Vor einigen Tagen kommentierte eine liebe Leserin hier und berichtete von einem Gespräch mit ihrer 12jährigen Tochter. Es ging darum, ob es möglicherweise besser sei, sich gar nicht erst auf andere Menschen einzulassen, niemanden in sein Herz zu schließen, auch kein Haustier, um den potentiellen Schmerz zu vermeiden, der mit Bindung einhergehen kann.

Ich habe darüber viel nachgedacht und verstehe vollkommen, was damit gemeint ist. Wenn wir niemanden lieben, wenn wir kein Wesen in unser Herz lassen, dann können wir auch bei Vertrauensbruch, Enttäuschung, Verlust, Trennung, Tod etc. nicht so verletzt werden. Der Gedanke ist verlockend. Kein Schmerz, keine Trauer, kein Gefühl von Leere oder Einsamkeit, wenn wir jemanden verlieren, den wir lieben.

Ich glaube allerdings (und da spreche ich wieder nur aus meinem persönlichen Erleben), genau das Gegenteil ist der Fall. Nicht, dass uns die Liebe vor Schmerz schützen könnte, das wäre zu schön, um wahr zu sein. Nein, jeder Mensch, der schon geliebt hat oder es noch tut, weiß das genau: das ist ein All-Inlcusive-Paket. Der Schmerz und auch die Angst vor Verlust und Schmerz sind im Abo enthalten und kommen mit der Liebe gleich frei Haus mit.

Liebe ist ein großes Gefühl, und sie ist immer auch ein Wagnis. Denn in ihr steckt all das, was ich oben beschrieben habe. Und doch ist sie zugleich eine Fähigkeit, die wir erwerben, wenn wir uns darauf einlassen. In dem Augenblick, in dem wir eine Bindung zulassen, in dem wir uns verletzlich machen und uns bewusst dafür entscheiden, die Liebe in unser Leben einzulassen mit all ihren Aspekten, wird sie zu einer Kraft, die uns tragen kann.

Für mich ist es so: ich habe in meinem Leben schon geliebte Menschen verloren, sowohl durch Trennungen, als auch durch den Tod. Und jedes Mal hat es unglaublich weh getan. Jeder Mensch, der das einmal erlebt hat, vergisst diesen Schmerz nicht mehr und fürchtet ihn. Er packt uns und wir sind machtlos dagegen, wenn er uns zwischen seine Klauen nimmt und festhält. Liebeskummer, Trennungsschmerz, Abschied und Verlust sind die Kehrseite von Liebe und eine unerfüllbare Sehnsucht ist der Preis, den wir zahlen, wenn eine Beziehung endet oder wir jemanden für immer gehen lassen müssen.

Was ich aber für mich festgestellt habe ist, dass Beziehungen und Verbindungen zwar enden und ich lernen muss, Menschen loszulassen, die ich liebe. Aber die Liebe selbst bleibt. Sie ist ein Geschenk, das nicht an Wert verliert, nur weil der Adressat für dieses Gefühl nicht mehr da ist. Sie ist wie ein warmer Mantel, der sich uns um die Schultern legt und bei uns bleibt. Denn sie gehört uns, sie ist unser eigenes, inniges, starkes Gefühl – und das hört. nicht einfach auf. Ich glaube, jeder, der mal jemanden verloren hat, kennt das Gefühl, dass die Liebe nicht endet, obwohl die Person fort ist, auf die sich richtet.

Ich stelle mir mein Herz immer ein bisschen kindlich vor wie einen Raum, in dem alle meine Liebsten ihren Platz haben. Und dieser Platz ist einzigartig. Jemand, der dort seinen Platz gefunden hat, hat ihn für immer, denn niemand anders kann diesen Platz einnehmen. Verliere ich jemanden, den ich liebe, bleibt eine Lücke in meinem Leben, die sich nie mehr füllt. Der Platz in meinem Herzen aber bleibt besetzt.

Auf diese Weise füllt sich mein Herz mit Liebe, mit Menschen, auf die ich meine Liebe richte und wird einfach nur immer größer. Ja, das bedeutet auf eine Art, dass auch Ex-Beziehungsparter*innen dort ihren festen Platz haben. Das ist für mich tatsächlich auf eine Weise so, auch wenn sich die Gefühle selbstverständlich nach dem Ende einer Beziehung verändern. Das, was die jeweilige Beziehung aber mal bedeutet hat, verändert sich nicht. Die Liebe, die ich für jemanden empfunden habe, ist niemals verschwendet, sondern ist wie ein Puzzlestück in meinem persönlichen Ganzen. Was die Liebe angeht, die ich jemals für jemanden empfunden habe, habe ich niemals etwas zu bereuen. Sie hat nur zu meiner persönlichen Herzenskapazität beigetragen.

Und noch etwas: ich glaube ganz sicher, dass die Liebe, wenn wir sie einmal in unser Leben gelassen haben, uns wieder findet. Dass wir sie wieder erkennen, wenn sie zB in Gestalt eines anderen Menschen wieder vor uns steht. Und dass es für uns leichter ist, wieder zu lieben, wenn wir es bereits einmal getan haben. Nicht, wie man landläufig denkt (und wie es sich ja auch oft anfühlt nach einem Verlust), dass man nach einem großen Schmerz nie wieder werden lieben können. Dass das Herz so gebrochen, so verletzt, so beschädigt ist, dass wir dieses Gefühl nie mehr spüren werden.

Ich bin davon überzeugt, dass das Gegenteil der Fall ist, so wie ich auch übrigens überzeugt bin, dass es nicht nur den einen Menschen, die eine große Liebe im Leben gibt. Liebe wird mehr, wenn wir sie geben und empfangen. Sie kommt zu uns und verankert sich in uns, wenn wir das zulassen. Und wenn wir es dann schaffen, den Schmerz, die Angst, die Trauer und den Verlust mitzutragen und vielleicht sogar für bestimmte Phasen als die andere Seite der Liebe zu begreifen, kann sie uns für immer tragen und eine innere Kraft werden.

Dann gelingt uns so etwas wie traurig glücklich sein und die Möglichkeit des Verlusts zu spüren, ohne dass sie unser Glück schmälert. Ich nenne das die Kraft der Liebe, meine Grundkraft im Leben.

Und deshalb, liebe Martina, hoffe ich, dass du deine Tochter überzeugen kannst: Liebe lohnt sich immer, auch wenn sie meist auch ein bisschen schmerzhaft ist. Dafür macht sie alles schöner, inniger, heller und bunter, was wir erleben. Wenn wir Glück haben ein Leben lang.

5 Kommentare

  1. Einfach nur WOW…wie so oft, haben mich deine Worte beim Lesen tief berührt. Danke, dass du deine Gedanken auf so wunderbare Weise mit uns teilst!

  2. Liebe Anna, mein Kind und ich freuen uns sehr, dass wir ein Denkanstoß waren. Genau, wie Deine Geschichten immer wieder Inspiration für mich bzw uns sind. Tatsächlich ist es so, dass meine Tochter felsenfest überzeugt ist, dass Liebe zulassen immer der richtige Weg ist und ich das erste Mal im Leben diesbezüglich wanke. Auch nach Trennung, Verlust und Tod war ich bisher immer Team pro Liebe. Ich bin sehr gespannt, wohin die Reise geht und freue mich auf jeden Deiner kommenden Texte. Sei herzlich gegrüßt Martina

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