischen dem Plaudern und den ernsthaften Themen, selbst beim Chatten. Zwischen uns ist das ganz offensichtlich so, und wir hatten in nullkommanix die Kurve gekriegt vom Austausch der Neuigkeiten über Ex-Freunde und ihre neuangelegten Familien bis hin zu der Frage, wie man sich eigentlich fühlt, wenn man vor ganz kurzem ein Elternteil verloren und begraben hat. Denn das trifft auf uns beide zu.

Sie schrieb, sie fühle sich angekommen in einer Art Club von Leuten, die dasselbe erlebt haben und denen man deshalb nichts erklären muss, während man mit anderen auf einmal Schwierigkeiten hat im täglichen Umgang. Es werde auch erwartet, dass es “besser” werde mit der Trauer und den Situationen, in denen sie einen überkommt, selbst wenn man sonst gar nicht der Mensch ist, der besonders gerne öffentlich seine Gefühle zur Schau stellt. Die Tatsache, dass das Gefühl des Vermissens nicht weniger wird, würde kaum einer verstehen, der das nicht selbst erlebt habe.

Ich habe viel darüber nachgedacht, wie das so ist mit der Trauer und ob dieses Vermissen mal verblasst. Tut es nicht. Und inzwischen bin ich überzeugt, dass das auch richtig so ist. Wie sollte es auch anders sein? Einer der Menschen, die mich gemacht haben, in die Welt gesetzt, mich aufgezogen und behütet und begleitet mein Leben lang, ist unwiderruflich weg. Meine Mutter. Ich kann nicht mehr mit ihr sprechen, ich kann sie nicht mehr sehen oder umarmen, und dieses Gefühl bleibt ungebrochen schmerzlich. Aber das ist ok so. Wäre das nicht viel absurder, wenn es anders wäre? Für mich fühlt es sich richtig an, meine Mutter zu vermissen. Die Tatsache, dass sie gestorben ist, bedeutet einen Einschnitt in mein Leben, hinter den ich nicht zurück kann. Auf eine Weise ist das genau dasselbe, wenn man zum ersten Mal ein Kind bekommt: hinter diesen Moment kann man auch nicht zurück, denn er verändert alles. Unwiderruflich und für immer. Für beide Erlebnisse gilt, dass sie existentiell sind und das drumherum gleichzeitig auch wahnsinnig viel passiert, sich neu anordnet und Verbindungen sich verändern, im Guten wie im Schlechten. Also warum sollte ich das eine, die Geburt eines Kindes, als einschneidendes Erlebnis annehmen und das andere, den Tod eines geliebten Menschen, nicht? Das ergibt für mich keinen Sinn.

Die Geburt meiner Kinder und der Tod meiner Mutter: jedes dieser Ereignisse hat mich gelehrt, dass das Leben ein Wunder ist und dass ich dankbar sein muss für alles, was es mir schenkt und bietet. Und zwar immer genau dann, wenn es sich bietet. In jedem dieser Momente habe ich nach den ersten überwältigenden Augenblicken aufgeschaut und die Menschen um mich herum, meine Familie und Freunde, noch mehr geliebt als zuvor. Das hört sich pathetisch an, ist aber so. Und jedes dieser Ereignisse hat in seiner Un-Umkehrbarkeit mich ebenfalls unwiderruflich verändert. Ich bin ein anderer Mensch als zuvor, nicht besser oder schlechter, einfach anders.

Ich versuche, die Augenblicke mehr zu genießen. Ich möchte die Zeit mit meinen Liebsten auskosten, immer. (Natürlich gelingt das nicht ständig, das ist wohl klar, aber ich gebe mir wirklich Mühe!) Ich versuche, großzügig zu sein und nicht kleinlich auf die Menschen um mich herum zu schauen. Und was ich sicherlich niemals, niemals wieder tun würde ist, diese Art Ereignisse im Leben andere Menschen nicht gebührend zu beachten. Wenn jemand ein Kind bekommt, ist es das mindeste, dass ich gratuliere und gerne Blumen vorbeibringe oder etwas schenke. Wenn jemand jemanden beerdigen muss, ist es das mindeste, dass ich mich melde, dass ich wenigstens schreibe und wenn es nur ein paar Worte sind. Selbst eine sms ist besser als nichts. Es gibt nichts Gemeineres in solchen Situationen, als wenn Menschen um einen herum, Nachbarn, Freunde, Bekannte, Kollegen, so tun, als wäre nichts passiert. Dabei ist etwas Gigantisches passiert, es ist ALLES passiert!

Manche Menschen können nur plaudern. Und sie können nicht damit umgehen, wenn diese Dinge passieren, die man kaum aussprechen kann, weil sie so groß sind. Aber ich habe beschlossen, dass ich nicht dazu gehören möchte. Ich plaudere gerne, und das werde ich hier auch wieder tun. Wahrscheinlich hauptsächlich.

Aber nicht heute.

7 Kommentare

  1. martina van Middelaar Antworten

    liebe Anna,
    muss gerade weinen. Mein Papa ist gestorben letztes Jahr. Meine Schwester und ich haben uns danach vorgenommen auf jede Beerdigung zu gehen von Menschen die wir kennen. – Ob wir sie gut oder schlecht kennen, irgendeine Verbindung hat man ja trotzdem. Mir persönlich hat es nicht geholfen bei meiner Trauer dass so viele Menschen bei seiner Beerdigung waren aber ich fand es schön für ihn.
    ….und das mit dem Geniessen des Lebens und der Momente vergiesst man so leicht im Alltag,
    gerade wirds mir wieder bewusst.- Ich gehe jetzt mit Xaver auf den Fussballplatz und lass die Küche mal Küche sein :)
    schönen Tag noch Anna

  2. liebe martina, dass du weinen musstest tut mir leid, das wollte ich sicher nicht auslösen. andererseits: nein, um deinen vater weinen ist ganz richtig, das kommt durch, wenn es durchkommen soll und gehört so. sie haben es verdient, dass wir sie vermissen und um sie weinen!
    ich wünsch dir viel spaß auf dem fußballplatz, scheiß auf die küche! :-)

  3. Mir fehlen die Worte, die ganzen Gefühle auszudrücken, die bei diesem wunderbaren Text in mir hochkommen – Hoffnung, Liebe, Trauer, Furcht …

  4. Oh ja, das Vermissen lässt nie nach und kommt in verschiedenen Situationen immer wieder sehr stark. Aber es ist richtig so und auch wichtig! Ich fände es sehr seltsam wenn das nicht wäre.
    Richtig auch, dass es viele “Nur-Plauderfreunde” gibt und wenige “Plauder- plus-Gesprächsfreunde”! Aber diese wichtige Erfahrung macht man auch meist erst durch diese einschneidenden Erlebnisse.

  5. Pingback: mothers & daughters « berlinmittemom

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