Wie das Leben sich verändert! Man könnte meinen, im Laufe von fast 50 Jahren Leben gewöhnt man sich daran, aber ich muss sagen, wenn ich ab und an zurückblicke, erstaunt es mich immer wieder, wie krass und in welchem Tempo sich die Dinge verändert haben.

Die gerade erst durchlebte Adventszeit und auch das Weihnachtsfest sind durch all die Rituale und Traditionen besonders geeignet, sich dieser Veränderungen bewusst zu werden. So geht es mir jedenfalls gerade, während ich in dieser Zeit “zwischen den Jahren” auf das vergangene Jahr und besonders die letzten Wochen zurückblicke, weil so viele Abläufe so anders sind als früher. Während des Jahres fällt mir das in der Regel gar nicht so auf, weil der Alltag einfach immer weiter vor sich hin plätschert.

Schaue ich aber beispielsweise meine Schwester an, wie sie das Weihnachtsfest mit ihren drei noch sehr kleinen Kindern gestaltet und erlebt, bin ich mitunter fast verwundert, wie anders es bei uns abläuft – und das schon lange! Dabei erscheint mir die Zeit mit meinen eigenen kleinen Kindern noch gar nicht so weit weg zu sein.

Eben noch habe ich ihre kleinen Hände in meinen gehalten, habe sie auf meine Hüfte gesetzt auf dem Weihnachtsmarkt, damit sie besser sehen können, habe mit ihnen unter unglaublichem Kleckeraufkommen Plätzchen verziert, habe winzige Schuhe mit ihnen geputzt an Nikolaus und ihnen geholfen, jeden Tag ein Päckchen vom Adventskranz abzuschneiden. Wir haben in den Weihnachtsbüchern gelesen, nachmittags zusammen Mandarinen geschält und gemeinsam Kerzen angezündet, die ganze Adventszeit über. Sie saßen auf meinem Schoß im Gottesdienst an Heiligabend, rote Bäckchen vor Aufregung, wir haben die Weihnachtsgeschichte wieder und wieder erzählt und vorgelesen, alles war magisch.

Und gleichzeitig war alles unglaublich anstrengend. Viel anstrengender als heute, wo es nicht mehr um Heimlichkeiten und das Erzählen der immer selben Geschichten geht. Es gab oft Tränen vor Müdigkeit und Anspannung, Streitigkeiten zwischen den Kindern, Einschlafprobleme vor lauter Aufregung, Chaos in allen Abläufen etc. Aus all dem leitete sich dann entsprechend das Stresslevel für uns Eltern ab. Ich erinnere mich neben all den schönen Dingen vor allem auch an mein Schlafdefizit, an das Gefühl, niemals alle Dinge schaffen zu können und an die eigene Enttäuschung, wenn trotz allem dann alles in Chaos und Streit mündete.

Heute wird hier immer noch viel gestritten, nicht nur an Weihnachten. Wir sind alle sehr leidenschaftlich und es wird regelmäßig mal laut hier – DAS hat sich nicht verändert. Aber ansonsten ist das Leben mit den großen Kindern so anders! Und ich würde das eine nicht mit dem anderen vergleichen hinsichtlich der Qualität der jeweiligen Lebensphasen mit kleinen oder eben großen Kindern, ich wundere mich nur immer wieder, wie schnell diese Phasen vergangen sind.

Jetzt sind die Kinder groß. Sie backen selbständig, gerne mit Getöse, lauter Musik (nicht unbedingt weihnachtlicher Art) und auch mit Streit, sie brauchen keine Hilfe mehr beim Abschneiden ihrer Adventskalendersäckchen, stattdessen gehen sie ohne mich mit ihren Freund*innen auf diverse Weihnachtsmärkte, planen ihre Abende selbst und kaufen Weihnachtsgeschenke alleine ein (nicht, ohne mich vorher anzupumpen, natürlich). Sie gestalten die Adventszeit selbständig, manchmal beziehen sie mich mit ein und auch wenn sie gerne an bestimmten Ritualen festhalten, die wir als Familie etabliert haben, finden sie auch neue, kommen mit eigenen Ideen und verwerfen andere Traditionen, die wir nicht mehr brauchen. Alles ist Veränderung, immer.

Zwischen den Jahren. Noch spüre ich die kleinen Händchen in meinem Gesicht, die mich morgens wecken und höre die Stimmchen, die verlangen, sofort das neue Spiel zu spielen oder einen Kakao mit mir zu trinken. Und doch beginnen diese Tage jetzt ganz anders. Niemand rührt sich vor 11h, weil die Kinder im Zweifel noch stundenlang wach waren, als wir längst schliefen, der Mann und ich. Sie haben Filme geschaut oder geredet, sie haben mitten in der Nacht doofe Fotos vom Hund gemacht und kannenweise Tee getrunken. Sie haben vielleicht noch telefoniert oder Bücher gelesen oder sonst was angestellt.

Die Tage starten also ruhiger, eher in meinem eigenen Tempo (oder dem vom Hund), eher mit Dingen, die i c h mag, wie meinem neuen Krimi, einer Tasse Kaffee, einer kleinen Runde mit Percy, einer Meditation, ein paar Notizen. Und wenn wir Hunger kriegen, der Mann und ich, dann machen wir vielleicht Rühreier für alle und wecken die Kinder, vielleicht aber auch. nicht. Vielleicht sitzen wir wie die Alten in unseren Sesseln und glotzen raus und lassen die Kinder einfach, wo sie sind. Und ja, ich spüre noch die kleinen Händchen, die ich in meinen halte, aber ich glaube, die Intensität dieser gelebten, so geliebten Erinnerung wird sich nie verändern, selbst wenn die Personen, zu denen diese Händchen einst gehörten, inzwischen all die Dinge aus dieser vergangen Lebensphase nicht mehr von mir brauchen.

Ich mag das. Ich mag die großen Kinder (sagte ich es bereits?) um mich herum, auch wenn sie mich oft nerven mit ihrer raumgreifenden Art, ich mag, wie sie ihre eigenen Leben entfalten, ganz ohne mich, ich mag es, dass ich wieder mehr von m i r in meinem Tagesablauf spüre.

Im Gedächtnis meiner Liebe sind die kleinen Händchen unauslöschlich eingebrannt, das Gewicht der kleinen Körper in meinen Armen, der Duft der Köpfchen, die sich an mich lehnen, der Klang der kleinen Stimmen, für immer. Das trage ich mit mir wie einen süßen Schatz.

Und gleichzeitig umarme ich diese großen Menschen, zu denen sie geworden sind, zwei schon größer als ich, umarme ihre Eigenheiten und immer schärfer werdenden Konturen. Ich umarme die Momente, in denen sie mir nahe sind und viel aus ihren Leben mit mir teilen und umarme die, die sie fern von mir verbringen, während wir uns nur von weitem gegenseitig zuwinken. Sie sind wundervoll, diese großen Kinder.

Und es ist alles anders, wunderbar verändert und doch können all die gemeinsamen Momente gleichwertig nebeneinander stehen.

8 Kommentare

  1. Danke für die vielen schönen Einträge im Advent. Wir sind gerade mittendrin im „Rituale Schaffen“, die Kinder sind fast 3 Jahre und 5 Monate alt, und ich bin so gespannt, was sich etabliert und was wir schnell wieder verabschieden. Danke dir für deine Einblicke, ich liebe das sehr. Euch schöne Tage zwischen den Jahren!

  2. Und da ist wieder so ein Hoffnungsschimmer, der Anstrengung, Schlafmangel etc. ins rechte Licht rückt und Zuversicht schenkt. Danke! <3

  3. Ach Anna,
    Ich wünschte ich hätte selbst die Fähigkeit meine Gedanken so wundervoll in Worte zu fassen wie du – da es leider nicht so ist, bin ich umso dankbarerer für deine Worte! Wie so oft aus meiner Seele von dir auf dein (virtuelles) Papier. ❤️

  4. Liebe Anna, nun habe ich Urlaub und Zeit und Ruhe gemütlich auf meinem Sessel deine wundervollen Adventsbeiträge zu lesen. Und ich tue dies, ohne ein Kind im Wohnzimmer. Eins leigt in ihrem Zimmer und liest und das andere rief eben “ich gehe spazieren, bis später”. Wundervoll, ich mag diese Selbstständigkeit…aber ich mag auch, dass wir vorhin zusammen in der Stadt waren un dich beraten darf, ob lieber der einfarbige oder der karierte Rock. Und ich mag auch, dass irgendwann die erste fragt:”Gucken wir heute Abend was zusammen?” Während unserer Shoppingtour war der Herr des Hauses auf dem Golfplatz und all dies geht, ohne Abstimung und ohne die Frage: Wer passt wann auf die Kinder auf? Alles hat seine Zeit und ich fühle so mit deinen Worten, kann so gut mitgehen und freue mich aber auch, dass du über Streit und Unstimmigkeiten schreibst…denn die gehören dazu, egal ob mit 3 oder mit 13 jährigen. Danke für deine Worte. ich wünsche euch einen einen zauberhaften Jahresabschluss, viele Grüße, Nina

  5. Liebe Anna, ein toller Text, er berührt mich sehr, weil er ausdrückt, wie ich es gerade auch mit den Teenagern hier erlebe. Die „immer schärfer werdenden Konturen“ faszinieren mich sehr und ich bedanke mich für diese treffende Formierung. Alles Gute von mir, Antje

  6. Ein berührender und ehrlicher Rückblick auf die Veränderungen im Leben und die Entwicklung der Familie. Die Autorin zeigt, wie kostbar die Erinnerungen an die Zeit mit kleinen Kindern sind und wie sie gleichzeitig die Selbstständigkeit und Individualität ihrer erwachsenen Kinder schätzt. Ein wunderbares Beispiel dafür, wie das Leben immer wieder neue Kapitel schreibt, die von Liebe und Verbundenheit geprägt sind.
    LG,
    Anna

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