Neujahrsvorsätze, Erwartungen und Wünsche für 2021 und allenthalben die Aufforderung an das Jahr selbst: es möge sich besser schicken, als 2020. Es müsse gar nicht viel tun, es solle nur nicht so schlimm werden, wie das alte Jahr. Aber ergibt es wirklich so viel Sinn, diese Erwartungen an ein Jahr zu haben? Ich habe eher so das Gefühl, wir tun uns mit einer Erwartungshaltung, ganz gleich mit welcher, keinen Gefallen…

Das alte Jahr verabschieden vs. Neujahrsvorsätze

Ich bin ja sowieso nicht der Neujahrsvorsatztyp. War ich nie wirklich und je älter ich werde, umso unsinniger erscheint mir das. Nicht Vorsätze grundsätzlich. Aber die Vorstellung, dass sie sich ausgerechnet JETZT so gut umsetzen lassen sollen, nur weil ein neues Jahr beginnt. Es ist ja nicht so, als seien dadurch irgendwelche Dinge außer Kraft gesetzt worden, die uns vorher am Umsetzen unserer Vorsätze gehindert hätten.

Was ich allerdings seit Jahren für mich zu nutzen versuche, sind die ruhigen Tage zwischen den Jahren. Wenn Weihnachten vorbei ist und wenn nach Silvester alles noch ein bisschen stillstehen zu scheint. Da gibt es dann diese Energie der Ruhe, des Verharrens, die ich dafür nutze, das alte Jahr mit allen seinen Herausforderungen und Geschenken bewusst loszulassen. Mich zu verabschieden. Und mich dann bereit zu machen (und gegebenenfalls zu wappnen) für das Neue, das jetzt auf mich zukommt.

Tatsächlich ist der Abschied von 2020 überall besonders intensiv zelebriert worden. Alle haben das Jahr zum Teufel gewünscht. Es verflucht und sein Ende herbeigesehnt. Und ich verstehe das. Es gab viel Schweres in diesem Jahr, das wollen wir alle gerne loslassen. Westrand im Winter | berlinmittemom.com

Dennoch. Ich mag mich auch hier auf dem Blog  mit dem Blick auf das Gute von 2020 verabschieden. Es ist mir wichtig, mich positiv auszurichten, bevor das neue Jahr beginnt. Denn wir wissen nie, was kommt. Niemand gibt uns ein Versprechen, dass es morgen besser wird, dass das neue Jahr leichter wird, dass wir persönlich noch so viel Erdenzeit haben werden, um zu wählen, ob wir auf das Bessere warten können werden, das wir uns wünschen. Wir sind jetzt auf dieser Erde. Jetzt. Ob wir den Moment mögen oder nicht, zunächst ist es einfach nur die Lebenszeit, die uns gegeben ist. Jetzt.

Deshalb ist mir der positive Blick zurück genauso wichtig, wie der erwartungsvolle nach vorne. Ich kann mich nur dann auf etwas Neues konzentrieren oder einlassen, wenn ich das Alte losgelassen habe. Und das geht für mich am besten mit Dankbarkeit.

Leuchtturm Darßer Ort | berlinnmittemom.com

Ich lasse das alte Jahr los und bin dankbar für…

  • … die Erinnerung daran, was mir wirklich wichtig ist und was mir in den letzten Monaten seit der Pandemie besonders gefehlt hat.
  • … die Erfahrung, dass diese Familie zusammenhält, egal, was kommt. Dass wir uns wirklich aufeinander verlassen können.
  • … die Rückbesinnung auf die Freundschaften und Verbindungen, die wirklich tragfähig sind. Die Liebe und die (Fern)Wärme, die solche Verbindungen ausstrahlen.
  • … die Orte, an denen ich durchatmen konnte. Der Garten. Die Ostsee. Der Wald.
  • … das Loslassen von Dingen, die mit einem Mal an Bedeutung verloren haben und sie auch nicht wiedererlangen können.
  • … die Kreativität anderer, die in diesen Zeiten Wege finden, ihre Ideen, ihre Musik, ihre Kunst, ihre Gedanken mit anderen zu teilen und damit deren Welt zu erhellen.
  • … die Offenheit, mit der andere Menschen um mich herum ihre Gefühlslage mitteilen und ihre Schwierigkeiten, mit den Dingen umzugehen. Das hat so vielen ermöglicht, sich ebenfalls zu äußern.
  • … die Herausforderungen, die ich meistern musste und auch das Schmerzhafte daran – es waren mir gute Lehrmeister.

Fürs neue Jahr habe ich keine konkreten Wünsche oder Erwartungen oder gar Neujahrsvorsätze. Ich hoffe auf Dinge oder ich stelle mir vor, wie ich bestimmte Situationen lösen möchte, aber ich erwarte nicht, dass 2021 mir irgend etwas “liefert”. Dass mir das neue Jahr etwas schuldet, weil das alte nicht perfekt war. (Spoiler: das ist es nie!) Dass es irgendwo einen geheimen Zettel gibt, auf dem Dinge gegeneinander abgewogen werden: 2020 gab es eine Pandemie, dafür lösen wir 2021 die Klimakrise. Klingt fair, ist aber natürlich Quatsch. Oder: 2020 hast du deinen Vater nicht einmal gesehen, dafür läuft dann 2021 alles mit den Kindern glatt – oder sowas in der Art. Wäre ja schön, aber so ist das Leben einfach nicht.

Das neue Jahr schuldet uns nichts

Und das bringt mich zu dieser irgendwie absurden, wenngleich auf der emotionalen Seite nachvollziehbaren Idee, die mir überall begegnet, nämlich dass das neue Jahr sich bitte beweisen soll. Es möchte bitte entspannter sein, es soll sich benehmen, es soll uns was bringen und irgendwie eine Wiedergutmachung für 2020 sein. Das kommt mir nicht nur unrealistisch, sondern auch kindlich vor. So als wäre das Umblättern des Kalenderblatts von 20 auf 21 ein magischer Trick und die Beschwörungen all des Guten und Schönen ein Zauberspruch, der dann das neue Jahr gnädig stimmen möge.

Nur leider funktioniert das so nicht. Wir sind selbst die Tricks und Zaubersprüche in unseren Leben, ganz egal, was auf dem Kalender steht. Die Pandemie wird nicht vorbei sein, nur weil jetzt 2021 ist. Die Klimakrise geht nicht einfach so weg, ohne, dass wir uns massiv einsetzen. Rassismus oder rassistisch motivierte Gewalttaten gehen  im neuen Jahr genauso wenig automatisch weg, wie Alltagssexismus, Homophobie, Ableismus oder die menschenunwürdigen Lebensbedingungen für Geflüchtete an Europas Außengrenzen. Menschen werden nicht aufhören, im Mittelmeer zu ertrinken, rechte Erzählungen, alternative Fakten und Verschwörungnstheorien werden nicht über Nacht verschwinden.

Und auch alles, was uns persönlich in unseren Leben betrifft, wird nicht einfach mit dem Jahreswechsel oder Neujahrsvorsätzen gut. Wie gesund oder krank wir sind, wie gut oder schlecht unsere Beziehungen laufen oder wie es um die familiären Bindungen bestellt ist. Ob unsere Freund*innen loyal sind oder nicht. Ob der Job sicher ist oder wir uns neu erfinden müssen. Wie schwer oder leicht unsere Leben sich anfühlen werden.

Wir schulden es uns selbst

Für mich gibt es dazu nur eine Haltung: wir müssen unsere Widerstandsfähigkeit trainieren wie einen Muskel und müssen selbst entscheiden, wie wir mit all dem umgehen wollen. Immer aufs Neue. Und wir werden, genau wie im alten Jahr, an manchen Tagen erfolgreicher sein, als an anderen. Wir werden straucheln und hinfallen und ganz oft werden wir auch eine Weile liegenbleiben. Das ist okay. Wir müssen nicht alles alleine schaffen, wir können und dürfen um Hilfe bitten. Unser Leben wird nicht besser verlaufen, wenn wir diesen Verlauf in die abstrakten Hände eines neuen Jahres legen. Wie wir mit den Herausforderungen umgehen werden, die uns erwarten, liegt bei uns.

Und was vielleicht klingt, als würde ich sagen, dass alle Verantwortung für das, was geschieht, bei uns selber liegt, meint eigentlich: wie wir mit dem umgehen, was uns gegeben wird, ist unsere Verantwortung. Ich kann nicht entscheiden, was mir gegeben wird. Aber ich kann entscheiden, ob ich mich, wenn ich mich mal heulend an die Erde gelegt habe, weil das Leben zu viel wird, wieder berappele und auf welche Weise ich das tue. Ich kann entscheiden, ob ich mich von etwas, das mir vor die Füße rollt, auf meinem Weg nachhaltig behindern lasse oder ob ich einen Umgang damit finde, der mich drumherum führt.

Neujahrsvorsätze 2021 - Weststrand | berlinmittemom.com

Let’s do the magic ourselves

Ich sehe zur Zeit in meinem Umfeld und auch online viele, die genau das tun. Die ihr Leben, ihren Familienalltag, ihre Jobs, ihr Tun… selbst neu gestalten. Weil sie es müssen. Weil Corona uns allen Homeschooling, Risikopatienten, Existenzängste und Unsicherheiten undundund… in die Bude gekegelt hat und wir alle Wege finden müssen, damit umzugehen. Die Verantwortung dafür, dass all das passiert, liegt nicht bei uns. Aber der Umgang damit, den bestimmen wir selbst.

Ich könnte mich tagelang aufhalten damit, ob nun Herr Drosten recht hat oder Herr Streeck, ob diese*r oder jene*r Kultusminister*in Blech redet oder ob es gerecht ist, dass manche ungestraft in den Schnee fahren, während andere sich zu Hause isolieren. Ich könnte mich aufregen, dass es keine nachvollziehbaren rechtlichen Konsequenzen gibt für die masken-, anstands- und abstandslosen Demonstrant*innen der Querdenkerfanatiker oder darüber, dass nicht schnell genug geimpft wird – all das liegt nicht in meiner Hand.

Es liegt aber sehr wohl in meiner Hand, ob ich zulasse, dass mich das runterbringt. Ob ich mich passiv hinsetze und meine Energie darein investiere, mich mit dem zu befassen, was ich ohnehin nicht ändern kann. Oder ob ich mich darauf konzentriere, wie ich für mich (und meine Liebsten) am besten da durchkomme.

Ob 2021 uns ein besseres, leichteres, erträglicheres Leben bescheren wird, liegt weder in der Hand einer imaginären Macht, die über uns allen steht, noch ist es davon abhängig, wie schlimm 2020 war oder ob wir uns nur die richtigen Dinge auf unsere Wunschzettel fürs neue Jahr geschrieben und sie um Mitternacht verbrannt haben. Ja, wir sollen ein besseres, ein leichteres, ein erträglicheres Leben haben, aber nicht das Jahr 2021 schuldet es uns. Wir schulden es uns selbst.

Deshalb stehen auf meinem Wunschzettel fürs neue Jahr Affirmationen, eine Vorstellung davon, wie I C H sein will und wie I C H dem begegnen will, was auf mich zukommen wird. Denn was das sein wird, darüber kann ich nicht bestimmen.

Ich gehe in das neue Jahr mit…

  • … dem Willen zum Optimismus und zur Lebensfreude. Uns ist dieses eine Leben geschenkt und wir selbst gestalten es. Das ist unsere einzige verlässliche Größe, wenn uns Dinge von außen anfechten.
  • … dem Vorhaben, eine positive Haltung einzunehmen und zu behalten. Ich kann nicht bestimmen, was mir das Leben gibt, aber ich kann meinen Umgang und meine Haltung dazu bestimmen.
  • … dem stetigen Bewusstsein dafür, was alles g u t ist in meinem Leben und der damit verbundenen Dankbarkeit. Dankbarkeit macht glücklich, nicht Glück macht dankbar.
  • … der festen Absicht, mich um mich selbst gut zu kümmern und meine eigenen Bedürfnisse sowie die meiner Liebsten im Fokus zu behalten, egal, was die Welt um uns herum uns so bietet.
  • … dem Ziel, mit Freund*innen, der Großfamilie und den Wahlverwandtschaften eng verbunden zu bleiben. Wir sind alle stärker, wenn wir verbunden sind. Zugehörig zu sein hilft dabei, sich nicht alleine zu fühlen in dem Chaos der Außenwelt
  • … der steten Ausrichtung an meinen Werten. Wir werden teilen, was wir haben, einander (und andere) lieben, so gut wir können und uns für das einsetzen, woran wir glauben.

Weststrand im Winter | berlinmittemom.com

Ich glaube an Selbstwirksamkeit und die positive Kraft, die die Gestaltung des eigenen Lebens entfalten kann. Ohne zu denken, man könne damit alles gut machen, bin ich überzeugt, dass wir auf diese Weise gut ausgestattet sind – nicht nur für ein neues Jahr, sondern als Grundhaltung für unsere Erdenzeit.

Das neue Jahr ist da. Und ob ihr nun Neujahrsvorsätze gefasst habt oder nicht – ich wünsche euch allen, dass ihr einen guten Start hattet und gesund seid.

Passt auf euch auf!

8 Comments

  1. Das sehe ich auch so!
    Ich hätte es nur nicht so in Worte verpacken können.
    Viele Grüße!

  2. Deine Worte sind heilsam und ich finde mich ganz darin wieder. Toll geschrieben!

    • Das lese ich gerade, nachdem ich in mein Dankbarkeitsbüchlein geschrieben habe, etwas, das ich seit Anfang der Woche (Mal wieder) tue, um genau das, was du beschreibst, für mich selbst anzustoßen. Danke für dein Plädoyer für die Selbstwirksamkeit. Damit hast du viele Gedanken, die in meinem Kopf schwirren, wunderbar auch für mich passend in Worte gefasst und sortiert.

      • Das sollte an dich, Anna, gehen. Bin wohl ein bisschen zu müde für Kommentartechnik :)

  3. Liebe Anna,
    Deine “Ich-gehe-in-das-neue-Jahr”-Punkte habe ich mir gespeichert, um sie mir immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Denn mit ihnen bringst Du für mich (wieder einmal) auf den Punkt, worüber ich in der letzten Zeit nachgedacht habe. Vielen Dank für Dein präzises Ausformulieren! :)
    Viele Grüße nach Berlin und Dir und Deiner Familie ein frohes und gesundes 2021
    Corinna

  4. Liebe Anna,

    Vielen Dank für Deine klugen Worte. Ich bin jetzt 44, vermutlich irgendwo in der Mitte meines Lebens (oder darüber hinweg, zum Glück weiß ich das nicht). Ich bin bis hierhin gekommen, mit einer positiven Haltung der Welt, den Menschen und mir selbst gegenüber. Mir wurde das geschenkt, ich bin einfach so. Seit ein paar Jahren bröckelt das, besonders das Vertrauen in die Welt. Rassismus, Grobheit, fehlende Solidarität, fehlendes Mitgefühl, die Gemeinheit vieler Menschen, der Hass … all das war wohl schon immer da draußen, aber mir ist, als sei das in den vergangenen Jahren immer stärker ans Licht gekommen. Und 2020 hat es nicht besser gemacht.
    Aber 2021 will ich mir meine positive Haltung zurückholen. Was mir früher mal geschenkt wurde, will ich mir aktiv erarbeiten – das sollte klappen, immerhin bin ich jetzt erwachsen. Deine Haltung, Deine Affirmationen, Deine Ermutigung hat mir das noch mal klarer gemacht. Das wird mein Motto für 2021. Warme Grüße und herzlichen Dank dafür, aus OWL nach Berlin.

  5. Pingback: Abschied vom alten Jahr | Meine Tradition zum Jahreswechsel | berlinmittemom

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