Ich liebe es, Geburtstag zu haben. Schon immer!
Als Kind war das der beste Morgen des Jahres: ich lag in meinem gemütlichen Bett und meine Eltern und Geschwister erschienen mit der Gitarre in meinem Zimmer, um mich mit dem Familiengeburtstagslied “Las Mañanitas” zu wecken.
Und während ich mich dann aus dem Bett schälte und im Nachthemd bleiben durfte, wuselten die anderen nach unten, wo sie, wie ich wusste, die Kerzen auf dem Geburtstagskranz anzündeten und die auf dem Kuchen auch und wo der festliche gedeckte Frühstückstisch auf mich wartete. Oft hatte meine Mama einen Gänseblümchenkranz von der Wiese um den Teller gelegt, manchmal waren es Gummibärchen auf dem Tellerrand. Und immer stand ein Strauß aus den immer gleichen Geburtstagsblumen auf dem Tisch, ebenjenen Blumen, die sie jeweils als erstes zu unserer Geburt geschenkt bekommen hatten. In meinem Fall waren es rote Rosen und Tigerlilien.
Kerzen auspusten war wunderbar, Geschenke auspacken war wunderbar, gesungen bekommen war wunderbar, einfach alles war wunderbar, wenn man als Kind meiner Eltern Geburtstag hatte.
Auch als ich ein Teenager war, war zu Hause Geburtstag haben immer noch wunderbar. Ich erinnere mich, dass ich das Haus mit Freund*innen füllte, dass ich Geburtstagsfrühstücke, Gartenpartys und Übernachtereien anzetteln durfte und meine Mutter, auch wenn es ihr sicher oft viel war, das in der Regel immer gestattete. Natürlich nicht grenzenlos und natürlich auch nicht als “alles ist erlaubt”-Veranstaltung. Aber sie war sehr liberal mit uns, als wir Teenager waren. Ich habe erst jetzt, selbst mit Teenagerkids gesegnet, eine Ahnung davon, w i e anstrengend diese Zeit in ihrem Leben gewesen sein muss.
Als ich ausgezogen war, habe ich oft immer noch meinen Geburtstag zu Hause gefeiert. Es war einfach schön, das Kind im Haus zu sein am Geburtstagsmorgen, selbst wenn ich schon ganz und gar erwachsen war. Und dann… kam die Zeit, als ich selbst Mutter war und begann, die Geburtstage meiner Kinder zu feiern. Der Mann und ich weckten sie mit Gesang, zündeten die Kerzen auf dem Kuchen und dem Geburtstagskranz an und setzten sie in ihren Schlafanzügen an den geschmückten Platz am Frühstückstisch. Dort standen die Geburtstagssträuße, die denjenigen glichen, die ich jeweils zuerst zu ihren jeweiligen Geburten geschenkt bekommen hatte: blaue Anemonen und rosa Tulpen für das Herzensmädchen, rote Pfingstrosen für den Lieblingsbub, kleine rosa Röschen und rosafarbene Frühblüher fürs Goldkind.
Für uns war klar, dass die Geburtstage dieser Menschen, die am wichtigsten in unserem Leben waren, ein Grund waren, zu feiern wie verrückt. Dankbar zu sein, dass wir sie hatten. Ihnen zu sagen, wie glücklich wir darüber waren, dass sie geboren sind und dass ihre Geburtstage für uns die höchsten Feiertage im Jahr sind. Das ist bis heute so. Und seit ich Mutter war, wurde mir immer klarer, wie sehr mein eigenes wunderbares Geburtstaghaben meiner Kindheit mich darin geprägt hat, wie ich die Geburtstage meiner Kinder gestalten wollte. Wie jede Geste, jeder Augenblick an diesen besonderen Tage die Liebe atmen sollte, die ich fühlte. So wie ich als Kind geliebt wurde, nicht nur an meinem Geburtstag.
Heute werde ich 48. Ich bin seit achtzehn Jahren Mutter und seit zehn Jahren mutterlos. An meinem letzten Geburtstag, an dem meine Mutter noch lebte, wurde mir schmerzhaft bewusst, dass es das letzte Mal sein würde, dass jemand mich an diesem Tag im Jahr so anschaute, wie sie. Dass da dieser Mensch ist, der diesen Tag mit mir genauso feiert, weil er es war, der mich in die Welt gebracht hat. Dass ihre Liebe für mich in der diesseitigen Welt nie mehr diesen Ausdruck finden würde, wie zuvor.
Ich wurde 38, ich war eine Mutter von drei kleinen Kindern, damals 8, 4 und 2 Jahre alt. Und ich saß am Bett meiner sterbenden Mutter, die seit einigen Tagen nicht bei Bewusstsein war und es dennoch geschafft hatte, im Vorfeld meinen Geburtstag zu würdigen: sie hatte ein Geschenk für mich organisiert, wie nur sie es mir hätte schenken können und dafür gesorgt, dass es eingepackt den Weg zu mir fand.
An diesem Geburtstagsmorgen vor zehn Jahren hatte ich die Nacht an ihrem Bett gewacht, zusammen mit meiner Schwester und mit zwei unserer engsten Kindheitsfreundinnen, ebenfalls Schwestern, die kurz vor Mitternacht mit Sekt und Kuchen im Krankenzimmer erschienen, um die Nacht mit uns zu verbringen. Ich verabschiedete mich morgens von meiner bewusstlosen Mama und sagte ihr, wenn mein Geburtstag der Tag sein sollte, an dem sie endgültig diese Erde verließe, solle es so sein und ich würde diesen Tag gerne mit ihr teilen. Sie starb nicht. Sie erwachte aus ihrem Koma und war am nächsten Tag zumindest geistig wieder voll da, wenn auch nur noch für kurze drei Wochen.
Heute ist dieser Tag zehn Jahre her. Ich werde 48 Jahre alt und um mich herum sind mein Mann und meine Kinder, die mich mit einem Lied und einem Kaffee am Bett geweckt haben, die einen Geburtstagstisch vorbereitet hatten mit Briefen, Buchgeschenken, Kleinigkeiten von Freund*innen und meinen lieben Schwiegereltern und einer Vase voller blauer Hortensien, meinen Lieblingsblumen. Das Herzensmädchen hat meinen Lieblingskuchen gebacken, die schwedische Nusstorte und mich erreichen die liebsten Nachrichten von meinem Papa, meinen Geschwistern und lieben Weggefährt*innen.
Ich bin 48 Jahre alt, und die Liebe, die mich mein Leben lang umgeben hat, die ich in meiner Kindheit gespürt habe, wie einen wärmenden Mantel um meine Schultern, ist noch immer da. Sie hat sich weiter entwickelt, sie hat die Gestalt gewechselt und ist in meinem Leben immer noch präsent. Sie ist das, wovon ich lebe, seit ich geboren wurde und das, was ich weiterentwickelt habe, seit ich selbst Mutter geworden bin. Sie ist mein Grundsatz, mein größtes Geschenk und mein wichtigster Wert im Leben – das, was ich stets versuche, zu geben, wo ich kann. Egal, in welcher Form.
Heute bin ich 48 Jahre alt, seit 18 Jahren Mutter, seit 10 Jahren mutterlos. Und ich weiß heute wie vor zehn Jahren, dass die Liebe uns alle überdauert. Dass sie uns niemals verlässt, weil sie selbst den Tod überdauern kann. Dass sie das ist, was in uns weiter wächst und uns die Kraft zur Entwicklung und zum Leben selbst gibt, wenn sie einmal in uns gepflanzt wurde. Ich kann sagen, dass der Tod meiner Mutter sowie die Geburten meiner Kinder mich diese Erfahrung haben machen lassen. Deshalb ist es für mich auch nicht ungewöhnlich oder befremdlich, an meinem Geburtstag an den Tod zu denken.
Wenn wir Glück haben in diesem Leben, erfahren wir Geburt und Tod in Liebe, wie schmerzlich auch immer beides sein mag – und ich weiß, es sind beides schmerzliche existenzielle Erfahrungen. Wenn wir Glück haben, erfahren wir im Zusammenhang mit Geburt und Tod, dass die Liebe die stärkste Kraft auf Erden ist, die über die Grenzen von Zeit und Raum hinaus existiert. Wenn wir Glück haben, sind wir reich, weil wir geliebt wurden/werden und selbst lieben können.
Heute bin ich 48 Jahre alt. Ich bin eine reiche Frau. Und ich hoffe und wünsche mir, dass ich Spuren dieser Liebe hinterlasse, wenn ich mal dran bin, diese Erde zu verlassen.
Happy birthday to me!
“Wenn ich tot bin, darfst du gar nicht trauern. Meine Liebe wird mich überdauern und in fremden Kleidern dir begegnen und dich segnen.” (Ringelnatz)
9 Comments
Eine Liebeserklärung an das Leben – wie gesegnet Du bist, dass Du diese Liebe erfahren durftest und sie nun selber weitergeben kannst. An Dich selber, Deine Kinder, all’ die lieben Menschen in Deinem Leben und auch an uns Leser. Nachträglich die besten Wünsche zu Deinem Geburtstag und bewahre Dir diese Gefühle!
Danke für die lieben Wünsche!
Meine herzlichsten Glückwünsche nachträglich zum Geburtstag!
Danke für deinen sehr berührenden Text über deinen Geburtstag und den damit verknüpften Erinnerungen mit deiner Mutter. Mein Geburtstag nähert sich und ich werde ihn zum ersten Mal ohne meine liebe Mama erleben. Deine Worte haben mir geholfen, diesem Tag trotzdem positiv entgegen zu sehen. Danke, dass du uns immer wieder an deinen Gedanken teilhaben lässt und es freut mich sehr, dank der Morgenseiten, wieder häufiger von dir lesen zu dürfen!
Liebe Anna,
wenn auch verspätet die besten Glückwünsche zu deinem Geburtstag. Du bist gesegnet mit all dieser Liebe, so wie ich es auch bin. Genauso sind wir Menschen die viel Liebe unseren Nächsten schenken. Man erntet was man sät.
Es ist ein Geschenk dankbar zu sein und das eigene Glück wahrzunehmen.
Auf viele weitere wunderbare mit Liebe gefüllte Jahre.
Julia
Danke dir, liebe Julia
Danke dir, liebe Julia. Alles Liebe für dich!
Was für ein wundervoller Text, liebe Anna!
Wunderschön! Ich liebe Geburtstage auch so. Und Familienbande sind bei uns auch stark und fest geknüpft :-)
Das Beste. :-)