Wie ist das eigentlich, dieses Elternsein von großen Kindern? Den Neun- bis Zwölfjährigen und im Anschluss dann den Teenagern? Wie antworten wir als Eltern auf die Bedürfnisse und Erwartungen der großen Kinder und Preteens, und wie finden wir einen guten Umgang damit, was Teenager brauchen? Darüber habe ich mir Gedanken gemacht und ein paar meiner Leitgedanken und persönlichen Erfahrungen aufgeschrieben.

Meine Kinder sind nicht mehr klein. Manchmal spüre ich nachts im Halbschlaf noch ihre kleinen warmen Schlafkörperchen ganz dicht an mir, so wie es früher immer war. Aber dann wache ich auf und weiß, sie sind groß. Sie sind in ihren eigenen Betten und kommen nur noch selten zu mir zum Schlafen und wenn, dann weil sie krank sind oder schlecht geträumt haben. Und dann liegen sie lang ausgestreckt neben mir und stören mich mit ihren großen Füßen anderen überlangen Gliedmaßen, mit denen sie sich im Bett ausbreiten.

Aber wenn sie sich dann an mich schmiegen, mir im Schlaf meine Decke wegziehen und ihre Hände meine finden, wenn sie mich morgens wach quatschen mit tausend Anliegen aus mir entfernten Welten, dann merke ich, wie sehr sie mich dennoch brauchen. Wie wichtig es ist, dass sie auf diese Art mit mir verbunden bleiben, und dass es zentral ist, dass wir auch die körperliche Nähe zueinander behalten.

Elternwissen Pubertät: Was Teenager brauchen | berlinmittemom.com

Anker & einen Rahmen: Was Teenager brauchen

Das Leben mit größer werdenden Kindern lässt sich aus meiner Sicht gut als ein permanentes Spannungsfeld beschreiben, in dem wir alle versuchen, uns auszubalancieren. Im Idealfall passiert das gemeinsam und durchdacht, in der Regel ist es eher ein Agieren und Reagieren, vieles geschieht spontan und es wird gerne auch mal explosiv. Daher habe ich mal aus meiner persönlichen Erfahrung aufgeschrieben, was Teenager brauchen. Was Eltern von Teenagern wissen müssen, wenn sie sich ihre großgewordenen Kinder anschauen und sich fragen, wer da eigentlich vor ihnen steht. Was wir als Familien brauchen, wenn die Kinder größer werden und sich der Alltag verändert, die Bedürfnisse komplexer sind und auch die Rituale sich anpassen müssen, damit das Konstrukt “Familie” weiterhin gut funktioniert.

Anerkennung & Konfrontation

Teenager sind anders. Wir lesen in Social Media und diversen Ratgebern gerne mal die Texte, die mit einem Augenzwinkern berichten, wie irrational, verrückt  und risikofreudig diese Jugendlichen in der Pubertät sich verhalten. Sie werden “Pubertier” und “Pubertäter*in” genannt, beides Begriffe, die ich persönlich nicht benutze, weil ich sie abwertend und auch kein bisschen witzig finde. Tatsächlich sind es eben noch immer unsere Kinder, dieselben, die sie vorher waren, nur sind sie jetzt in der Pubertät – und wie wir uns alle erinnern kann das eine scheußliche Zeit sein. Wir sollten also als Eltern für sie da sein und ihre Anfechtungen, Probleme und Fragen ernst nehmen statt uns über sie lustig zu machen.

Auseinandersetzungen bleiben dabei nicht aus, das ist die unschöne Seite für alle Beteiligten. Aber sie müssen sein und sie bringen uns weiter. Manchmal erscheinen uns die Themen, die unsere Kinder beschäftigen, nicht nachvollziehbar, unwichtig oder sogar nervig. Aber es sind die Dinge, die gerade ihre Welt erfüllen, also hören wir ihnen doch einfach zu. Interessieren wir uns für all das, was ihnen gerade wichtig ist und erkennen wir an, dass es das ist. Und wenn es in unseren Augen Oberflächlichkeiten sind (Musik, Mode, Styling, Haare, Gaming, Ausgehen, Filme, Youtube, Sport, Fingernägel, Kartentricks…), dann müssen wir das nicht dauernd sagen. Wir können es einfach so hinnehmen und ihnen den Raum lassen, selbst zu erkennen, was in ihrem Leben welche Bedeutung haben soll. Was Teenager brauchen, wenn sie sich gerade immer neu erfinden, ist unsere Aufmerksamkeit, nicht unsere Zustimmung. Sie lernen gerade, sich von uns zu unterscheiden und ihre eigenen Wege zu finden. Nehmen wir sie darin ernst, auch wenn sie in unseren Augen die albernsten Wege dafür wählen.

Dazu passt auch der Wunsch der Kinder in diesem Alter, sich mit uns anzulegen, zu streiten, sich zu reiben, sich abzugrenzen. Das müssen wir aushalten. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, sich mit uns zu messen, zu argumentieren und auch mal die Türen zu knallen – im übertragenen und wörtlichen Sinn. Auch wenn das die Stimmung zu Hause zuspitzt und fürchterlich anstrengend ist: wir müssen da bleiben, mit ihnen im Gespräch bleiben, ihnen Antworten geben und uns selbst immer wieder neu aufstellen. Wir müssen uns hinterfragen lassen und gut argumentieren und ihnen zeigen, was uns wichtig ist, selbst wenn das bedeutet, dass es immer mal wieder kracht.

Was Teenager brauchen | berlinmittemom.com

Loslassen & Halt geben

Es ist schwer, sie ziehen zu lassen. Was Teenager brauchen, ist aber weder die relativ kurze Leine aus den Kinderjahren, noch das totale Loslassen, bei dem sie die Bodenhaftung verlieren. Und was wir als Eltern jetzt tun müssen ist meiner Meinung nach die Balance zu finden zwischen eben diesen vertrauten Regeln, Normen und Beschränkungen (als Beispiele nenne ich mal Bettgehzeiten, Ausgehregeln, Hausaufgabenkontrolle, durchaus auch Verbote und absolute Grenzen – das ist natürlich in jeder Familie individuell) und dem neuen Wunsch nach absoluter und grenzenloser Bewegungsfreiheit, den unsere Kinder jetzt immer stärker entwickeln.

Natürlich haben auch jüngere Kinder das Bedürfnis nach (Bewegungs-)Freiheit, aber die Preteens und vor allem die Teenager wollen nicht nur nicht aus der Schule/vom Sport/der Freund*in abgeholt werden, sie wollen zunehmend über alle Bereiche in ihrem Leben selbst bestimmen. Das betrifft wie oben erwähnt Hobbys, die äußere Erscheinung und auch den Freundeskreis, der sich gerade jetzt in der Regel noch mal total ändert. Aber darüber hinaus wollen sie auch ausgehen, neue Welten erkunden und Orte aufsuchen, an die wir Eltern sie eigentlich noch gar nicht lassen wollen oder wo wir sie noch überhaupt nicht sehen.

Es ist eine echte Herausforderung, da eine gute Balance und vernünftige Absprachen zu finden, die für beide Seiten akzeptabel sind. Was Teenies jetzt aber anstelle der alten Regeln brauchen, ist vor allem ein klarer Rahmen, der ihnen einerseits verbindliche Regeln gibt, innerhalb dessen sie aber frei sind, selbst zu entscheiden. Über die Stränge schlagen werden sie ohnehin und sie werden auch jede Menge Regeln brechen, das gehört einfach zu diesem Alter und dieser Entwicklungsphase dazu. Aber ich halte es persönlich dennoch für absolut wichtig, dass wir als Eltern uns auch aufstellen und ihnen sagen (und zur Not eben auch immer aufs Neue), was wir aus welchen Gründen richtig finden und was nicht. Was wir bereit sind mitzutragen. Wo unsere Schmerzgrenze liegt und wo die persönliche No-go-Area beginnt.

Ich sehe jeden Tag, dass es dieser Rahmen ist, der meinen Kindern auch Halt gibt – neben der absoluten Gewissheit, geliebt zu werden wie sie sind und niemals allein gelassen zu sein. Aber der Rahmen ist unser Spielfeld, in dem wir uns vor und zurück bewegen, während wir gemeinsam herausfinden, was für uns jetzt funktioniert. Zu wissen, dass ich wach im Bett liege und warte, dass sie zur vereinbarten Zeit nach Hause kommt, bringt den Ball auf dem  Spielfeld beispielsweise zu meiner Großen: hält sie sich an die vereinbarten Regeln und Zeiten, weiß ich, dass ich ihr vertrauen kann – und werde Schritt für Schritt den Rahmen erweitern, innerhalb dessen sie sich frei bewegen kann. Das gilt für alle anderen Bereiche ebenso.

Was Teenager brauchen ist die Erfahrung von Gegenseitigkeit: gegenseitiges Vertrauen, Verbindlichkeit und Ehrlichkeit. Keine Tricksereien, keine Erpressung, keine neuen Gesetze, die sie in ihrer Bewegungsfreiheit beschneiden. Keine Verbote, die bestimmte Personen, Räume, Orte, Dinge kategorisch ausschließen, die ihnen jetzt wichtig sind. Aber klare Spielregeln und Absprachen, die für beide Seiten verlässlich erfüllt werden müssen.

Elternwissen Pubertät: Was Teenager brauchen | berlinmittemom.com

Nähe schaffen & Distanz zulassen

Die Familie verändert sich, wenn die Kinder wachsen. Wir wachsen alle gemeinsam und entwicklen uns weiter. Das ist manchmal leichter, manchmal schwerer. Und so verschieden, wie die einzelnen Familien sind, so verschieden sind auch die Wege und die Phasen, welche wir als einfacher oder als herausfordernder empfinden. Für mich persönlich ist die Pubertät meiner Tochter (und die beginnende Pubertät meines Sohnes) beispielsweise schwieriger, als die Babyphasen, aber auch das ist individuell. Jedes Kind ist anders, jede Familie ist anders.

Was mir als Mama zu schaffen macht, ist das Wechselbad der Gefühle, das meine Kinder mir zeigen. Da ist ein absoluter Wunsch nach Distanz, ganz anders als früher: Türen werden verschlossen, Telefonate werden im Geheimen geführt, es gibt einfach plötzlich sowas wie Tabuzonen, die ganz neu sind. Andererseits haben sie ein unglaubliches Nähebedürfnis, fast noch mehr als in den Jahren zuvor. Es wird sich umarmt wie verrückt, auch mit den Geschwistern, es wird sich permanent die gegenseitige Liebe beteuert und alles ist furchtbar intensiv.

Was Teenager brauchen, wenn sie in diese Gefühlsachterbahn einsteigen, ist unsere Bereitschaft, sie zu begleiten. Mit ihnen mitzugehen, wenn sie die absolute Nähe suchen und gleichzeitig zu akzeptieren, wenn sie sich abgrenzen müssen. Innerlich bei ihnen zu bleiben, auch wenn sie sich zeitweise mit Kopfhörern von der Welt abschotten wollen, wenn sie ihre Gedanken vor uns verbergen und ihre Gefühle hinter einem Pokerface verstecken möchten. Die Arme zu öffnen, wenn sie die Zuflucht brauchen, die wir bisher immer waren und genau diese Zuflucht zu bleiben, auch wenn wir spüren: die Reise unserer Kinder führt weg von uns.

Vielleicht ist das das Schwerste, das wir als Eltern tun und das wir lernen müssen: ihnen zu vertrauen, dass sie immer zu uns zurückkehren und dass sie ihre Wurzeln niemals vergessen. Dass wir für sie durch ihre ganze Kindheit hindurch bereits die Anker geworfen haben, die ihnen jetzt und für alle Zeit ein Halt sein werden. Und dass wir dabei sind, an einem Punkt anzukommen, an dem wir zurückbleiben und sie weitergehen.

Pusten wir ihnen ordentlich Wind unter ihre Flügel und geben ihnen die Sicherheit unserer Liebe als Schutzzauber mit auf den Weg.

 

 

Last Updated on 30. Juli 2021 by Anna Luz de León

9 Kommentare

  1. Ja, Anna so ist es . So erlebe ich es auch jeden Tag mit einem 13jährigen. Konfrontation, zarte Rebellion , Abgrenzung. Aber auch viel kuscheln, jeden Tag umarmen und immer abends im Bett nochmal ne Runde quatschen, am besten muss Papa auch noch dazu. Das fordert er ein. Und dann wird richtig rumgeschmust. Und die Diskussionen von gerade eben über Alltäglichkeiten, Grenzen und Regeln sind für den Abend vergessen.

    Alles erfordert viel Präsenz und man muss seine Meinung vertreten und vor allem begründen (…). Das kann schon mal nerven. Aber zu sehen was da für ein Mensch heranwächst ist schon toll. Und man hofft immer alles einigermaßen zu erklären und zu vermitteln. Das ist schon eine Aufgabe. Und dann wirst Du durchschaut und die eigenen Unsicherheiten und Arten sind plötzlich Thema. Schon krass so den Spiegel vorgehalten zu bekommen. Aber auch gut, dass da diese Menschenkenntnis und Beobachtung ist. Und dann mit lieben Blick in den Arm genommen werden vom Kind, was schon größer ist als man selbst. Hach.

    Liebe Grüße
    Andrea

    • Liebe Andrea, ich erkenne das so genau, was du beschreibst. Und es ist so anstrengend und wunderschön! Oder? Ich genieße diese Phase auch sehr und gleichzeitig fühle ich mich manchmal von so viel Intensität richtig erschöpft. Eine einmalige Zeit im Leben mit diesen Kindern – so wie jede ihrer Entwicklungsphasen. Und ich gebe dir recht, zu sehen, wie sie immer mehr sie selbst werden, ist bezaubernd. Ganz liebe Grüße!

  2. Großartig, wie Du “unseren Zustand” in Worte fasst und beschreibst. Ich bewundere Deine Fähigkeit, diese Dinge in so treffender Weise zu erzählen; es berührt mich so sehr…weil es genauso so ist (18jährige Tochter, 14jähriger Sohn)!

    • Danke dir für deine lieben Worte, Nina. Und es ist wunderbar zu hören, dass du dich als Mama in genau dieser Situation wiedererkennst. Dann hab ich es ja einigermaßen gut beobachtet. :-) Liebe Grüße!

  3. Danke für diesen wunderbaren Text liebe Anna. Meine Tochter ist zwar noch weit entfernt von der Preteen-Zeit, sie steht aber kurz vorm Schuleintritt und ich spüre erstmalig nach dem Ende der Elternzeit die Veränderung. Ganz tief drinnen klopft sie schon an. Mit allen Gefühlen, die dazu gehören. Ganz viel Vorfreude aber auch Unsicherheit und vor allem wieder ein Stück des Loslassens.
    Dein Text bestärkt ungemein und legt den Fokus auf das, was wichtig ist: Gebt Kindern Wurzeln und Flügel. Egal wie alt sie sind

  4. Oh, liebe Anna, du schreibst mir aus dem Herzen (Mädchen, 15; Sohn, 13).
    Und du bestätigst meine derzeitigen Gedanken rund um das Mama sein von “großen” Kindern. Immer wieder muss ich mir anhören: ach, die sind ja schon groß, da kann man ja länger arbeiten, sie krank alleine zu Hause lassen (ja, oft, aber eben nicht grundsätzlich), jede Woche regelmäßig abends zum Sport…
    Ja, das kann man alles. Aber ich möchte es für meine Kinder nicht, nicht grundsätzlich. Danke, dass du mich darin bestätigst!
    (in einer der letzten Sonntags FAS war ein Artikel darüber, dass man als Mutter von Teenies oft behandelt wird, als hätte man erwachsene Kinder ;-)
    Alles Gute für Dich,

    Stefanie

  5. Pingback: Selbstwertgefühl in der Pubertät | Wie war das eigentlich bei mir? - berlinmittemom

  6. Pingback: Wenn ihr zurückkommt findet ihr meine Liebe | Vom Loslassen und dem, was bleibt | berlinmittemom

  7. Pingback: Vom Aushalten - Über Kokons, neue Regeln und das Leben mit Teenagern | berlinmittemom

schreibe einen Kommentar