Was für ein Schatz Regen ist, vor allem nach drei Tagen Gluthitze ohne Abkühlung! Über Nacht sind nicht nur die Temperaturen sondern auch Regen gefallen, der den ganzen Morgen weiterplätschert. Wir sitzen auf der überdachten Terrasse, lassen die Teenies einfach schlafen, trinken Kaffee, lesen und schauen dem Hund dabei zu, wie er sich im nassen Gras wälzt.
Ich erinnere mich an einen Urlaub vor über dreißig Jahren, den meine Eltern mit uns hier an dieser Küste verbracht haben, genauer gesagt, in Maubuisson. Dort hatten wir ein Ferienhaus in einem Pinienwäldchen gemietet, mein Bruder und ich schliefen in einem Alkoven im Wohnzimmer hinter einem Vorhang und Freunde von uns kamen zu Besuch. Sie waren seit einigen Wochen mit dem Bulli durch Frankreich und Spanien gefahren und hatten gecampt, ein Freund meiner Eltern mit seiner Lebensgefährtin, einem seiner Söhne, dessen bestem Freund und der Familienhündin, einer riesigen, freundlichen Neufundländerdame namens Lady. Und während die beiden Jungs in unserem Garten ihr Zelt aufschlugen, zogen das Paar und der Hund auf den nahen Campingplatz.
Ich war vierzehn in diesem Sommer, die Ehe meiner Eltern kriselte gewaltig, aber das war mehr als so eine Art permanente Grundspannung zu spüren, lauten Streit gab es selten. Und es regnete viel. Es hingen Wolken über der Küste, die einfach nicht verschwinden wollten und die Strandtage waren rar. Meine jüngere Schwester, die gerade fünf geworden war, beobachtete den Himmel täglich und schrie bei jeder Wolkenlücke; “Es reißt auf, es reißt auf!”, um uns alle dazu zu bewegen, uns sofort die Handtücher zu schnappen und zum Strand zu rasen, jeden Augenblick möglichen schönen Wetters zu nutzen.
Aber ich erinnere mich an diesen Urlaub als eine Zeit, in der wir diesen Regen, die Wolken, das “schlechte Wetter”, das wie eine Bremse über dem sommerlichen Aktionismus der Ferienzeit lag, richtiggehend genießen konnten. Ich sehe meinen Vater auf der Terrasse auf dem Liegestuhl liegen und Zeitung lesen und dabei einfach einnicken, während es um uns herum leise tröpfelte. Und da lag er und schlief, am helllichten Tag, ohne Termine, ohne Pläne, neben sich, ebenfalls schlafend, die Hündin Lady. Wir saßen draußen und waren einfach da, umgeben vom Geruch der feuchten Pinien um uns her, und es war, als hätte diese helle, laute Sommerwelt sich verlangsamt und wir hätten endlich die Ruhe gefunden, die wir eigentlich gebraucht hatten.
Wir hüllten uns in unsere Kapuzenpullis und saßen im Bulli unserer Freunde, wo wir Earl Grey tranken und Bücher lasen. Und natürlich redeten wir viel, wir waren schließlich im selben Alter, die beiden Jungs und ich, und auch mein Bruder, wenn auch drei Jahre jünger, war dabei. Wir hörten Musik und alberten herum, wir machten kleine Spaziergänge durch den Wald um uns her, begleitet von Lady und dachten uns Geschichten darüber aus, wer wohl in den anderen Häusern wohnte, die in dem Wäldchen verstreut lagen. Nachts bewegte der Wind den Sand der nahen Dünen und der Wald machte seine eigenen Geräusche, so dass die Jungs oft zum Schlafen ins Haus kamen, weil es im Zelt zu gruselig wurde. Dann spielten wir Karten, Skat und Elfer raus und Mau Mau und waren dabei natürlich viel zu laut, was wiederum meine Eltern auf den Plan rief, die Maßnahmen gegen die nächtlichen Zusammenkünfte ergriffen.
Manchmal gingen wir trotz Wetter zum Strand, warfen uns in die Wellen und mussten uns danach ausführlich wieder aufwärmen. Meine Mutter wickelte meine Schwester in ein riesiges Handtuch und las ihr vor, wir kochten Spaghetti und zogen die Kapuzenpullis wieder an und der Regen begann wieder, leise zu tröpfeln. Auf das Dach des Bullis, auf das Zelt, auf unser kleines Haus. Ich las Buch um Buch um Buch und es war einfach – perfekt.
Der so willkommene Regen nach den heißen Tagen hat mich in genau diese Stimmung versetzt. Und so sitze ich hier auf der Terrasse, lese immer noch Ein wenig Leben, das mich in seiner Schönheit und Schrecklichkeit fesselt und gleichzeitig traurig macht und erinnere mich an diesen Sommer in Maubuisson. Ein paar Wochen voller Wolken, die ganz anders verliefen, als sie geplant waren und dennoch nicht minder schön.
Ich hätte gerne Fotos von diesem Sommer. Ein paar gibt es, aber ich weiß nicht, wo sie sind. In meiner Erinnerung sind auf den Bildern die Pinien und ein kleines Haus, die Holzterrasse, meine Schwester und Lady, mein Vater im Liegestuhl, ein paar Strandfotos unter grauem Wolkenhimmel. Wir, die Kapuzenpullis, Teller voller unaufgegessener Spaghetti, ein blau-weißer Regenschirm. Ein perfekter Sommer, sous la pluie.
1 Comment
so schön geschrieben, dass ich gern dabei gewesen wäre in diesem verregneten Sommer in Maubuisson!