Gerade komme ich von einem Konzert in einer Berliner Kirche zurück und in mir klingt ein Abend voller tief berührender Klänge nach

Ich habe früher gesungen. Immer. Und nicht nur morgens unter der Dusche, sondern so richtig. Ich war im Laufe meines Lebens in mehreren Chören, einer davon ein Kammerchor, ich habe als Teenager am Stadttheater meiner Heimatstadt Kinderrollen gesungen und habe eine Gesangsausbildung und eine Ausbildung am Klavier erhalten. Jahrelang war das Singen in der Kirche ein fester Bestandteil meines Lebens und meine Zeit war rhythmisiert durch Proben und Auftritte, aber auch von anders verbrachter Zeit mit den Menschen, mit denen ich das gemeinsam erlebt habe.

Meine Lebenszeit ist für fast zwei Jahrzehnte davon bestimmt und geprägt gewesen: ich habe ungefähr mit 12 angefangen, zu singen und aufgehört habe ich erst, als ich mit knapp 30 nach Berlin gezogen bin. Das ist jetzt ebenfalls fast zwanzig Jahre her. Und für mich ist es immer noch und immer wieder schwer zu begreifen, wie etwas so Essentielles, etwas, das mir so unendlich wichtig war, das einen so unglaublich hohen Stellenwert in meinem Leben hatte, für so eine lange Zeit – mir einfach verloren gehen konnte.

Dabei vermisse ich es. Ich vermisse es immer. Aber auf irgend eine Art ist es für mich jahrelang unvorstellbar gewesen (und geblieben), das Singen in einem anderen Zusammenhang wieder aufzunehmen. Nicht mit “meinen” Menschen, mit denen ich das so viele Jahre geteilt habe. Mit denen ich nicht nur so viel Zeit verbracht habe, sondern mit denen ich die Liebe zum Musizieren, zum gemeinsamen Singen, zum Klangerlebnis des gemeinsamen sich aufeinander Einstimmens beim Chorgesang geteilt habe.

Ich verbinde mit dem Singen in einem elaborierten Chor nicht nur die Erfahrung, gemeinsam und unter guter Anleitung etwas zusammenzufügen, das nur dann wirklich gut wird, wenn das Zusammenspiel funktioniert. Ich verbinde damit eine absolute emotionale Tiefe, etwas, das über das bloße Hören von Musik hinausgeht. Es ist eine Art, sich auszudrücken, die für mich umso bedeutsamer ist, wenn ich genau das nicht alleine tue, solo sozusagen (obschon ich das in der Vergangenheit auch oft getan habe), sondern als Teil eines Ganzen.

Heute war ich in einem Chorkonzert in einer Kirche in Kreuzberg, ein Chor, den ich schon lange hören wollte. Begleitet von meiner großen Tochter und meiner Patentochter saß ich dort auf meinem Platz und dann, bei den ersten Tönen… traf es mich mit Wucht. Ich war nicht nur hingerissen von dem perfekten Klang, von der Musik und der Interpretation und Gestaltung (denn der Chor war wirklich sensationell). Es ging tiefer als nur das Berührtsein durch die Musik. Es fühlte sich an, als würde in mir eine profunde Wahrheit zum klingen gebracht, der ich nicht mehr ausweichen kann.

Ich habe mich von etwas entfernt, das zu mir gehört und das mir schmerzlich fehlt, schon so lange. Heute hatte ich auf einmal wieder eine Ahnung davon, wie es sein würde, wenn ich diesen Zugang wieder hätte. Das hat mich sogar zum Weinen gebracht, auf die beste Art. Und jetzt… bin ich gespannt, was ich als nächstes damit mache.

Ich schätze – singen.

4 Kommentare

  1. Ich habe früher Cello gespielt, 10 Jahre Unterricht, jeden Tag üben und dazu das gar nicht mal so schlechte Schulorchester. Mit dem Abi habe ich aufgehört und dann ging es mir wie Dir: Die Musik fand in meinem Leben nur noch passiv statt, ich habe diesen teil meines Lebens einfach fallen lassen und bin weitergezogen. Nur, wenn ich mal im Konzert war, oder Musiker gesehen habe (beim Stimmen der Instrumente, Leute auf der Straße mit Instrumentenkoffern oder so), dann hat mich die Sehnsucht gepackt. Vor ca 10 Jahren bin ich dann in meinen kleinen Gemeindechor gegangen und hatte quasi sofort wieder dieses besondere Gefühl der gemeinsamen Harmonie in einem Ensemble und den wunderbaren “Flow”, den nur das Musizieren schenken kann. Nun ist dieser Chor auf den ersten Blick wirklich nicht besonders und nicht besonders gut, aber auf den zweiten Blick habe ich da wundervolle Menschen getroffen und verbringe wieder gute Zeit mit der Musik. Vor ein paar Jahren wollte ich dann mehr und nehme seitdem zusätzlich Gesangstunden. Und das genieße ich ganz besonders: Es fühlt sich ein bisschen an wie zielloser Luxus und es macht mir glücklich – ohne dass damit ein weiterer Nutzen verbunden wäre.
    In diesem Sinne wünsche ich Dir, dass Du 2023 diesen Faden wieder aufnehmen kannst, bei einem der vielen wunderbaren Chöre Berlins <3

  2. Schöner Post! Man fühlt deine verbuddelte Leidenschaft. Ich hoffe, du kannst sie wieder ausgraben. Mich begleitet das Singen seit Kindertagen. Ich habe immer gesungen. Aber nicht im Chor, sondern solo. Im Chor kann ich mich nicht gut genug hören, um mich zu verbessern, deshalb lieber Solo oder in kleinen Formationen. Gesangsausbildung hatte ich auch als Teenager und sogar kurz an der Musikhochschule. Mit den vielen Kindern, wir haben vier, ist mein Singen sehr privat geworden, aber ich habe es nie aufgegeben und noch nebenbei autodidaktisch Gitarre gelernt, weil ich mich unbedingt autark selbst begleiten möchte, um genau auf die Art Musik zu machen, die ich möchte. Wenn die Kinder etwas größer sind, werde ich wieder professioneller Musik machen und Klavier spielen lernen, habe ich mir fest vorgekommen. Und einem Jazzvocalensemble beitreten. Iwann, wenn ich Zeit habe ….

  3. Liebe Anna,
    so geht es mir mit meiner Musik! Vor einigen Jahren hatte ich nach etwa 10 Jahren Abstinenz endlich wieder die Möglichkeit in einem Orchester Bratsche zu spielen. Es war toll, denn es war ein Projektorchester meiner alten Musikschule mit ehemaligen, jetzige n Schülern und Profis. Gut an der Sachen war, dass wir nicht jede Woche probten und dies super auch mit kleineren Kindern und meinem Job vereinbar war. Ich war so glücklich damit. Nun ist der Musikschulleiter in Rente gegangen und nicht klar wie es weiter geht. Ich warte und hoffe. Vielleicht tut sich eine neue Möglichkeit auf. Ich möchte es auf keinen Fall wieder „verlieren“.
    Ich wünsche dir, dass du wieder singen wirst.
    Lieben Gruß
    Maria

  4. Pingback: Keine kleinen Gefühle | Geschichten über die Liebe 2/14 | berlinmittemom

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