Lucie Marshall, liebe Kollegin und Tausendsassa, hat zu einer Blogparade mit dem Titel #momsrock aufgerufen. Es geht darum, sich selbst zu loben, die eigenen Qualitäten als Mutter mal zu benennen und sich darin zu suhlen. Eigenlob, bäm!

Ehrlich gesagt, ich glaube, dass ich in vielen Dingen eine ganz gute Mutter bin: ich bin ziemlich lustig die meiste Zeit, ich denke mir wahnsinnig gern Quatsch aus für meine Kinder und ich kann endlos lang vorlesen, Geschichten erzählen und auch zuhören. Ich stehe für meine Kinder ein, wenn sie es brauchen und ich stehe auch für sie grade, wenn sie Mist gebaut haben. Ich bin wahnsinnig gern mit meinen Kindern zusammen und genieße unser Zusammensein so sehr, dass unsere Familienzeit für mich immer oberste Priorität hat. Ich bin großzügig mit meiner Liebe, großzügig in materiellen Dingen und großzügig, wenn es um klassisches Fehlverhalten meiner Kinder geht. Mein Haus ist offen: meine Kinder bringen ständig ihre Freund*innen mit und das ist mir recht so. Meistens jedenfalls. Aber abgesehen davon und mal ganz ohne all die Dinge, wegen deren Mangel ich in Aspekten auch oft keine so gute oder jedenfalls keine perfekte Mutter bin, geht es mir heute um etwas, das man wohl gemeinhin eher als persönliche Schwäche denn als Tugend bezeichnen würde. Ich bin nämlich ziemlich gut darin, Dinge im Endspurt erst zu erledigen. Oder auch mal ganz sein zu lassen. Und dabei bin ich meistens – ziemlich entspannt.

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Last-Minute-Mom

Dass ich meinen Beitrag zu #momsrock erste heute, am letzten Tag der Laufzeit für die Blogparade fertig schreibe, sagt eigentlich schon alles: ich bin ein Schlunz. Mein Bruder sagte mal zu mir, als wir in Geburtstagsvorbereitungen für den 70. unseres Vaters steckten und ich meinen Teil wieder mal last-minute ablieferte: "Du bist noch nicht fertig? Kein Problem, du bist immer am besten unter Druck. Machste einfach im Auto auf'm Weg fertig, ne?" Ich dachte erst, er wolle mich auf die Schippe nehmen und verfiel ganz automatisch in den Rechtfertigungsmodus, aber er meinte es ganz ernst. Und er hatte recht. Ich bin wirklich gut unter Druck und meine besten Ergebnisse erziele ich, wenn jemand mir Stress macht, dass ich zu einem konkreten Termin mit irgend was fertig sein muss. Egal, ob es um Arbeit geht, um persönliche Ziele, um Dinge, die man sich auf To-Do-Listen schreibt oder um das durchchoreographierte Freizeitprogramm – ich bin diejenige, die erst im letzten Drittel Vollgas gibt und deren Ergebnisse brilliant werden, wenn am anderen Ende jemand auf die Uhr schaut.

Last-minute trifft auf mich also voll zu, auch wenn es in meiner Eigentschaft als "-mom" nicht so zum Tragen kommt, denn die Belange meiner Kinder, deren Arzttermine, deren Hausaufgaben und der Schwimmunterricht, sind bei mir nie auf Last-Minute gebucht. Was aber an mein eigenes Schlunzi-Dasein Zeit meines Lebens gekoppelt ist und was ich glaube, was meinen Kindern zugute kommt, ist meine Was-soll-sein-Attitüde. Und die, liebe Leute, ist für meine Kinder oftmals eine echte Wohltat.

Was soll sein?

Meine Kinder leben in einem beschützten Kosmos und ihre Welt dreht sich nach einem ziemlich durch getakteten Rhythmus. Sie gehen zur Schule und in die Kita, sie haben jeder ein, zwei Hobbys, sie folgen den Wochenendritualen der Familie und spielen im überschaubaren Rahmen mit überschaubar unterschiedlichen Kindern. Sie lernen lesen, schreiben, rechnen, schwimmen, radfahren und Handstand, sie messen sich mit Altersgenossen und haben ihre kleinen Ziele: Seepferdchen, Musikschulkonzert, den Hulahoop-Straßen-Rekord. Was auch immer. Und manchmal, in schöner Regelmäßigkeit, gerät die kleine Ordnung durcheinander. Termine kollidieren, Freund*innen streiten sich und Pläne lassen sich nicht realisieren. Wie das Leben halt so spielt. Aber jeder Mensch mit Kindern weiß, dass das für Kinder mitunter fast unerträglich ist. Je kleiner sie sind, desto mehr hängt die Ordnung ihrer kleinen Welt daran, dass die Dinge so laufen, wie sie immer laufen. Das ist ein wichtiger Faktor fürs Wohlbefinden. Und wenn dann in diesem Gefüge die Schräubchen mal nicht greifen und etwas schiefgeht, kriegen viele Eltern Stress. Was tun, wenn der Trinklernbecher fürs Kleinste bei Omma vergessen worden ist? Wie die nächste Schwimmstunde überstehen, obwohl das Seepferdechen nicht geschafft wurde? Was tun, wenn die einst beste Freundin die Geburtstagseinladungen verteilt und das eigene Kind nicht bedenkt? Dann kommt meine vermeintliche Schwäche mir zu Gute und ich kann die Was-soll-sein-Attitüde ausspielen.

Mein perfektionistischer Bub steht am Beckenrand und schnauft, weil er das mit dem Seepferdchen im ersten Versuch nicht geschafft hat, er zittert vor Enttäuschung aber auch vor Ehrgeiz, am liebsten würde er die Nacht durch schwimmen, nur um seine vermeintliche Schwäche, sein gefühltes "Versagen" wett zu machen. Aber er ist klein. Er steckt fest in der Spirale von Ehrgeiz und Anspannung, die seine Ängste größer macht, als sie eigentlich sein müssten. Er braucht mich, um ihm zu sagen: "Was soll sein, mein Lieblingskerlchen? Machste das olle Seepferdchen halt nächste Woche. Oder übernächste. Oder sonst wann. Schwimmt dir nicht weg. Komm, wir gehen nach Hause, machen es uns gemütlich, trinken Lieblingstee und erzählen Quatschgeschichten."

Mein Goldkind ist untröstlich, weil es das gebastelte Geschenk zu meinem Geburtstag in der Kita hat liegen lassen. Und jetzt ist Samstag. Kita zu. Keine Chance, rechtzeitig dran zu kommen. Das ist für sie unerträglich, sie wollte mir doch eine Freude machen, sie hat sich doch solche Mühe gegeben und sie wollte mein freudestrahlendes Lächeln über ihr Geschenk sehen! Dicke Tränen kullern über die Bäckchen, kein Ausweg in Sicht. Sie braucht mich, um ihr zu sagen: "Was soll sein, meine Herzensfreude? Dein Geschenk ist am Montag immer noch schön und du bist bei mir, das ist das Beste am ganzen Geburtstag für mich. Komm, wir gehen nach Hause und machen zusammen den leckersten Geburtstagskuchen, den die Welt je gesehen hat. Und dann essen wir ihn auf. VOR dem Geburtstag. Weil es nämlich egal ist, wann der Kuchen lecker schmeckt."

Mein Herzensmädchen hat Stress. Die Bandprobe, das Lernen für die Klassenarbeit, das dringende Bedürfnis, das neue Buch anzufangen und der elterliche Wunsch, sie möge bitte ihren Teil der Hausarbeit erledigen, kollidieren ganz grässlich miteinander und sie möchte jetzt gerne GAR NICHTS von all dem tun, sondern am liebsten die Decke über den Kopf ziehen und weg sein. Sie braucht mich, um ihr zu sagen: "Nicht ausflippen, mein Supergirl. Was soll sein? Gehste heute mal nicht zur Probe, sondern nimmst dir dein Lernpensum vor: Hälfte heute, Hälfte morgen. Hausarbeit tauschst du mit deinem Bruder, dann hast du nachher Zeit, dich in die Wanne zu legen und zu lesen. Und dann erzählst du mir, was an deinem neuen Buch das Spannendste ist."

Es geht nicht um eine Scheißegal-Haltung aus Prinzip. Es geht auch nicht darum, ihnen mein Last-Minute-Syndrom anzutrainieren. Nein, es geht darum, die Dinge für sie in Relation zu bringen. Nicht alles ist immer und zu jeder Zeit gleich wichtig und gleich groß. Manche Sachen können warten, manche müssen überhaupt gar nicht sein und wieder andere lassen sich umdeuten, indem ihr Stellenwert ins Verhältnis gesetzt wird. Was wird schon Schlimmes passieren, wenn das Seepferdchen nicht beim ersten Anlauf gelingt? Nichts. Was soll schon geschehen, wenn mein Geburtstagsgeschenk mit Verspätung bei mir ankommt? Nichts. Und wenn ein Kind mal einen Termin nicht einhält, stürzt ebenfalls nicht die Welt ein. Was soll sein? 

Ich glaube, dass ich aus meiner persönlichen Schwäche, meiner inneren Last-Minute-Mom, für meine Kinder eine gute Haltung entwickelt habe, durch die ich ihnen zeige, dass man auch mal Fünfe gerade sein lassen kann. Dass es im Leben nicht darum geht, möglichst schnell möglichst viel durchzupeitschen an Programm oder Punkten auf einer imaginären Liste. Dass die Frage "Was soll schon groß passieren, wenn ich vom Plan abweiche?" und die Antwort darauf in ihrem Kinderalltag oftmals so viel Dampf rausnehmen, dass sie sich entspannen können. Und dass es fast nichts gibt, was man nicht nachholen, kompensieren oder anders lösen kann.

Ich glaube, ich bin eine gute Mutter, weil ich ihnen zeige, dass es niemals um Perfektionismus gehen sollte in ihrem Leben, sondern immer darum, zufrieden zu sein. Manchmal ist weniger mehr. Und meistens ist unser "weniger" ganz schön viel. Und aus zufrieden wird – glücklich.

Warum seid ihr gute Mütter? Was glaubt ihr, sind eure Stärken?

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15 Kommentare

  1. Ich stimme deinem Beitrag absolut zu, nur eins gefällt mir daran nicht und zwar, dass du das “Last-Minute-Syndrom” als persönliche Schwäche bezeichnest. Ganz offensichtlich ist das doch eine persönliche Stärke von dir und das haben auch andere bereits erkannt, siehe dein Bruder! Höchstens die Gesellschaft an sich betrachtet so was als Schwäche, aber darauf kann man eh nix geben. Du bist du und du hast etwas, das allgemein als Schwäche betrachtet wird zu deiner Stärke gemacht, das ist gut und nicht schwach.

  2. Kurz vor knapp aber einer der schönsten und liebevollsten Artikel zu #momsrock, liebe Anna! Kann mir niemanden vorstellen, der dich nicht gerne als Mutter hätte :)

    • Tihihi… Ich frag dann meine Kinder noch mal, wenn ich gerade mal wieder einen meiner Kreisch-Brüll-Anfälle habe. Wegen Tomatenquetsche oder sowas. ;-)

  3. “Was soll schon groß passieren, wenn ich vom Plan abweiche?” und das Prinzip “offenes Haus” halte ich auch für wichtige Fundamente. Ein offenes Haus hatten meine Eltern auch, ich habe das als Kind genossen, alle kamen gerne zu mir und mochten meine Eltern. Das mit dem Umdeuten, in Relation setzen, von Plänen abweichen musste ich hingegen mühselig als erwachsene Frau neu lernen. Es ist wirklich schwierig, das zu lernen, wenn man’s als Kind nicht vorgelebt bekommt. Insofern finde ich auch, und sowieso, du bist eine tolle Mutter!

    Liebe Grüße, Christine

    • Hu! Großes Kompliment, das mich ein bisschen beschämt. Was die Gelassenheit angeht: ich finde immer, die Kinder haben schon genug Druck und Stress von außen und Normen, die sie erfüllen müssen. Ihr Leben dreht sich schnell genug für so kleine Menschen, da brauchen sie nicht noch Eltern, die das auch noch auf die Spitze treiben. Ich sehe wirklich einen Teil meiner Aufgabe als Mutter darin, meine Kinder zu entschleunigen. Und ich hoffe, das gelingt mir! Ein bisschen. Ganz liebe Grüße zurück, liebe Christine!

  4. Mal Fünfe gerade sein lassen, Spontanität, flexibel sein, das finde ich so wichtig, kommt doch schon früh verschiedenster Druck von allen Seiten. Von daher: eine tolle “Schwäche”!

  5. Toll! Du bist so herrlich entspannt. Da könnte ich mir ne Scheibe abschneiden. Allerdings frage ich mich, ob man kleinen Kindern diese “Relation”, also das richtige Einordnenvon negativen ErfahErfahrungen tatsächlich so einfach beibringen kann. Für meine Kinder wird das vergessene Geburtstagsgeschenk immer schlimmer bleiben als der NahOst Konflikt. Du sagst es hat mit Scheissegalhaltung nichts zu tun. Ich denke aber, man sollte sowas nicht runterspielen; denn für das Kind ist es in dem Moment wichtig und vielleicht auch ein Drama. Natürlich soll man schauen, dass es nicht in dieser Dramatik gefangen bleibt. Bei meinen Kindern hilft es eher wenn ich sage “Ja stimmt; richtig doofer Mist, aber…” als wenn ich sage “ach was soll schon sein; trink halt nen Kaba”.
    Wiegesagt: weiter so! Du bisr echt eine coole Mama! Ich bin selten last minute; sondern das geborene Organisationstalent. Aber so sind wir halt alle verschieden :-)
    LG von Anni.

  6. Ich bewerbe mich hiermit offiziell um eine Adoption! :-)
    Ich will auch Quatschgeschichten und Kuchen und Tee!!!!
    Du bist eine GROSSARTIGE Mutter!

  7. Mich beeindruckt, dass du schreibst, du seist ein lustiger Typ. Ich wäre auch gern viel lustiger mit meinen Kindern… Seltsamerweise war ich viel lustiger, BEVOR ich Kinder hatte. Ich finde (obwohl man sich das oft so vorstellt) mit Kindern kommt nicht zwangsläufig die gute Laune ins Haus. Auf einmal ist da soviel mehr Arbeit, Pflicht, Verantwortung, Alltag… da ist es oft schwer, die gute Laune zu bewahren. Dir scheint das nicht so zu gehen, du scheinst in deiner Mutterrolle mehr aufzugehen, dir scheint es mehr Spaß zu machen. Ich wünschte, mir würde es auch mehr so gehen, aber… ich bin dran, I’ll try. ;) Deine Kinder sind halt auch schon älter, vielleicht hat es ja auch damit zu tun. Ich find es jedenfalls schön, dass du dich lobst und hole mir hier immer gerne neuen Input!

  8. Pingback: Meine ♥-Links der vergangenen Woche... - Familie Mottes Mama- und Familienblog

  9. Wenn es um mich als Mama geht kann ich ganz schön selbstkritisch sein. Gar nicht, weil es mir um Perfektionismus geht, sondern viel mehr um die elternliche Selbstreflektion, welche ich mir von meinen eigenen Eltern viel mehr gewünscht hätte. Kurz, liebe Anna, einer der schönsten Artikel die ich in letzter Zeit lesen durfte. Ich finde mich in vielem wieder – hätte es aber nie so liebevoll und gut auf den Punkt bringen können. Liebste Grüße aus Friehain <3 Meron

  10. Oh ich bin so begeistert von diesen Zeilen.
    Deine innere Haltung ist für eine Mutter nahezu perfekt. Ich habe auch ein Kind, das in Panik gerät, wenn vom Plan abgewichen wird. Sie hätte am liebsten zum Frühstück einen Zettel mit Tagesordnungspunkten (plus haargenauer Uhrzeit), den sie nach und nach abhaken kann. Aber wehem es verschiebt sich etwas oder fällt aus. Welt bricht zusammen.
    Danke für diesen liebevollen Artikel!
    Beste Grüße Suse

  11. Als Mutti bist du perfekt! Schöner Artikel – dann kann ich mir in Zukunft mal ein Beispiel nehmen. Werde öfter mal vorbei schauen und deine Beiträge durchstöbern, mir gefällt dein Schreibstil sehr sehr gut. Daum Hoch!

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