Jetzt muss das einmal aufhören, mit den melancholischen Rückblicken auf andere Jahreszeiten und andere Lebensalter, in denen ich und der Herbst noch gut miteinander klarkamen. Stattdessen muss ich mich wappnen und lächelnd (jedenfalls innerlich) den restlichen November in Würde hinter mich bringen.

Darin übe ich mich immer mit mehreren Strategien. Wo ich das Licht herbekomme, habe ich ja schon geschrieben. Aber damit ist es nicht getan. Vor zwei Jahren, gerade als der Winter besonders dunkel war, hat mir meine liebe Freundin Cora Ameer geholfen, noch eine weitere Strategie für mich zu finden und zu etablieren. Ich gebe zu, diesen Herbst habe ich sie noch nicht wieder verlässlich aktiviert, obwohl es gerade dabei auf regelmäßige Übung ankommt. Aber ich weiß seit zwei Jahren, wie heilsam es ist und dass es mich buchstäblich gerettet hat, also werde ich das Üben zeitnah wieder anfangen.

Tiefer Atem und fester Boden

Ich habe gemerkt, dass ich mich im Irrlichtern verliere, wenn ich nicht aufpasse. Soll heißen, wenn ich mich in diese Stimmung fallenlasse, kann es mir leicht passieren, dass ich die Bodenhaftung nicht behalten kann, jedenfalls nicht nachhaltig. Ich drifte ab in diese (sehr berechtigte!) “buhuhuhu, alles ist grau, ich halt das nicht aus bis April!”- Stimmung und finde ganz schwer da wieder heraus. Dazu brauche ich den festen Boden unter meinen Füßen, quasi die Erdung, die mich und meine herbstmüde Seele sozusagen wieder verankert.

Anna Luz de León, Prerow Nov 2021 | berlinmittemom.com

(Fotocredit: ©by Emma Melzer)

Sich selbst spüren und wieder im Jetzt verankern

Cora ist die Spezialistin genau dafür. Wir kennen uns seit fünfzehn Jahren und sie hat mich durch zwei Schwangerschaften (und so einiges danach) als Shiatsu-Therapeutin und gute Freundin begleitet. Im Winter vor zwei Jahren hat sie mir geholfen, meinen seelischen Aufruhr zu handlen, die Wogen zu glätten, die meinen ruhigen Alltag aufgewühlt hatten. Dazu hat sie mir unter anderem Meditationstechniken gezeigt und mich dazu angehalten, das tiefe Atmen zu üben, das den Herzschlag runterbringt und dazu führt, dass ich mich wieder besser mit mir selbst verbinden kann, im Hier und Jetzt.

Was dabei für mich persönlich ganz wichtig war: das sichere Gefühl, Boden unter den Füßen zu haben, ganz körperlich. Ich saß auf einem Stuhl, die Füße fest auf dem Boden und ließ den Atem fließen, im bildlichen Sinn durch mich durch und zurück in die Erde. Das habe ich 2-3x täglich für zehn Minuten gemacht, als Übung, damit ich das als Strategie abrufen kann, wenn ich das Gefühl habe, ich verliere mal wieder den Kontakt.

Leerer Kopf – das kann man üben

Cora hat mir dabei geholfen, genau herauszufinden, was für mich dabei am besten funktioniert und hat mich am Anfang immer wieder angeleitet. Ich profitiere bis heute davon und von der Erfahrung, dass die Ressourcen, die ich brauche, um eine Krise durchzustehen, in mir selber liegen. Dass ich sie abrufen und für mich nutzen kann, wenn ich sie brauche. Das war eine der wertvollsten Lektionen in den letzten Jahren.

Am Anfang konnte ich dabei nur schwer abschalten. Die Konzentration auf das Atmen und das Verankern hat dabei geholfen, aber es hat gedauert, die kreisenden Gedanken einzufangen und zur Ruhe zu bringen. Ich habe zu Beginn meditative Musik zur Hilfe genommen, auch um meinen diversen Mitbewohner*innen hier zu signalisieren, dass ich jetzt ungestört sein muss, wenigstens für diese kurze Viertelstunde. Aber später habe ich die Musik nicht mehr gebraucht, um mithilfe von tiefem Atem meine innere Ruhe wieder herzustellen. Es ist nur eine kurze Playlist, aber ich habe sie bei Spotify als “Morning Meditation” für euch hinterlegt. Vielleicht hilft sie ja auch euch beim Atmen. Ich höre sie immer noch gerne.

Nordstrand Prerow November 2021 | berlinmittemom.com

Inzwischen habe ich es geschafft, ohne Musik den Kopf auszuschalten. Mich zu besinnen. Mich zu verbinden. Den festen Boden wiederzufinden, ihn mir zurück zu erobern und meinen stabilen Stand zu manifestieren. Eine beruhigende Strategie, auf die ich mich inzwischen sehr gut verlassen kann. Das Üben darf ich allerdings nicht vergessen. Das geschieht ja nur zu leicht, wenn es einem gut geht und man nicht das Bewusstsein lebendig hält, dass das nicht unbedingt ein Dauerzustand sein muss. Vielleicht auch nicht sein kann.

Heute war also ein besserer Tag. Viel besser als gestern. Der Regen hat am Morgen irgendwann aufgehört. Ich konnte sauer auf den Kackregen sein, statt mich davon runterbringen zu lassen. Ich habe mir Zeit gegeben. Ich habe das doofdoofe Buch einfach nicht zu Ende gelesen, das mich so genervt hat. Stattdessen habe ich mir einen neuen Lieblingskrimi gegönnt. Der Mann ist nach Hause gekommen und hat Feuer gemacht. Der Hund war zuckersüß, das kränkelnde Kind ist auf dem aufsteigenden Ast. Heute ist Freitag. Am Nachmittag habe ich einen Spaziergang mit Hund und Sohn gemacht, sehr kurz und überschaubar, aber schön. Und ich habe das Atmen wieder angefangen. Mit Musik.

Heute war ein besserer Tag.

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