Wisst ihr den Namen eurer Hebamme noch? Kennt ihr noch ihre Stimme und ihr Gesicht? Und wisst ihr noch, wie wichtig und schön es war, gut betreut zu sein, vor, während und nach der Geburt eurer Kinder? Ich weiß das alles noch genau, weil die drei Geburten meiner Kinder so verschieden waren und vom Horrortrip zum schönen Geburserlebnis trotz Kaiserschnitt reichen – dank meiner Hebamme, die meine zwei jüngeren Kinder und mich auf unserem Weg zum gemeinsamen Leben begleitet hat. 

Selbstbestimmte Geburt?

Warum ich jetzt damit anfange?  Weil es unseren Hebammen an den Kragen geht. Weil die Lage für uns Frauen, Mütter, werdenden Mütter, Großmütter-to-be sich zusehends zuspitzt in unserem Land. Weil die Geburtshilfe in Deutschland immer mehr in die Kliniken verbannt wird. Weil seit einigen Tagen bekannt ist, dass sich die Politik von den freien Hebammen verabschiedet und einen ganzen Berufsstand der Ausrottung preisgibt, trotz aller Gegenstimmen und trotz jetzt schon alarmierender Zahlen über fehlende Geburtshelfer in manchen Gegenden. Und weil es fatal wäre, sich da bedeckt zu halten, nur weil ich meine drei “Schäfchen” schon im Trockenen habe und meine persönliche Familienplanung abgeschlossen ist. Es geht uns alle an. Es hat nämlich ganz ursächlich etwas mit unserer Selbstbestimmung zu tun in einer Situation, die existentiell, unwiederholbar und in ihrer Bedeutung maximal einschneidend ist in der Biographie jeder Frau. Ich schrieb neulich schon in meinem Artikel über Geburt und Tod darüber.

Es gibt Frauen, die darüber mehr wissen als ich. Mal wieder verweise ich euch an Frau Mierau, die darüber schon über geborgene Schwangerschaft und Geburt schrieb oder auch an die von mir so geschätzte Frau Frische Brise, die gerade ebenfalls darüber bloggte. Oder an das Mama-Papa-Hebamme-Team Von Guten Eltern. Aber für die Geschichten über die Geburten unserer Kinder sind wir die Expertinnen: wir Mütter, die wir durch Wehen und Ängste gegangen sind, bis wir unsere Kindern in den Armen halten konnten. Für manche von uns war der Weg weiter und schwieriger, manche haben kürzere und unkomplizierte Geburten gehabt, aber an unserer Seite war immer eine Hebamme. Bevor ich Mutter wurde, wusste ich nicht, welche Bedeutung diese Frau im Kreißsaal tatsächlich hat.

Klinikgeburt und Geburtstrauma

Als ich nach Berlin kam, hatte ich ein sechs Wochen altes Töchterchen im Gepäck, den Wunsch, möglichst schnell in meine rheinische Heimat zurück zu kehren und dazu ein massives Geburtstrauma. Aber das wusste ich damals nicht. Die Geburt vom Herzensmädchen, die sich am 10. Februar zum elften Mal gejährt hat, war furchtbar. Ich war schlecht vorbereitet, ich hatte keine Beleghebamme, ich wurde von der Oberärztin zu einer Einleitung überredet, indem sie mir Angst machte, mein ungeborenes (komplett gesundes!) Kind liefe aufgrund meines Schwangerschaftsdiabetes (nicht insulinpflichtig, Kind normalgewichtig) mit jedem Tag der Übertragung Gefahr, in der Gebärmutter zu sterben. Also willigte ich panisch ein und bei 40+0 wurde eingeleitet. Nach 42 Stunden im Kreißsaal und dem kompletten Set von Medikation, Wehen rauf und Wehen runter, nach respektlosen Bemerkungen und der verzichtbaren Erfahrung, wie eine Irre behandelt zu werden, wie jemand ohne Stimme, jemand ohne jegliche Relevanz in dieser Situation, endete das Ganze in einer Schnittentbindung. Aber Schwamm drüber, dachte ich, das Kind ist gesund, meine Narbe heilt, ich muss nie wieder einen Fuß in diese Klinik setzen, ich ziehe weg, weit weg, und ich nehme mein gesundes, feines, perfektes Mädchen mit, das sie mir aus dem Bauch geschnitten hatten, mit einer doppelten Nabelschnurumschlingung, von der sie mir nichts sagen wollten, weil es für die Entbindung nicht von Belang gewesen sei, da ich ja auf dem Kaiserschnitt bestanden hätte… Genau. Ist klar.

Ich nahm mein Kind und ging. Und mit mir ging ein Riesenpaket an Schuldgefühlen, Ängsten, Blockaden und Irrtümern – mein Geburtstrauma. Ich nahm das Paket mit nach Berlin und ich nahm es mit in meine nächste Schwangerschaft, die sich, oh Wunder, lange nicht einstellen wollte. Ich nahm das Paket mit zur Vorsorge, den Lieblingsbub in meinem Bauch. Ich begann, es wieder zu spüren in all seinen Aspekten: die Ängste, die Schuldgefühle, diese Panik, das wieder erleben zu müssen. Und dann kam der Tag, an dem es sich Bahn brach und ich heulend bei meinen Gyn im Sprechzimmer saß, weil ich nicht wusste, wie zum Teufel ich diesen kleinen Menschen zur Welt bringen sollte, ohne mich wieder in diese Hölle zu begeben, die mich auf links gedreht, zutiefst verletzt und wieder ausgespuckt hatte. Der griff wortlos zum Telefon und machte mir einen Termin bei… einer Hebamme. Das veränderte für mich alles.

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Vorsorge, Geburtsbegleitung und Wochenbett in einer Hand

Ich traf Katja, die Mit-Gründerin des Geburtshauses am Treptower Park, in das ich von nun an zur Vorsorge ging. Sie machte meine Schwangerschaft leichter. Sie nahm mir die Last meines Geburtstraumas von den Schultern, indem sie mich von meinen Schuldgefühlen wegen des Kaiserschnitts befreite. Sie machte meine Ängste kleiner, indem sie sie ernst nahm und sie mich aussprechen ließ. Sie gab mir die Hoffnung und den Glauben an eine Geburt zurück, die selbstbestimmt sein könnte, auch für mich. Sie ließ mich sehen, wie Geburtshilfe sein kann, wenn jemand an der Seite der Frau ist, die das Kind zur Welt bringt: ihre Hebamme.

Wir machten einen erneuten Geburtsvorbereitungskurs in ihrem Geburtshaus, diesmal einen, der uns wirklich vorbereitete. Ich konnte mich, von ihr begleitet, sogar darauf einlassen, eine vaginale Entbindung zu versuchen, trotz vorhergegangenem Kaiserschnitt und meinen massiven Ängsten. Sie ging mit mir in die Entbindungsklinik, tütete das mit mir bei der Oberärztin ein und das Ganze war besiegelt. Unter ihrer Betreuung und gleichsam unter ihrem Schutz fing ich an, mich auf die Geburt zu freuen und wirklich zu hoffen, dass ich natürlich würde entbinden können – etwas, das ich mir nach dem Trauma bei der ersten Geburt gar nicht mehr zugetraut hatte. Ich wurde immer freier, die Schwangerschaft wurde immer schöner und leichter und ich war der glücklichste Mensch, als die Geburt mit Blasensprung begann und der Lieblingsbub sich auf den Weg in diese Welt machte.

Katja kam aus Leipzig angedüst, wo ich sie telefonisch erreichte, als die Geburt losging. Sie flog quasi über die Autobahn zurück nach Berlin und traf uns in der Klinik. Sie kam zu uns und hielt ihre Hand über uns, während ich Wehen hatte und im Kreißsaal umher wanderte. Ich fühlte mich sicher und aufgehoben, weil ich wusste, sie kennt mich, sie hört mich, sie weiß, was ich möchte und was nicht. Alles war genau abgesprochen, alle Grenzen waren abgesteckt, der Mann war mit einbezogen bis ins letzte Detail – wir waren ein Team. Ich konnte schließlich auch den Bub nicht natürlich entbinden, sondern brauchte einen zweiten Kaiserschnitt, aber das war nicht schlimm, denn die Entscheidung wurde gemeinsam und vernünftig getroffen, in einem natürlichen Geburtsablauf, in dem ich diejenige war, die wortgebend war und die die Oberhand hatte, die ganze Zeit. Dafür sorgte Katja und ich kann bis heute niemals wirklich ausdrücken, wie viel sie mir damit geschenkt hat. Sie hat mir meine Würde wiedergegeben, die ich in einem anderen Kreißsaal, in einer anderen Stadt, Jahre zuvor verloren hatte. Sie hat mir das Vertrauen in meinen Instinkt und in meinen Körper zurück geschenkt, das ich verloren hatte. Sie hat mir meine Stimme wieder gegeben, die ich in dieser einen Sache, der wichtigsten für mich überhaupt, verloren hatte. Sie hat mir ermöglicht, mein schweres Geburtstraumapaket endlich abzulegen und es dort zu lassen, in diesem OP in dem mein Sohn geboren wurde. Durch ihre Betreuung in der Schwangerschaft und ihre Begleitung unter der Geburt hat sie mir die Chance geschenkt, endlich zu heilen.

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Nicht ohne meine Hebamme!

Das ist nur meine Geschichte, aber es gibt viele, unzählige solcher Geburtsgeschichten. Und an allen ist eine Hebamme beteiligt, die, wenn alles gut läuft, genau diese Rolle einnimmt, die “meine” Katja für mich eingenommen hat: diejenige zu sein, die die Stimme der Gebärenden ist, die sie professionell begleitet, ihr Sicherheit und Boden gibt, um ihr Kind zur Welt zu bringen und die sie im Vorfeld und im Wochenbett darin unterstützt, die Mutter zu werden, die sie sein möchte. Im Grunde ist dieser Job unbezahlbar. Das was Hebammen tun ist unbezahlbar. Und das soll jetzt der Vergangenheit angehören, weil selbständige Hebammen sich nicht länger versichern können? Das wird von unserer Politik kommentarlos drangegeben? Das ist nicht richtig und das darf nicht passieren.

Unsere Hebammen sind unsere Beschützerinnen, Begleiterinnen und nicht selten die Anwältinnen unserer Selbstbestimmung unter der Geburt. Sie bleiben bei uns und halten ihre Hand über uns, wenn wir mit dem existentiellsten Prozess überhaupt beschäftigt sind: der Geburt unserer Kinder. Jetzt brauchen sie unsere Stimme, sie brauchen die Unterstützung all der Mütter, die von ihnen Begleitung und Hilfe unter der Geburt bekomme haben. Sie brauchen unsere Unterschrift bei dieser Petition und sie brauchen die Empörung, den Zorn und die Vehemenz von uns allen – von uns Müttern. Egal, ob wir schon fertig sind mit der Familienplanung oder nicht.

Lasst sie nicht im Stich.

signatur

 

P.S: Nach Fertigstellung meines Textes stelle ich fest, dass es bei rabeneltern.org eine Blogparade dazu gibt. Außerdem findet ihr hier noch andere Möglichkeiten, euch für eure Hebammen und diesen ganzen Berufsstand einzusetzen. Links gibt’s bei den Rabeneltern auf der Seite.

Last Updated on 29. März 2018 by Anna Luz de León

18 Kommentare

  1. Ich kann nur sagen, dass Hebammen ganz wunderbare Menschen sind! Ohne sie wird unsere Welt ein ganzes Stück schlechter!
    Ich war sooo dankbar für die Hilfe meiner Hebamme! Das ist einfach unbezahlbar!

  2. Danke für diesen Beitrag.
    Weil er – neben der Geburtsgeschichte – alles auf den Punkt bringt.
    Meine erste Geburt war nicht traumatisch, hat aber trotzdem dafür gesorgt, dass ich nie wieder im Krankenhaus entbinden will, wenn es nicht nötig ist. Wenn meine Hebamme nicht sagt, dass es nötig ist. Mit dem zweiten Kind war ich in besagtem Geburtshaus und da will ich auch mit dem/den nächsten hin. Ich will mir diese Entscheidungsmöglichkeit nicht nehmen lassen.
    Ich will, dass diese Entscheidungsmöglichkeit niemandem genommen wird.

  3. Liebe Anna,

    vielen Dank für diesen schönen Post – ich bin auch unendlich empört darüber, was da politisch gerade abgezogen wird mit den Hebammen. Ich hab die Petition schon vor ein paar Wochen unterschrieben, denn ehrlich gesagt weiß ich überhaupt nicht, wie man ohne eine Hebamme ein Kind bekommen soll. Ich hatte eine wunderbare Geburt, es war wirklich ein schöne Erlebnis, an das ich immer wieder gerne zurück denke – und daran hat meine Vor- und Nachsorgehebamme ebenso einen riesigen Anteil, wie die zwei wunderbaren Hebammen in der Klinik, die mich während der Geburt begleitet haben.
    Und auch, wenn für mich persönlich nie eine Geburt im Geburtshaus in Frage kommen würde, dafür sind mein Freund und ich beruflich einfach zu medizinisch geprägt – ich finde es eine Frechheit, dass die Politik sich anmaßt, Frauen diese Entscheidung abnehmen zu wollen.
    Ich hoffe sehr, dass Petitionen und andere Maßnahmen in dieser Sache das Ruder noch rumreißen können.

  4. Pingback: Wochenrückblick KW 7 / 2014 | In einem kleinen Apfel...

  5. Blogprinzessin Antworten

    Ich stimme dir völlig zu. Auch wenn meine Hebamme nie mein “Retter in der Not” sein musste, ist sie doch inzwischen eine liebe Freundin von mir. Und sie war die erste die sagte:” Iihr schafft das mit drei Kindern unter Eins!”

  6. Danke für den Artikel! Er gibt den Hebammen ein Gesicht – und vielleicht verstehen auch Nicht-Eltern oder allgemeine Skeptiker mit ihm, was eine Hebamme leistet und warum es ist so wichtig ist, eine Hebamme bei der gesamten Geburt dabei zu haben, das heißt:

    Bei der ganzen Geburt und der Vorsorge eine Hebamme zur Seite zu haben, die ich kenne, die ich vorher kennenlernen konnte, die mich und meine Geschichte kennen lernen konnte und der ich gelernt habe zu vertrauen.

    Es ist unverständlich, wieso einem so natürlichen Ereignis wie einer Geburt so wenig Vertrauen entgegen gebracht wird.

  7. Auch meine Katja! Leider musste ich bei unserem zweiten Kind aufgrund unseres Umzugs ins Ausland ohne sie auskommen. Die zweite Geburt war eine Blitzgeburt zuhause ohne weitere Unterstützung – ohne die Erfahrung der großartigen Begleitung durch Katja während und nach der ersten Schwangerschaft hätten wir das bestimmt nicht so gut und “verhältnismäßig gelassen” überstanden.

  8. Meine Hebamme gehört durch meine beiden Töchter für mich für immer zu den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Zwar hat sie mich nicht entbunden, da ich in der Klinik war (und auch dort waren die Frauen einfach nur großartig bei beiden Geburten), aber sie betreute mich beide Male vor und nach der Geburt und half mir durch schwere Zeiten. Und ich weiß nicht, wie das ohne diese Frauen funktionieren soll. Wer soll all das übernehmen? Ich erzählte auf meinem Blog meine kleine Geschichte mit meiner Hebamme und habe zu diesem Thema auch eine kleine Blogparade ins Leben gerufen – falls ich das hier erwähnen darf :) Wer möchte, schließt sich an. Je mehr, desto besser! <3 http://grummelmama.blogspot.de/2014/02/blogparade-wozu-denn-hebammen.html

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  10. Pingback: selbstbestimmung vs bevormundung ::: wie ich bei einer geburt zwei mal mutter wurde

  11. Hallo Anna,
    ich habe mein zweites Kind auch selbstgeboren, mit Kaiserschnitt im Krankenhaus und 10 Wochen zu früh und wurde davor und danach von einer Hebamme aus Katjas Gebursthaus betreut.
    Mein erstes Kind habe ich in einem anderen Geburtshaus bekommen.
    Ich hatte beide Male großes Glück. Beim Ersten Mal, weil alles so war, wie ich es mir gewünscht hatte, beim zweiten Mal, weil ich im (für mich) besten Krankenhaus der Welt gelandet bin, im St.Josef, in Tempelhof, wo ich gehört wurde, geachtet, unterstützt, gestärkt und sehr sehr einfühlsam begleitet.
    In einer Situation, in der es so auf die eigene Stärke ankommt und man gleichzeitig so leicht zu überwältigen ist, ist es eine durch und durch heilsame Erfahrung, genau die Hilfe zu bekommen, die man braucht und gleichzeitig das Vertrauen der Schwesterm, Hebammen und Ärzte, dass man das kann, was man in dem Moment können muss.
    Das kann einem keiner mehr nehmen und man wird dadurch auch neu geboren.
    Danke für dein starkes Statement, du hast es sehr gut auf den Punkt gebracht.

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