Habe ich schon mal über Geschwisterliebe geschrieben? Bestimmt schon oft und doch nicht so dezidiert. Dabei ist sie nicht nur ein fundamentaler Teil meiner eigenen Identität als älteste Schwester von Dreien, sondern auch ein großer Teil meines Alltags als Mutter von drei Kindern. Über Geschwisterliebe in allen Farben könnte ich eigentlich jeden Tag schreiben. Und doch sind sie vor allem ein Teil einer größeren Struktur, einer Familienkultur, die mehr einschließt.

Familienkultur: Wie wir als Familie sind

Wenn wir zusammen sind, sind wir richtig. Wir sind oft richtiger, als jeder von uns alleine, richtiger als in Kombinationen mit anderen Menschen. Wir fühlen uns heil. Heiler als alleine, heiler als mit anderen Menschen.

Wenn es einem von uns nicht gut geht, rücken wir zusammen. Wir verbringen viel Zeit am Tag miteinander, selbst wenn wir nichts Besonderes machen. Wir halten uns in denselben Räumen auf, wir bleiben in Kontakt miteinander. Die gemeinsamen Mahlzeiten sind unsere Rhythmusgeber, sind wie Check-Ins an den Tagen, an denen jeder so durch seinen eigenen Tag driftet. Manchmal fühlt sich das Driften gut an, es schmeckt nach Freiheit und Selbstbestimmung; manchmal fühlen wir uns verloren dabei.

Aber wir kehren immer wieder zueinander zurück. Selbst zu Zeiten, wo wir streiten – und wir streiten uns oft, wir setzen uns auseinander, wir fechten Dinge aus – sind die über unseren Tag verteilten Check-Ins unsere Basis. Das, worauf wir uns verlassen können. Wenn es einem von uns nicht gut geht, sind die anderen die Brücke zu dieser Basis. Wir alle sind Teil davon. Wir funktionieren zusammen als der feste Boden unter unseren Füßen.

Familienbande: Das große Ganze

Je älter ich werde, umso mehr stelle ich fest, dass ich noch immer davon profitiere, selbst so aufgewachsen zu sein. Meine Geschwister und ich sind untereinander noch immer genau so verbunden, wir sind füreinander diese Basis, inzwischen erweitert durch unsere Partner*innen und unsere Kinder.

Mein Vater und seine Frau sind Teil dieser Basis. Die Wahlfamilie ist Teil dieser Basis. Sogar wenn ich weiter zurückgehe, sehe ich es auch da: meine Mutter und ihre Geschwister sind die Grundlage unserer Basis gewesen, ihre Eltern waren es vor ihnen. Und jetzt, während der Hochwasserkatastrophe in RLP und NRW, von der große Teile meiner Familie massiv betroffen sind, zeigt sich, dass die Basis noch weiter reicht. Sie umfasst meine Cousinen und ihre Männer, meinen Cousin, meine Tanten, meinen Onkel und die noch einen Schritt weiter entfernten Verwandten. Wir sind von einem unsichtbaren Band gehalten, das uns alle umfasst. Wir sind auf demselben Boden gewachsen und leben von demselben Prinzip.

Wenn es einem von uns nicht gut geht, wenn es einem sogar schlecht geht, rücken wir zusammen. Im Kleinen, in meiner kleinen Berliner Familie heißt das, das wir mehrfach täglich miteinander einchecken. Einen Schritt weiter weg sind es Telefonate, Facetimecalls, Textnachrichten und Zuwendung aus der Ferne. Meine kleine Berliner Familie, meine kostbaren, über alles geliebten Kinder, sind davon ebenso getragen, wie ich es immer war und noch bin. Und wenn es gilt zusammenzuhalten, dann tun wir das.

Über Geschwisterliebe im Kleinen

Über die Jahre mit meinen größer werdenden Kindern habe ich beobachten dürfen, dass ihre geschwisterlichen Bande bei allen üblichen individuellen Krisen, Eifersüchteleien, Machtgerangel innerhalb der Familienstruktur tragfähig und stabil sind und es eigentlich mit jedem Tag mehr werden. Meine Kinder sind füreinander da, so wie meine Geschwister und ich es immer waren.

Über Geschwisterliebe | berlinmittemom.com

Sie fühlen sich zuständig dafür, wie es den jeweils anderen geht. Sie klinken sich nicht aus, wenn einer gerade mal nicht so kann. Sie halten einander, so wie sie vom großen Familiennetz gehalten werden. Das geht von kleinen Liebesbekundungen über das gegenseitige Abnehmen von familiären Pflichten, das Zubereiten von Lieblingsmahlzeiten für die anderen oder Geschwisterfilmnächte zur Stimmungsaufhellung bis hin zu gemeinsamen Übernachtungen bei Liebeskummer. Egal, wie “klein” die Sorge oder die Ursache für die schlechtere seelische (oder körperliche) Verfassung von außen betrachtet aussehen mag – sie nehmen einander ernst.

Und sogar wenn ich als Mama mich manchmal ausklinke, weil ich tatsächlich irgend etwas als nicht so kritisch einstufe (zu Recht oder zu Unrecht, manchmal weiß man das ja erst hinterher), sind die Geschwister immer die Einheit, das Support-Team, die sichere Basis, auf die sie sich verlassen können.

Das habe ich mir tatsächlich immer so vorgestellt, als die Kinder noch klein waren und mir gewünscht, dass es so kommen würde. Jetzt bei meinen großen Kindern zu erleben, dass es tatsächlich eintrifft, dass alles, was ich über Geschwisterliebe bisher wusste, sich an meinen Kindern erfüllt, ist wahrscheinlich eins der besten Gefühle, die ich als Mama dieser Dreierbande jemals haben könnte.

Ich hoffe, das bleibt weiterhin so, ganz gleich, wie das Leben für uns alle weitergeht. Und dass ich irgendwann mit dem Wissen diese Welt verlasse, dass die Bande der Familie weiterbestehen und meine Kinder tragen. Und ihre Kinder auch.

4 Kommentare

  1. Liebe Anna, oh ich liebe deine Morgenseiten…so so toll! Wir machen dieses Jahr zum ersten Mal Urlaub auf dem Darß, weil DU uns dazu inspiriert hast. Weil du so viel Begeisterung und Herzklopfen für dieses Fleckchen Erde versprühst! Ich bin schon so gespannt und freue mich riesig. Danke dafür

  2. Liebe Anna,
    auch ich mag Deine Morgenseiten vom Darß sehr. Auch wenn wir es dieses Jahr nicht zur Ostsee schaffen, so bringst Du sie mir zumindest durch Deine täglichen Zeilen ein Stück näher.

    Diese sichere Bindung in der Familie ist so wunderbar und kostbar! Ich selbst habe leider keine Geschwister und nur sehr dünne, instabile Familienbande. Umso wichtiger ist es mir nun in meiner Kernfamilie (sprich meinem Mann – der ebenfalls aus einem eher zerrütteten Familienhaus kommt – und meinen zwei kleinen Töchtern) dieses sichere Band zu knüpfen. Dein Text inspiriert und motiviert mich hierbei sehr. Hab vielen Dank!

    Liebe Grüße, Steffi

    • Liebe Steffi, das freut mich, wenn du dich da ein bisschen orientieren kannst. Ich stelle mir es als Herausforderung vor, das so aufzubauen, wenn man es selbst nicht so erlebt hat. Umso besser, dass du und dein Mann da so bewusst rangeht. Was für ein Glück für eure Mädchen! Alles Liebe für euch & liebe Grüße

  3. Liebe Anna,
    ich bin über deinen Blog gestolpert und komm aus dem Lesen nicht mehr raus! Oft genug erwische ich uns dabei, wie wir uns als Familie in einem Hamsterrad aus Alltagsstress verlieren – deine Posts inspirieren mich sehr dazu, kurz inne zu halten, unsere Prioritäten zu überprüfen und das Gefühl füreinander wiederzufinden. Danke dafür!
    Der Post über Geschwisterliebe macht mich dennoch etwas traurig, weil ich bei meinen Kindern genau das immer etwas vermisse. Ich habe selbst zwei Geschwister und insbesondere zu meiner Schwester eine sehr enge Bindung.
    Bei meinen Kindern (9 und 5 Jahre alt) überwiegt aber gefühlt ständig der Konkurrenzkampf oder das Desinteresse. Konkurrenz auch viel um mich. Vielleicht ist es so schwierig, weil sie unterschiedlichen Geschlechts und mit fast vier Jahren relativ weit auseinander sind, sie sind charakterlich auch einfach sehr verschieden…ich sauge jedenfalls immer förmlich die seltenen Momente auf, wo die Kleine doch mal akzeptiert (und es womöglich sogar genießt), dass der große Bruder ihr etwas vorliest oder ihr hilft, und nicht wir Eltern. Wo sie sich kabbeln, zusammen spielen oder sogar mal (ganz selten!) kuscheln. Mit selten meine ich, dass ich diese Momente über’s Jahr verteilt vermutlich noch an 10 Fingern abzählen kann! Ich warte schon fast sehnsüchtig darauf, dass sie sich mal als Geschwister gegen uns Eltern zusammenrotten, habe aber das Gefühl, dass ihnen die Abgrenzung gegeneinander wichtiger ist.
    Daher möchte ich gern fragen, ob du irgendwelche Tipps hast, wie man die Geschwisterbindung vielleicht aktiv stärken kann?
    Herzliche Grüße
    Maren

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