Muttertag. Vor Jahren habe ich einen schmerzerfüllten Text voller bittersüßer Erinnerungen zum Muttertag geschrieben und ihn meiner Mutter gewidmet. Einer Mutter, die aus meiner Sicht als Tochter immer glücklich war, (unsere) Mutter zu sein. Die immer alles, was sie zu geben hatte, ihren Kindern gewidmet hat. Die für uns da war, uns begleitet und geleitet hat und die gerne ihre Zeit mit uns verbrachte. So war jedenfalls meine Wahrnehmung als Kind. Aber trifft das überhaupt zu?

Heute bin ich seit sechzehn Jahren Mutter und seit nunmehr zehn Jahren bin ich Mutter von Dreien, und ich spüre meine eigene liebevolle, zugewandte Mutter in allem, was ich seitdem mit meinen Kindern getan habe. Aber bin ich immer gerne mit meinen Kindern zusammen? Zu jedem Zeitpunkt meines Lebens in den letzten sechzehn Jahren? Die Antwort ist ganz klar: nein. Woran das liegt und was das mit Mütterrollen zu tun hat, versuche ich heute, mal aufzuschreiben.

Aus heutiger Perspektive ist mir vollkommen klar, dass das für meine Mutter ebenfalls so gewesen sein muss: sie liebte uns, wir waren ihr Ein und Alles und sie widmete uns all ihre Kraft und Liebe – aber sie war mit absoluter Sicherheit froh, wenn sie mal Zeit ohne uns verbrachte. Wenn sie in all dem Alltagswahnsinn zwischen Vollzeitjob, Kindererziehung und Familienzeit mal zu sich kam, ohne dass die Ansprüche an sie ständig präsent waren. Ohne irgendetwas oder irgendjemanden um sich her beachten zu müssen. Ohne daran zu denken, welche der vielen Mütterrollen sie erfüllen möchte oder glaubt erfüllen zu müssen.

Zwischen Mütterrollen und persönlichem Glück | berlinmittemom.com

Wie kann ich eine emotional und auch ideell zu 100% engagierte Mutter sein und meine Kinder zeitgleich zwischendurch Lichtjahre weit wegwünschen? Wie bin ich eine Mutter ohne Reue, die sich für ihre Kinder in Streifen schneiden lassen würde und kann gleichzeitig den Moment des Tages kaum erwarten, in dem ich mal für mich bin? In dem ich Zeit und Ruhe habe, meinen Blick mal nach innen zu richten und nur mich zu sehen? Keine Mama zwischen allen Fronten und befasst mit der Aufgabe, eine Rolle für sich zu definieren? Wie geht das zusammen?

Mütter: Wann sind wir glücklich?

Ich glaube, das geht nicht nur sehr gut zusammen, das ist sogar überlebensnotwendig. Es gibt so viele schlaue Sprüche in diesem Internet und in irgendwelchen Selbstfürsorgetagebüchern oder Notizen von Coaches, die besagen, dass nur die Kinder glückliche Kinder sind, die auch eine glückliche Mutter haben. Soweit, so gut, das ergibt Sinn. Aber was bedeutet denn „glücklich sein“? Sind wir glücklich, wenn wir alle Ansprüche erfüllen, die wir an uns selbst stellen oder die von außen formuliert werden? Sind wir glücklich, wenn wir Zeit für unsere Kinder haben, die wir auskosten können? Sind wir glücklich, wenn wir einen erfüllenden Beruf ausüben und darin erfolgreich sind? Sind wir glücklich, wenn wir in einer Partnerschaft sind mit einer Person, die wir lieben und die uns liebt? Sind wir glücklich, wenn wir gesund sind? Wenn unsere Kinder und unser*e Partner*in es sind? Die Antwort auf alle diese Fragen lautet: ja. Natürlich lautet sie ja.  Aber obwohl das alles schon eine lange Liste ergibt, ist das eben noch längst nicht alles.

Mütterrollen heute: Was wir alles müssen.

Wir sind wir selbst. Wir sind glücklich, wenn wir wir selbst sind. Denn wir waren schon jemand, bevor wir Mütter wurden und wir sind dieser Jemand noch immer. Wir leben in einer Zeit, in der die Ansprüche und Erwartungen an Mütter und die Vorstellungen von Mütterrollen kaum vielschichtiger und komplexer sein könnten. Wir kämpfen um ein Rollenbild, jede mit dem Blick durch ihre eigene Brille und müssen dabei auch noch mögliche Angriffe von außen parieren. Sind wir zu ehrgeizig im Job? Sind wir zu überbehütend zu Hause? Sind wir zu ängstlich oder zu streng mit unseren Kindern?  Ernähren wir sie richtig und lassen sie auch mal von anderen betreuen? Aber bloß nicht zu früh und nicht zu lange? Sind wir emanzipiert genug und dabei dennoch empathisch gegenüber anderen Müttern, die andere Entscheidungen treffen? Sind wir inklusiv genug? Setzen wir uns für andere ein und widmen unsere Zeit denen, die vielleicht weniger privilegiert sind? Leben wir auch nachhaltig genug? Leben wir unseren Kindern die richtigen Werte vor und schreien sie möglichst niemals an? Verteilen wir unsere Liebe gerecht auf unsere vielen Kinder, auch auf die, die wir nicht selbst geboren haben? Sind wir als Pflege- und Adovptivmütter gut genug? Sind wir in unseren Partnerschaften engagiert genug? Begleiten und verstehen wir unsere Kinder gut genug und treffen die richtigen Entscheidungen für sie? Fördern wir sie richtig? Natürlich ohne sie zu überfordern? Wählen wir die richtigen Schulen und das richtige Umfeld? Und schließen dabei auch niemanden aus? Haben wir im Job die richtigen Ambitionen und setzen uns bestimmt genug durch?

Mütterrollen: Wer sind wir und wenn ja, wie viele?

Und dann, während wir uns bemühen, alle diese Fragen richtig zu beantworten, allen diesen Anforderungen gerecht zu werden, bleibt eine ganz zentrale Frage offen: sind wir noch wir selbst? Kümmern wir uns auch genug um uns selbst? Um die Person, die wir schon waren, bevor wir Mütter wurden?

Da ist er, der Moment, in dem ich erleichtert aufseufze, wenn meine innig und über alles geliebten Kinder mich mal alleine lassen. Der Moment, in dem ich nur ich bin und tief Luft hole. Der Moment, in dem ich die Tür zwischen mir und der Welt schließe und alle Ansprüche und Erwartungen aussperre. Der Augenblick, in dem ich nur zu mir komme, in dem ich die Ruhe finde, in mich hinein zu horchen und zu überprüfen: bin ich noch da?

Natürlich verändert es uns fundamental, Mütter zu werden. Aber wir werden keine anderen Menschen. Natürlich erweitert sich unsere Sichtweise auf die Dinge ganz erheblich, wenn wir unsere Kinder ins Leben begleiten, aber wir haben noch immer dieselben Werte wie zuvor. Der Ort, wo wir herkommen, ist nicht plötzlich ein anderer, auch wenn wir immer weiter dazulernen (wie übrigens alle anderen Menschen ohne Kinder es auch tun, wenn sie im Leben fortschreiten).

Sind wir glückliche Mütter? Ich glaube, wir können es sein, so gut es eben geht, wenn die Grundvoraussetzung erfüllt ist: wenn wir die Verbindung zu uns selbst nicht verlieren, wenn wir uns nicht verbiegen lassen von all den Erwartungen, wenn wir es schaffen, authentisch wir selbst zu bleiben, Muttersein hin oder her. Und wenn es uns gelingt, unseren Kindern zu zeigen wer wir sind. Wenn wir uns zeigen, ohne uns zu maskieren. Wenn wir sie sehen lassen, wer wir mit all unseren Stärken und Schwächen wirklich sind und wer wir schon immer waren, auch bevor sie da waren. Wenn wir sie erkennen lassen, wo sie herkommen, wo wir herkommen und wieso es so wichtig ist, dass wir alle sein dürfen, wie es in unserem Innersten angelegt ist, schon beim Augenblick unserer Geburt. Denn die Tatsache, dass wir alle Mütter sind, macht uns längst nicht alle gleich. Es ist ein verbindendes Merkmal, ein sehr starkes, zugegeben, aber eben erstmal nur: eins.

Mutterliebe | berlinmittemom.com

Muttertag ist Muttertag. Für jede Mutter bedeutet das etwas anderes

Im Vorfeld zu Muttertag ist überall die Rede davon, dass wir uns selbst gratulieren sollen zu dem tollen Job, den wir als Mütter machen. Dass wir uns verwöhnen lassen sollen, mit Blumen und Kuchen und Spa-Gutscheinen oder ähnlichen Goodies. Dass wir das verdienen, weil wir die wichtigste Aufgabe der Welt erfüllen: die nächste Generation großziehen, die aus unseren Kindern besteht. Gleichzeitig sagt uns die andere Hälfte des Internets, dass wir schön blöd sind, wenn wir uns mit einem Blumenstrauß und Schokolade abspeisen lassen, statt die Abschaffung der Gender-Paygap, der gläsernen Decke und der ungerechten Besteuerung von alleinerziehenden Müttern zu fordern. Und damit fängt die Liste der (sinnvollen) Forderungen erst an.

Tatsächlich ist es aber doch so: weder die eine noch die andere Haltung zum Muttertag trifft für mich persönlich den Punkt. Weder möchte ich nur heute Blumen und Küsse von meinen Kindern, noch sollten wir nur heute all die Dinge für Mütter fordern, die in dieser Gesellschaft schieflaufen. Muttertag ist Muttertag, das bedeutet für jede von uns etwas anderes. Denn ja, wir sind alle Mütter, aber wir sind genauso verschieden in unserem Werden und Wachsen, wie wir es waren, bevor wir Mütter wurden. Ob wir uns heute feiern lassen oder uns für eine bessere Welt einsetzen oder möglicherweise sogar beides oder keins davon – liegt allein bei jeder einzelnen von uns.

Ich bin eine glückliche Mutter. Ich habe sehr viel Glück in vielen Dingen, die mein Leben bestimmen. Ich liebe meine Kinder und ich bin dennoch froh, wenn sie morgens aus dem Haus gehen und ihre eigenen Wege gehen. Ich kämpfe immer noch und immer wieder darum, ich selbst zu sein und den Zugang zu der Person nicht zu verlieren, die ich schon immer war. Das gelingt mal besser, mal schlechter. Ich habe viele (mütterbezogenen) Themen in meinem Leben, für die ich mich einsetze und jede, die diesen Blog liest, kennt einige davon.

Ich mache meinen Mamajob so gut es geht, aber ich bin kein besserer Mensch geworden, seit ich Mutter bin. Ich sehe die vielen Ansprüche an mich als eine Mutter meiner Zeit und die vielen Mütterrollen, die ich erfüllen könnte/möchte/sollte und setze mich damit auseinander, was und wer ich darin sein will, immer wieder. Seit meine Kinder da sind, liebe ich mehr, leide mehr, fühle insgesamt mehr und merke immer wieder, dass der Platz, den ich vorher nur für mich hatte, jetzt von vielen Menschen bevölkert ist. Ich liebe das. Ich verfluche das oft. Ich mache das alles, so gut ich eben kann. Ich bin die „gut genug-Mama“. Mein Herz läuft über, jeden Tag, in jede erdenkliche Richtung. So wie eure Herzen auch.

Happy Muttertag für euch alle da draußen, ganz gleich, wer ihr seid und woher ihr kommt. Ihr müsst keine der vielen Mütterrollen erfüllen, die da draußen herumschwirren. Ihr müsst nur ihr selbst sein.

 

 

3 Kommentare

  1. Liebe Anna, ich lese schon lange bei Dir mit und liebe Deine Texte, die mich zum Nachdenken bringen, zum Schmunzeln, zum Lachen, zum Traurig sein. Kurz, die mich berühren und immer „erreichen“.
    Vielen Dank für diesen hier, der mir vor Rührung fast ein paar Tränen in die Augen treibt…Du erklärst wirklich schön, warum es scheinbar so schwer ist, beides miteinander in Einklang zu bringen: die in ihrer Wucht und ihrem Umfang unfassbare Liebe zu den Kindern und das Glück, dass sie einem geben, und die Freude und Erleichterung in den Momenten allein, so weit weg von alldem. Warum nur wollen wir immer in allen Rollen perfekt sein? Woher kommen diese eigenen (unmöglich zu erfüllenden!) Ansprüche? Schon im damaligen Text mochte ich Deine „gut genug-Mama“-Formulierung sehr.
    Liebe Grüße „von nebenan“ aus dem Helmholtzkiez,
    Andrea

  2. Jaaaa!! So geht es mir auch. Ich liebe meine Kinder und doch genieße ich jeden Moment allein! Ich kenne soviele die sagen, sie wollen ihre Kinder immer um sich haben. Ich weiß nicht ob das wirklich so ist..bei mir nicht. Und ich versuche kein schlechtes Gewissen zu haben..das hat man gefühlt als Mama ja immer. Gegenüber den Kindern und allen Erwartungen von aussen. Aber ich trotze diesem Gewissen!
    Ich habe mich heute noch vor dem Frühstück abgeseilt, mich mit meiner Mutter und Oma getroffen und wir haben einen großartigen, ruhigen, stressfreien Tag verbracht! Herrlich! Haben wir Jahre nicht gemacht. Ich bereue nichts und habe kein schlechtes Gewissen. Ich darf ja wohl ich selbst sein.

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