Ich erwähnte letzte Woche im Nebensatz  eins meiner neuen pädagogischen “Experimente” und den gelungenen ersten Versuch. Und hier kommt der versprochene Bericht darüber.

Jeden Morgen (und jeden Abend) gibt es Zahnputzterror bei meinen Kindern. Es geht darum, wer wo steht, wer zuerst seine Zahnbürste mit Zahnpasta “lädt”, wer gründlicher putzt, wer wen geschubst, berührt, schräg angesehen hat. Daraufhin: Geschrei, Geheule, morgendliches schreckliches Gezänk. Und bei mir: Anfall!

Wir sind alle genervt und schließlich erleichtert, wenn dieser Teil des Morgens vorbei ist und die Kinder das Haus verlassen, um ihren Tag zu beginnen. Uff. Und so oft ich mit ihnen darüber spreche und sie ermahne oder versuche, sie morgens zu moderieren oder zu überwachen, streng, freundlich, konsequent… es passiert immer wieder in tausend Varianten. Es ist furchtbar.

Und es ist ja nicht diese Situation allein, es ist die Variation derselben Situation immer und immer wieder: immer dann, wenn ich versuche, sie sich selbst organisieren zu lassen und darauf setze, dass das irgendwie klappen würde. Natürlich klappt es auch oft, dann aber meist, weil die Große den richtigen Ton trifft, die Kleinen irgendwie freundlich drauf sind und das Machtgefälle unter den Geschwistern – groß-mittel-klein – von niemandem in Frage gestellt wird. Sobald das aber geschieht, sobald eins der Kleinen die Autorität der Großen untergräbt oder der Bub versucht, das kleine Mädchen rum zu kommandieren, geht’s los. Oder wenn das Herzensmädchen schlicht keinen Bock hat, die Verantwortung zu übernehmen. Also oft.

Es geht ums Zähneputzen, ums Tischdecken und -abräumen, ums gemeinsame An- und Umziehen oder ums Abends-Hochgehen-und-schon-mal-im-Bad-anfangen. Und es ist eine wahnsinnig nervige Endlosschleife. Ich mag nicht mehr. Wir mögen alle nicht mehr. Und ich mache mir schon seit einiger Zeit Gedanken, was ich anders machen könnte, was ich am Ablauf ändern könnte, damit die Situation(en) nicht mehr so schnell eskaliert(en).

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Dann habe ich im Skiurlaub eine tolle Familie wieder getroffen, die wir dort letztes Jahr kennenlernen durften. Sie haben 4 Kinder, zwei Mädchen im frühen Teenie-Alter, einen 8jährigen Jungen und einen eineinhalbjährigen Bub. Was mich tief beeindruckt hat, war die Art und Weise, in der die Kinder für- und miteinander die Verantwortung übernahmen für die täglichen Abläufe. Und die Mama erklärte mir: “Die machen das super, jeder ist mal dran, das Kommando zu haben. Damit wechseln sie sich ab und jeder hat mal jede Rolle. Das klappt.” Nun sind diese tollen Kinder natürlich um einiges älter als meine, aber dennoch. Ein bisschen Eigenorganisation und Verantwortung für kleine Dinge können sie auch übernehmen. Dachte ich.

Und wieder zu Hause schritt ich zur Tat. Am letzten Donnerstag trommelte ich die Bande nach dem Abendbrot zusammen und machte die Ansage: für die gemeinsamen von mir angeordneten und verpflichtenden Aktivitäten gibt es ab jetzt immer einen “Boss-auf-Zeit”. Jeder ist mal dran. Alle müssen mitspielen. Und der Boss ist nicht nur der, der sagt, was läuft, sondern auch der, der darauf achten muss, dass sich gegenseitig geholfen wird, wenn nötig. Gesagt, getan.

Um meinen zwischen seinen Schwestern manchmal arg leidenden Bub zu stärken, gab ich ihm am ersten Abend das Kommando über das allabendliche Zähneputzen und schickte die drei mit diesem Auftrag nach oben. Ziemlich begeistert von der neuen Idee stapften sie los, der Bub beflügelt von seiner neuen Autorität.

Und was ich dann auf der Treppe sitzend von unten belauschte, hat mich erstaunt und entzückt:

Bub: “Ich bin der Boss, ihr Mädels, also jetzt Zähneputzen, zack zack! Bitte.”

Goldkind: “Jaaa, du bist heute der Boss und dann musst du mir auch helfen, stimmt’s… Guck mal hier, ich krieg die Zahnpasta gar nicht alleine auf…”

Bub: “Hier, Rosanni, das mach ich für dich. Und du musst natürlich auf dem Hocker stehen, denn du bist die Kleinste. Sonst kannst du nicht richtig ausspucken…. (rückt am Tritt herum) Hier, bitte. ”

(Dazu muss man sagen, dass der abendliche Kampf um den Platz auf dem Hocker jederzeit zum größten Terrorfaktor in dem ganzen Szenario mutieren kann!)

Herzensmädchen: “Boss, du musst aber deine eigenen Zähne auch putzen, vergiss das nicht.” (Ich musste ein bisschen kichern, ich konnte die Große förmlich grinsen sehen, während sie versuchte, die neue Rolle ihres Bruders ernst zu nehmen – aber sie versuchte es!)

Eine Weile hörte ich Zahnputzgeräusche, Wasserrauschen, leises Geplapper. Kein Geschrei, kein Gezänk, keine gebrüllten Beleidigungen und Zusammenbrüche und wütende Mamaaaaa-Rufe. Staunend horche ich weiter nach oben und gebe ihnen noch ein paar Minuten, dann rief ich, dass ich jetzt hochkäme.
Oben fand ich ein fertig geputztes Herzensmädchen vor, Zahnspange an, grinsend, Buch im Anschlag, im Bett. Und im Bad bot sich mir das entzückendste Bild: auf dem Hocker sitzend das Goldkind, mit aufgesperrtem Mund und davor, der Bub der Stunde, der “Boss”, der ihre Zähne nachputzte, so wie ich es sonst jeden Abend tue.

Bub: “Alles klar, Mama. Diese Zähne sind sauber. Meine auch. Das Große hat mir die Zähne nicht gezeigt. Wir sind fertig und gehen schon mal ins Bett und ein Buch aussuchen, ja?” Abgang. Und dann, im Rennen Richtung Kinderzimmer über die Schulter: “War ich ein guter Boss, Mama? Hab ich mich um alles gut gekümmert?”
Oh ja, das hat er. Und ich habe ihm beim Gute-Nacht-Kuss noch ausführlich gesagt, wie stolz ich auf ihn bin und was er für einen tollen Job gemacht hat.

Am nächsten Morgen hat sich das Ganze wiederholt, diesmal mit dem Goldkind als “Boss”, was nicht ganz so reibungslos geklappt hat, weil nunmal der kleinste Boss in der Runde derjenige ist, der von allen am meisten Hilfe braucht. Aber es ging einigermaßen. Am schwierigsten ist es interessanterweise, wenn das Herzensmädchen der Boss ist, denn sie füllt die Rolle, die sie in der Geschwisterkonstellation ohnehin einnimmt, besonders “bossy” aus und tut dabei weit mehr als nötig wäre (oder als eins ihrer Geschwister bereit wäre zu tolerieren).

Es wäre übertrieben zu sagen, dass das Experiment vollkommen gelungen wäre. Nein, dazu gibt es dabei viel zu viel Unwägbarkeiten und Abweichungen. Wie das mit Kindern eben immer so ist. Und nein, das Geschrei und Gezänk ist nicht grundsätzlich aus diesen täglichen Situationen verschwunden.

Aber. Die Kinder sind aus ihren üblichen Rollen heraus gekommen, wenigstens ein paar Mal. Und ich konnte mir meine Rolle als Feldwebel kneifen, ein paar Mal. Ich fand es toll, zu sehen, wie sie plötzlich anders miteinander umgingen, wie nicht die üblichen Trigger griffen und reflexhaft darauf reagiert wurde von allen Beteiligten. Die “Ordnung” wurde auf den Kopf gestellt, etwas Unerwartetes ist an ihre Stelle getreten – damit hatten sie plötzlich die Möglichkeit, sich ganz anders zu verhalten, als gewohnt.

Das hat mich beeindruckt. Ich werde also das Experiment noch ein bisschen weiter laufen lassen und sehen, was passiert. Und falls es gar nicht mehr funktioniert und ich es nicht mehr aushalten kann, bin ich eben wieder der Boss. Das kann ich.

Last Updated on 15. März 2013 by Anna Luz de León

6 Kommentare

  1. Toll! Das Fazit, dass es gut tut, wenn die Kinder aus ihren Rollen herauskommen (man könnte auch sagen, schlechten Verhaltensmustern, und sich als Erwachsener an die eigene Nase fassen), finde ich besonders einprägsam. Werde ich auch mal ausprobieren, denn Zähneputzen ist bei uns ebenfalls ein Thema, speziell beim Sohn (6).

    Lieben Gruss, Christine

    • berlinmittemom Antworten

      Liebe Christine,

      ja, das ist für mich auch eigentlich die Essenz aus dem Versuch: es hilft eigentlich immer, wenn man sein Verhaltensspektrum erweitert und die Rollen mal in Frage stellt. Auch das hat natürlich seine Grenzen. Aber ich habe damit auch ganz gute Erfahrungen gemacht, wenn es um Ver- und Gebote geht, die einzuhalten den Kindern naturgemäß oft schwer fällt, entweder weil die Versuchung so groß ist oder die Einsicht in die Notwendigkeit so gering. Ich glaube, darüber schreib ich auch noch mal ein Blogpost. :-)
      Viel Spaß beim Zähneputzen und liebe Grüße!

  2. Oh vielen Dank für diese Zeilen, ich habe so gelacht. Ich liebe es, meinen Kindern Verantwortung zu übertragen. Nicht nur, weil es mein Leben (langfristig) wesentlich erleichtert, sondern weil es spannend ist, zuzuschauen, was sie daraus machen. Die von dir beschriebende Idee werde ich mir merken, meine zwei Mädels (4 und 2) werden sicher bald soweit sein. Herrlich, ich freu mich schon…

    • berlinmittemom Antworten

      Liebe TIna,

      2 und 4! Da ist bei dir ja auch immer was los. :-)
      Ich finde den Abstand im Nachhinein perfekt, auch bei solchen “Rollen”themen wie hier beschrieben. Das Machtgefälle, das bei uns zwischen der Großen und den beiden Kleinen entsteht, ist viel krasser als das Gekabbel zwischen der 3- und dem 5jährigen. Allein dafür hat sich das Experiment schon gelohnt, um das mal aufzulockern. Übrigens durchaus auch für die Große: kein zehnjähriges Kind der Welt will immer die “Große” sein und die Verantwortung haben.
      Berichte mal, wenn du den Versuch startest, ja? Würde mich sehr interessieren. Und freuen!

      Liebe Grüße,
      Anna

  3. Hihihi, ich musste echt fett grinsen bei deinen Schilderungen von der Boss-Runde des Sohnes. Herrlich. :D Wir sind ja noch seeeeehr weit entfernt von so klarer Kommunikation und so viel Selbständigkeit, sodass ich mir viele Situationen und deren Schwierigkeiten einfach schwer vorstellen kann. Aber kommt ja, bestimmt. Da kann man sich positives ja schonmal merken. ;)

    Liebe Grüße
    Isa

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