Wir sind ja so verschieden! Das kann ja niemals so richtig gut klappen! Oder? So oder so ähnlich dachte ich, als der Mann und ich ein Paar wurden.

Und es stimmt, dass wir sehr verschieden sind. Das wusste ich schon in der 11. Klasse, als wir uns im Sozialkunde Leistungskurs die Köppe heiß diskutiert haben und selten einer Meinung waren. Was ich aber damals schon sehr schätzen konnte: wir haben einander zugehört und konnten gelten lassen, was uns unterschieden hat. Und irgendwie ergab das ein stimmiges Gesamtbild. Das ist bis heute so.

Jetzt, dreißig Jahre später, hat sich das Gesamtbild differenziert. Wir sind eine Familie geworden und haben unsere Verschiedenheiten in unseren Kindern verankert. Gleichzeitig sehen wir gerade in ihnen, wie wir uns ergänzen und wie oft die unterschiedlichen Stärken, die wir haben, im Alltag und im Zusammenleben dann doch zueinander passen. Und es sind ganz häufig die vermeintlichen Kleinigkeiten, die dann dazu führen, dass der Laden läuft.

Herr Abend und Frau Morgen | berlinmittemom.com

Seit wir hier auf dem Darß sind, fällt es mir wieder besonders auf: wir sind Frau Abend und Herr Morgen. Das beschreibt nicht nur sehr gut, dass ich eine Nachteule bin und der Mann eine Lerche ist, es sagt auch viel über die geteilte Verantwortung für die verschiedenen Phasen in unserem Familienalltag aus.

Während ich am Abend nicht ins Bett gehen kann, wenn nicht der Laden abgeschlossen ist, legt der Mann sich scheinbar ungerührt ins Bett und schläft. Ich bin diejenige, die hinter sich aufräumt (Geschirrspüler an, Hund und Katz in die Körbchen, Lichter aus usw) und dafür sorgt, dass alle Kinder friedlich werden und zur Ruhe kommen. Ich kann einfach selbst nicht schlafen, wenn ich nicht weiß, dass alle meine Liebsten es auch können. Wenn der große Teenie noch unterwegs ist, lese ich, bis ich nicht mehr kann. Nicht, weil ich ihr nicht vertraue, sondern weil ich die Sicherheit brauche, zu wissen, dass sie ok ist. Manchmal reicht dann auch eine sms von ihr. Aber der Mann schlummert derweil selig im sicheren Wissen, dass ich, Frau Abend bzw Nacht, das schon im Griff habe.

Und am Morgen verkehren sich die Rollen. Der Mann ist Herr Morgen. Er ist der, der aufsteht, den Hund rauslässt und den Geschirrspüler ausräumt. Er bereitet das Frühstück für alle vor (der eine kriegt Müsli, der andere sein Joghurt, der dritte den Saft usw), er weckt jeden zu seiner Zeit (hier zum Beispiel pünktlich zum Reiten, zu Hause entsprechend vor der Schule), macht Kaffee und wirft die erste Waschmaschine an. Er lässt die Sonne ins Haus und fängt den Morgen fröhlich und tatkräftig an, während ich meine Zeit brauche, um im neuen Tag anzukommen. Zum Beispiel, in dem ich einen Kaffee ans Bett kriege (nicht immer, aber sehr oft) und einen Kuss und dann Zeit für eine heiße Dusche, bevor ich Wörter habe für den Start in den Alltag.

Unsere Energien greifen ineinander. Ich glaube, wir sind genauso verschieden wie früher, in der 11. Klasse. Aber was wir damals schon ahnten, hat sich heute zur Realität verdichtet: unsere Unterschiede ergeben ein rundes Ganzes. Frau Abend und Herr Morgen. Zusammen sind wir richtig.

6 Kommentare

  1. Wie schön geschrieben <3
    Mein Mann und ich sind eher wie Zahnräder, die immer wieder gut in einander greifen :o)

  2. Wunderschön geschrieben. Ich mag sie sehr, deine Morgenseiten.
    Liebe Grüße, Kathrin

  3. Danke Du Liebe für die so schön geschriebenen Zeilen.
    Deine Gedanken und deine immer so gut formulierten Zeilen lassen mich jedesmal tief versinken.
    Herzlich, Tanja

  4. Pingback: Im Auge des Sturms | Ich und der Herbst 6/30 | berlinmittemom

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