Manchmal gibt es in meinem Haus Tiere. Nicht nur die üblichen Spinnen, Fliegen oder Moskitos und auch nicht unsere Meerschweinchen, nein, es sind ganz und gar außergewöhnliche Tiere, die es sonst nirgends gibt. Und so schön es ist, mit außergewöhnlichen Lebewesen unter einem Dach zu weilen – mitunter bringt es mich an PSYCHISCHEN UND EMOTIONALEN GRENZEN! (Ein untrügliches Anzeichen dafür, dass das mal wieder der Fall ist, ist ein akuter CAPSLOCKANFALL…!) 

Wie dem auch sei. Ich traf dieser Tage mehrfach die Schnellschnecke im Treppenhaus. Wie es sich für eine Schnecke gehört, kriecht sie zwar an der Erde entlang, aber ich kann berichten, dass sie ihrem Namen alle Ehre macht, denn sie kriecht wie der Blitz. Die Schnellschnecke ist aber weit mehr, als man annehmen könnte, denn sie ist ein Gestaltwandler.  Kriecht sie gerade noch schneckenmäßig durch die Küche, verwandelt sie sich im nächsten Augenblick unter lautem Geröhre in einen feuerroten Drachen namens Jingle Bells, der Glöckchen in den ZöpfenStacheln trägt, wie sein Name ja schon nahelegt. Die Geräusche, die Jingle Bells macht, sind unbeschreiblich. Er ist laut und anarchistisch, wie man es von einem Drachen erwarten darf, er frisst schmatzend und schlürfend, er brüllt und kreischt und schüttelt ständig seinen Schädel, damit seine Glöckchen klingeln und alle stets wissen, wo er sich gerade aufhält.

Jingle Bells kommt aber selten allein. Sein bester Freund, ebenfalls ein Gestaltwandler, begleitet ihn so gut wie immer, meist unterwegs als Grashüpfer Flip, der auf allen möglichen und unmöglichen Möbelstücken rumhockt und im Minutentakt in riesigen Sprüngen unverhofft den Standort wechselt. Genauso häufig ist Flip aber als wildes Eselchen anzutreffen, das mit der Schnellschnecke auf der Suche nach Futter den Kühlschrank plündert. Am liebsten essen die Gestaltwandler Schokolade, Gummibärchen, Fleischbällchen und übertrieben große Stücke vom Goudakeil, in den sie gerne einfach mal die Zähne schlagen, bevor sie ihn, angebissen, einfach fallen lassen. Die Gestaltwandler krümeln alles voll, stecken ihre Fühler, Finger und Hufe in den Frischkäse und die Marmeladengläser und hinterlassen eine klebrige Spur von Nutella und Erdnussbutter, wenn sie sich aus der Küche zurück ziehen.

Die Gestaltwandler haben außerdem einen ganz eigenen Sinn für Humor. Wenn ich sie nämlich am Kühlschrank erwische und sie ermahne, sie mögen doch beispielsweise bitte die Fühler aus dem Honigtopf nehmen oder sich ein Stück Käse abschneiden, bevor sie ihre Zähne hinein graben, fangen sie laut an zu lachen. Sie reden in einer Art Geheimsprache miteinander, die ungefähr so klingt: "Bruahahaha, lamama, gnihihihi, fulesiededupp, tihihihi, runkelziseldipp, bruahahaha…!" Undsoweiter. Und ganz ehrlich, ich bin ja eine sehr großzügige Person, aber selbst ich komme dann ab und zu an meine Grenzen. Schlimm genug, dass DER KÄSE AUSSIEHT, ALS WÜRDE EINE HORDE MÄUSE IM KÜHLSCHRANK HAUSEN, ABER ICH WEIGERE MICH, MICH MIT SOLCHEN GESTALTWANDELDEN SPOTTDROSSELN AUSEINANDER ZU SETZEN, DIE NICHTS ANDERES IM SINN HABEN, ALS DIE BUDE IN STÜCKE ZU SPIELEN UND SICH ÜBER MICH LUSTIG ZU MACHEN!

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Aber so viel weiß ich inzwischen über die Gestaltwandler: was ich so von mir gebe, wenn sie gerade in Action sind, ist denen völlig Stulle. Sie wälzen sich kichernd davon oder sie springen auf das nächststehende Möbelstück, von wo aus sie sich krümelnd und schmatzend über ihre Beute freuen und über meine Versuche, sie zu disziplinieren, laut lachen. Und es gibt wirklich nur eine Möglichkeit, Jingle Bells und Flip auszubremsen. Sozusagen mein letzter Trumpf.

Ich baue mich zu voller Größe auf und belle einmal laut: "Ohren auf, Gestaltwandler!" Leises Gekicher, es fallen noch ein paar Käsekrümel auf die Erde und der Drache Jingle Bells wischt sich die Marmelade von der Schnute. "Entweder ihr reißt euch jetzt zusammen…" Jingle Bells und Flip stoßen sich gegenseitig an und werfen sich vielsagende Blicke zu. "Oh oh oh", machen meine Gestaltwandler und grinsen sich siegessicher an. "… oder ich streich euch die Vorlesegeschichten!" Schlagartiges Schweigen. Ich lege nach: "Alle!" Jingle Bells schüttelt ungläubig den Kopf und die Glöckchen an seinen Stacheln klingeln leise. Flip guckt mich mit großen Augen an und legt ein angebissenes Stück Gurke fein säuberlich vor sich hin auf die Sofalehne. "Bullerbü, die Prinzessinnen und die Drachen und auch Doktor Proktor und das Pupspulver." Jingle Bells hält die Luft an und Flip schluckt einmal. Vor lauter Schreck vergessen sie sogar kurz ihre Geheimsprache. "Wirklich? Das würdest du wirklich tun?" Leise und traurig klingen Jingle Bells Glöckchen, groß sind die Schokoaugen von Flip. Die Gestaltwandler sind kurz beeindruckt.

"Ja, würde ich. Aber ich gebe euch noch eine Chance." Eifriges Nicken bei den Gestaltwandlern. "Ja? Was denn? Was sollen wir tun?" Jetzt hab ich sie am Haken, die Bande. Denn die Vorlesegeschichten am Abend, bevor sich die Gestaltwandler zum Schlafen in ihren Höhlen zusammenrollen, die sind für sie überlebenswichtig. Darauf wollen sie nicht verzichten, das zieht immer. "Ihr räumt die Sauerei in der Küche auf, alle Lebensmittel zurück in den Kühlschrank, alle Marmeladengläser zu und die Kekskrümel werden aufgefegt." Die Gestaltwandler schwingen sich von der Sofalehne und machen sich auf in RIchtung Küche. Jingle Bells wird dabei kurz zur Schnellschnecke und kriecht über den Boden, Flip schafft es in ein, zwei großen Sätzen. "Und ihr hört jetzt mit dieser Geheimsprache auf bis…." Die beiden horchen auf. "…bis zum Abendbrot. Gibt Käse mit Zahnspuren, Kekse, Marmelade und Erdnussbutter. Alles durcheinander. So. Und jetzt ran."

Flip und Jingle Bells schnappen sich den Handfeger und einen Lappen und machen sich an die Beseitigung des von ihnen angerichtete Chaos. Gestaltwandler sind nämlich unwahrscheinlich effizient beim Chaos anrichten und es gibt entsprechend viele Spuren der Zerstörung zu beseitigen. "Schnullibudapsndipp…" höre ich da ein Flüstern. Ich drehe mich um und schaue streng. Die beiden kichern und senken die Köpfe. Ich drehe mich gerade wieder um und will die Küche verlassen, da fragt Flip mit sehr viel Schokoaugenschmelz in der Stimme: "Mama? Dürfen wir lachen?"

Und dann lachen wir alle drei, meine zwei Gestaltwandler und ich. Über die Sauerei, über die Geheimsprache, über das viele Gekicher und über meine kurze Kommandotonanwandlung. Hab ich ein Glück, dass so seltenes Viehzeug bei mir wohnt!

In diesem Sinne: frunzlisipatschnrups! Ich wünsch euch ne Horde Gestaltwandler in die Bude. Habt einen guten Wochenstart!

signatur

 

6 Kommentare

  1. Herrlich, ich liebe deine Geschichten. Es ist 7.20 Uhr und mein Tag fängt wunderbar an…mit einem Lächeln auf den Lippen. Was könnte schöner sein? DANKE!!!!

  2. Hast du es gut! Hier wohnen “nur” Pferde, oder wahlweise singende Königinnen und Schneemänner!

  3. Juhu – ich sitze nicht allein im Cafe am Rande des großen Nervenzusammenbruchs. Hab einen schönen Montag. Gruß Daniela

  4. Haha… was für eine süße Geschichte! Auch ich habe eine Gestaltenwandlerin bei mir und drohe auch immer mit der Vorlesegeschichte. Manchmal funktioniert es wunderbar!

    Liebe Grüße von Jenny

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