Neulich bin ich zum ersten Mal abends einfach eingeschlafen, obwohl mein großes Kind noch unterwegs war. Kurz vor dem Wecker bin ich aufgewacht und habe festgestellt, dass ich nicht gemerkt habe, wie sie nach Hause kam oder wann genau das gewesen ist. Ich hatte einfach wie ein Stein geschlafen und nichts mitgekriegt.

Für einen Moment war ich erschrocken und bin im Bett hochgefahren, dann habe ich einen kurzen Blick in den Flur geworfen und ihre Schuhe im Weg liegen sehen, wie immer – und wusste, alles ist gut. Sie liegt im Bett und schläft, hatte wahrscheinlich einen schönen Abend oder eine tolle Nacht und hat ein bisschen den Abizwischenstand mit ihren Freund*innen gefeiert. Und ich hatte auch eine tolle Nacht, um ehrlich zu sein: ich hatte nämlich durchgeschlafen.

All night long … schlaflos mit Teenagern

Erst neulich hatte ich ein Gespräch mit einer Freundin, deren Kinder (sie hat ebenfalls drei) noch klein sind. Erst eins ist in der Schule, die anderen beiden sind Kitakinder, das kleinste ist gerade mal zwei geworden. Sie ist ganz und gar glücklich mit ihrer kleinen Bande, sagte aber ein bisschen sehnsüchtig, als sie mich mit der Großen Rosé trinken sah: „Oh Mann, das muss schön sein mit so großen Kindern! Kein Einschlaftheater mehr, keine schlaflosen Nächte wegen des Stillens oder wegen ständiger Infekte aus der Kita! Keine Ängste mehr, die Kinder könnten sich verlaufen, unters Auto kommen oder unversehens was Giftiges in den Mund stecken. Das muss herrlich sein.“ Und ich sagte: „Es IST auch herrlich, ganz bestimmt. Aber schlaflose Nächte haben wir trotzdem – nur aus ganz anderen Gründen.“

Denn natürlich schlafen die Kinder ganz prima alleine ein, meistens sogar nach mir. Und sie sind tatsächlich viel weniger krank als zu Zeiten, wo sie klein waren. Ich weiß, dass sie alleine mit den Öffis und dem Fahrrad einigermaßen sicher durch die Stadt kommen und dass sie alles Mögliche ganz selbständig und ohne meine Unterstützung tun können. Was potenziell Giftiges stecken sie sich inzwischen allerdings vielleicht völlig freiwillig und ohne mein Wissen in den Mund, zum Beispiel Zigaretten…

Und was die schlaflosen Nächte angeht – tja, nachdem ich inzwischen seit sechs Jahren Mutter von zuerst einem, dann zwei und inzwischen drei Teenagern bin, hat dieser Begriff einen ganz neuen Schrecken für mich. Schlaflos mit Teenagern statt Einschlafbegleitung des Kleinkinds ist hier “the new normal”.

Einschlafstillen vs. Großstadt-Nightlife

Denn wo ich früher „einfach“ nur ein Baby an die Brust nehmen und dann weiterschlafen konnte, liege ich heutzutage so manches Mal angespannt im Bett, lese in meinem Krimi, bis die Buchstaben vor meinen Augen verschwimmen und frage mich, wo wohl mein Kind ist. Ob sie gesund und munter ist oder ob sie bei jemandem auf dem Motorrad sitzt, der zuviel getrunken hat. Ob sie vernünftigerweise aus dem abgelegenen Club mit einer Freundin ein Taxi nimmt oder versucht, allein zur nächsten Bahnstation zu laufen. Ob die Menschen um sie herum gute Menschen mit guten Absichten sind oder nicht. Ob sie in dieser riesigen Stadt voller menschlicher und sonstiger Gefahren einmal mehr heil durchkommen wird oder ob heute Nacht der Moment ist, an dem sie der Gefahr nicht ausweichen kann.

Schlaflos mit Teenagern | berlinmittemom.com

Ich weiß, durchstillte Nächte mit einem Bauchwehbaby sind die Hölle. Sorgen um ein fieberndes Kleinkind sind die Hölle. Und Einschlafbegleitung bei einem ängstlichen Kitakind, jeden Abend aufs Neue, ist die Hölle. Aber wenn ich allein mit meinen Ängsten und meinem Buch nachts wachliegen, würde ich sofort tauschen.

Die Teenies teilen meine Ängste natürlich nicht. Ein Charakteristikum dieser Lebensphase ist ja die absolute Überzeugung, alles verstanden und im Griff und vor allem jederzeit die Kontrolle zu haben. Dass das eigene Wissen um Gefahren oder Risiken eine*n nicht davor schützt, dass andere sich riskant oder gefährdend verhalten, wird dabei zu gerne ausgeblendet.

Absprachen, No Go Areas und Regeln

Die Gespräche, die ich bereits mit der Großen seit Jahren habe/hatte, führe ich jetzt wieder mit dem 15jährigen. Denn natürlich geht auch er inzwischen in dieses „raus“, wie er und seine Freunde es nennen. „Wo gehst du hin?“ „Raus.“ „Aha. Mit wem gehst du raus?“ „Mit Leuten.“ „Ah so. Und haben die Namen? Und wann kommst du zurück aus diesem raus?“ Seufz. Diese Gespräche sind so sinnlos wie unvermeidlich. Denn natürlich hat jedes meiner Kinder ein Recht auf Privatsphäre und ich werde den Teufel tun, sie nach ihren Freunden auszuquetschen oder darauf zu bestehen, dass sie mir alles über ihre Abende in diesem ominösen raus erzählen. Sie dürfen und sollen absolut ihr eigenes Ding machen, ohne, dass Mama da die Nase reinsteckt. Wenn die „Leute“ anonym bleiben sollen – bitteschön. Wenn ich nicht erfahre, wo es ganz genau hingeht – so sei es. Manches will ich vielleicht auch lieber nicht allzu genau wissen, by the way.

Schlaflos mit Teenagern in Berlin | berlinmittemom.comTeenager in Berlin | berlinmittemom.com

Aber wie mit der Großen habe ich auch mit dem Sohn unumstößliche Agreements, die auf Vertrauen basieren und nicht auf Kontrolle. Es gibt in der Stadt No Go-Areas (Alexanderplatz nach Einbruch der Dunkelheit, Mauerpark dito, Herrmannplatz am liebsten immer, auch bestimmte Ubahnlinien und Bahnhöfe, wo ich sie nachts nicht haben will usw.). Dass die nicht vorkommen, beim abendlich-nächtlichen Stromern durch die Stadt, ist Teil unserer Abmachung, ebenso wie der verbindliche Checkin zur vereinbarten Uhrzeit. Ich vertraue ihm, er hält sich an die Spielregeln und rechtfertigt damit mein Vertrauen. Deshalb ist mein Teil des Deals, dass ich ihn nicht ständig kontrolliere oder sein Handy tracke – was ich könnte, weil auch das Teil der Abmachung ist: für einen möglichen Notfall lässt er seine Standortbestimmung an.

Alles schön und gut, das ist der Rahmen innerhalb dessen wir uns bewegen. Das ändert nur nichts an meiner partiellen Schlaflosigkeit. Denn auch wenn ich meinen Kindern vertrauen kann und weiß, dass sie sich nicht nur an Regeln und Verabredungen mit mir halten, sondern dass sie außerdem nicht zu riskantem Verhalten neigen, keinen Blödsinn machen mit Substanzen oder sonstigen Grenzüberschreitungen und (altersentsprechend) verantwortungsbewusst sind – ich mache mir Sorgen. Ich kann das nicht abstellen.

Elterliches Kopfkino

Während ich also auf die Kinder warte und durchaus dabei selbst einen schönen Abend habe, zum Beispiel mit dem Mann oder mit Freund*innen oder mit dem mir verbliebenen Kind, das noch nicht abends ausgeht, blitzen immer wieder unschöne Ideen und Horrorszenarien durch mein Bewusstsein. Ich sehe Unfälle aller Art, steckengebliebene Bahnen und Aufzüge, K.O.-Tropfen verabreichende Menschen in Clubs (oder seit neuestem Angriffe mit Nadeln/Spritzen!), Drogenkontakte, psychische Ausnahmesituationen, Messerstechereien in Parks, sexuelle Übergriffe, Kloppereien… die Liste ist endlos. Und ich habe da nicht mal einen konkreten Gedanken, sondern es ist wirklich wie so ein unwillkürliches Bild in meinem Kopf, das auftaucht. Ich kann das nicht steuern, ich habe es versucht. Lediglich wie ich dann damit umgehe, liegt in meiner Macht.

Schlaflos mit Teenagern | berlinmittemom.com

Ich lese. Ich spreche mit dem Mann kurz darüber. Manchmal texte ich den Kids, ob sie okay sind. Vor allem der Großen, weil wir grundsätzlich viel texten und weil sie auch diejenige ist, die natürlich wesentlich ausführlicher ausgeht. Manchmal antworten sie kurz, dann bin ich beruhigt. Auch, wenn sie mir sagen, wo und mit wem genau sie unterwegs sind. Aber irgendwann bin ich so müde, dass ich kaum noch wachbleiben kann. Schlafen kann ich aber auch nicht wirklich. Also lese ich wieder. Liege wach. Dämmere weg. Werde wieder wach und horche ins Haus, ob sie alle heil wieder da sind. Es ist ein bisschen – anstrengend.

Ich wachse

Und genau wie in der Baby- und Kleinkindphase hoffe ich, dass es besser wird. Nur ist es diesmal nicht so, dass ich auf eine Veränderung hinarbeiten oder auf einen Entwicklungsschritt der Kinder oder einen Reifeprozess hoffen kann, in dem Bewusstsein, dass das sicher kommen wird. Irgendwann.

Sonnenuntergang Rooftop Berlin | berlinmittemom.com

Denn diesmal bin ich es, die sich entwickeln muss. Ich muss üben, sie gehen zu lassen und mich dabei trotzdem zu entspannen, so sehr, dass ich gut schlafen kann. Ich muss üben, sie nicht zu nerven mit Fragen und zu restriktiven Regeln, sie nicht zu kontrollieren, nur damit ich beruhigt bin. Ich muss mich auf all das verlassen, was sich jeweils eine ganze Kindheit lang zwischen uns aufgebaut hat: nicht nur das Vertrauen in dieser spezifischen Situation muss mein Kind und mich tragen – ich muss darauf vertrauen, dass alles an Werten und Verbindlichkeiten, das ich in sie gelegt habe, sie jetzt trägt. Ich muss auf die Verbindung zwischen uns vertrauen und wissen, dass sie das können. Dass sie auf sich aufpassen, genauso, wie ich es tue und jeder halbwegs erwachsene Mensch es tut. Ich muss begreifen, dass ich sie nicht vor der Welt beschützen kann und dass das auch nicht das Ziel sein kann. Ich muss einschlafen in dem Wissen, dass sie alles haben, was sie brauchen, um zu bestehen in diesem „raus“ – und das betrifft nicht nur abendliches Ausgehen in der Großstadt. Das lässt sich übertragen auf den ganzen Prozess des Loslassens von fast erwachsenen Kindern und Teenagern.

Für mich ist es also auf eine Weise ein großer Moment: ich bin so tief eingeschlafen, dass ich nicht mitbekommen habe, wie mein großes Kind nachts nach Hause kam. Fühlte sich kurz gruselig an, aber dann – wunderbar. Ich entwickele mich in die richtige Richtung und ich freue mich darüber. So gehören schlaflose Nächte mit Teenagern hier hoffentlich irgendwann komplett der Vergangenheit an. Obwohl… eins hab ich ja noch, das die Flügelchen erst ausbreiten wird um in dieses raus zu fliegen. Uff!

 

10 Comments

  1. Das kenne ich auch gut! Wir haben inzwischen die Abmachung, dass das ausgehende Kind eine kurze Nachricht schreibt, wenn es wieder zu Hause ist. Mein Handy ist so eingestellt, dass es bei Nachrichten keine Geräusche macht, Anrufe aber durchkommen. Das erspart bei nächtlichem Aufwachen Grübeleien (Ist sie sicher nach Hause gekommen?!), wir wären im Notfall aber auch erreichbar.

    • Das Thema wird bei uns zunehmend auch aktuell! Ich bin auch immer erst beruhigt, wenn die Kinder zu Hause sind. Finde es sowieso schräg, dass zumindest meine Große immer nach mir schlafen geht. Ins Bett gehe ich nämlich durchaus früh, weil ich so müde bin. Ob ich dann tatsächlich schlafen kann, sehr auf einem anderen Blatt.
      Allerdings möchte ich zumindest im Moment noch wissen, mit wem und wohin sie unterwegs sind. Bei Minderjährigen hat das für mich auch nichts mit Kontrolle/Schikane zu tun, ich fühle mich durchaus auch ein Stück weit verantwortlich. Andersherum fragen meine Kinder auch, mit wem ich mich treffe, wenn ich mal Ausgang habe oder ich erzähle, wo ich war.

    • Ich freue mich so sehr, endlich Mal wieder was von dir im Blog zu lesen! Danke! :)

  2. Ich kenne das. Der Sohn ist 17 und aufgrund der vorzeitigen Einschulung immer der jüngste, aber sehr zuverlässig. Trotzdem kann ich nur wie Du hoffen, dass er mal nicht denkt, ach komm… Jedoch gehe ich tatsächlich wie immer zu Bett. Ich bin selbst erstaunt, dass ich durchschlafe. Manchmal aufschrecke und in sein Zimmer sehe, da die Schuhe noch 1 Etage tiefer stehen.
    Ich werde eher jetzt nervös, da er ab dem 1.9.22 eine FÖJ in Berlin machen wird. Eigene Wohnung, da bin ich unruhig und versuche mich mit den ähnlichen Mitteln zu beruhigen. Anders als mit Kleinkind- aber die Phasen sind ähnlich. Behalten wir unser Vertrauen. Du hast es sehr gut beschrieben, erfaßt.

  3. In meiner Jugendzeit (wie sicher auch bei Dir) gab es noch keine Handys und wenn ich weg war, war ich weg. Es muss die Hölle gewesen sein für meine Mutter. Das verstehe ich jetzt, damals fand ich es absurd, denn ich war umsichtig und begab mich nicht dauernd in unübersichtliche Gefahren. Aber ich war eben “richtig” weg, so von Freitag Nachmittag bis Sonntag Abend zum Beispiel, bei meinem Freund in der Großstadt, zwei Zugstunden entfernt. Oder drei Tage wild campen, im Winter. So Sachen. Meine Eltern hatten Vertrauen. Es gab eher wenig Diskussionen. Ich habe das geschätzt und sie nicht enttäuscht und mich an Abmachungen gehalten. Sie sich auch. Und ich versuche, das mit meinem 16-Jährigen jetzt genau so zu handhaben. Meistens krieg ich das hin. Aber dieses “Einschlafen”, das finde ich auch immer mal wieder schwierig.

  4. Thurid Azreg Reply

    Ach was für ein guter Artikel. Ich stecke auch gerade mittendrin. Mein großer Sohn ist wirklich verantwortungsvoll und hat mein ganzes Vertrauen. Aber genau wie du habe ich kopfkino. Der grat zwischen Vertrauen und das Bauchgefühl trainieren und elterlichen Regeln ist so schmal. Wir Eltern geben und die größte Mühe aber momentan diskutieren wir auch sehr viel…..ist alles Übungsfeld für unseren jährigen Nachzügler.
    Danke für deine wie immer wertvollen Gedanken.

  5. Ich kenne das zu gut. Zum Glück wohnen wir in einer kleineren Stadt, ich wusste fast immer , wo meine Kinder sind. Aber trotzdem: immer gewartet bis sie wieder zuhause sind.
    Meine Tochter ist nach dem Abi nach Indien und London gegangen. Da habe ich mir auch Sorgen gemacht, aber andere. Ich fühlte mich vielleicht einfach nicht mehr so verantwortlich. Ich konnte plötzlich wieder besser schlafen.
    Nun lebt sie in Hamburg und ich will vieles gar nicht wissen… Aber kaum ist sie mal wieder zuhause, frage ich auch immer, wo sie mit wem hingeht. Verrückt, oder ?@

  6. Liebe Anna, oh es ist so schön, hier wieder von dir zu lesen. U d wieder so ein toller Text. Hier fängt dieses „raus“ gerade erst an…aufregend. Danke für deine ehrlichen Worte!

  7. WOW – welch toller Artikel! Spricht Teenagereltern aus der Seele und zeigt in dieser Phase des Loslassen auf, wie sehr das Gelingen von ihnen selbst abhängt. DANKE!

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