Kraftquellen ist nicht eins meiner Lieblingswörter. Es klingt mir immer zu esoterisch, so als würden irgendwelche Menschen es benutzen, die versuchen, bei albernen Gesängen und unter Anleihen bei anderen Kulturen Erinnerungen an ihre vorgeburtliche Existenz heraufzubeschwören. Ich bin voller Vorurteile, ihr merkt es schon.
Aber natürlich haben wir alle Kraftquellen oder sollten welche haben. Orte, Dinge, Rituale, Menschen, Erinnerungen, Musik usw. die uns helfen, uns wieder mehr mit uns selbst zu verbinden. Ruhig zu werden, aufzutanken, uns zu besinnen und dann im Jetzt wieder besser klarzukommen. Ob es immer so ist, dass uns das wirklich Kraft gibt, sei mal dahingestellt, aber ihr wisst, was ich meine.
Ich spreche jetzt nicht von der obligatorischen und in Social Media viel zitierten “Me Time”. Kein Mensch in einem absoluten Energietief kriegt neue Motivation für die Aufgaben des täglichen Lebens, nur weil er mal ein Buch in der Badewanne liest, während die Kinder vor der Tür warten, dass man endlich wieder rauskommt. Auch wenn das schöne und entspannte Momente sein können, die uns eine Pause verschaffen.
Was ich meine, sind die Orte, die uns tiefer und leichter atmen lassen. Die Menschen, bei denen wir wirklich loslassen und ohne Vorbehalte über alles sprechen können. Die Rituale, die uns im Alltag das Herz leichter machen. Für jeden von uns ist das etwas anderes. Manche von uns lernen, dass ein langer Spaziergang ihre Seele ruhiger macht. Andere gehen in den Wald, ans Meer, in die Berge und verbinden sich dort am besten. Für mich ist es der Garten in Prerow, im Haus am Meer, der Blick auf die Eiche, ihr Rauschen über mir. Es ist das Meer, die Weite am Weststrand oder am Atlantik, der Wind, der alles bewegt. Und es ist der Wald, der Darßewald, den ich auf dem Fahrrad durchquere und der mir das Gefühl gibt, zugleich ganz klein und doch so aufgehoben zu sein. Ein Teil von etwas, das schon lange lange vor mir da war und auch nach mir noch sein wird. Das beruhigt mich.
Und dann gibt es die wichtigen Menschen in unserem Leben. Wenn wir Glück haben, gibt es mehrere davon, aber ich hoffe, wir haben alle wenigstens einen. Jemanden, dem wir unser Herz ausschütten können, ohne Zurückhaltung. Jemand, der uns zuhört, wenn wir es am meisten brauchen. Jemanden, der erkennt, wie es uns geht, wenn wir es selbst kaum in Worte fassen können. Jemanden, der für uns da ist, mehr in Taten als in Worten. Jemanden, der einfach da ist und uns hält, wenn wir nicht wissen, wo wir uns festhalten können.
Manchmal reicht diese Verbindung schon als Gewissheit aus der Ferne. Oder als ausgetauschte Text- oder Sprachnachrichten. Und manchmal ist es ein altmodisches Telefonat in einer Welt voller instant messaging, das uns für eine schöne halbe Stunde (oder sogar mehr) auf eine Art verbindet, dass uns das Herzt im Nachhinein leichter in der Brust schlägt. So ein Telefonat hatte ich heute und war selbst ganz überrascht, wie sehr es mich wieder inspiriert und aufgeladen hat, obwohl wir nicht nur so wahnsinnig tiefgreifende Themen hatten, sondern auch einfach über Gott und die Welt gequatscht haben. Aber es war einfach so – gut.
Ich schätze, Kraftquellen sind gar nicht immer diese Riesendinger. Die einzigartigen, vierhundert Jahre alten Eichen. Das gigantische Meer. Der magische Berggipfel. Manchmal sind es die kleinen Sachen. Die einfachen, vermeintlich belanglosen Dinge. Das Gespräch am Telefon. Die Gewissheit, dass diese Freundin da am Telefon mich s i e h t. Dass sie mit mir lacht, mir zuhört, sich mir anvertraut und ich mich ihr. In einem ganz kleinen, vollkommenen Moment, von dem ich den Rest des Tages zehren kann. Und vielleicht noch darüber hinaus.
Was sind eure Kraftquellen?
Last Updated on 19. September 2022 by Anna Luz de León